Völliges Unverständnis zeigt der Kläger Joachim Gottschalk für das Hinhalten einer politischen Stellungnahme zu den unglaublichen Vorgängen in der Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Sie verweist auf Dienstwege und div. Stellungnahmen in ihrer Behördenhierarchie, um zu einer Antwort zu finden. Lesen Sie dazu das Schreiben von Joachim Gottschalk an die Ministerin Dr. Wahlmann (SPD) und an ihren Herrn Staatssekretär Smollich.
Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Wahlmann,
sehr geehrter Herr Staatssekretär Smollich,
der Evangelische Pressedienst hat Sie am 1. März wie folgt zitiert:
Wahlmann sagte auf epd-Anfrage, die Landesregierung werde antisemitische Beleidigungen und Ressentiments nicht hinnehmen. „Wir werden uns über die Ermittlungen in Braunschweig umfassend berichten lassen und dann über mögliche Schritte entscheiden“, erklärte die Ministerin.
Erfahrungsgemäß können Wochen und Monate vergehen bis ein derartiger Bericht vorgelegt wird. Frau Oberstaatsanwältin Serena Stamer benannte:
Die dort vorgebrachten Gründe würden nun zunächst vom Leitenden Oberstaatsanwalt geprüft. Halte dieser an der Entscheidung fest, die Ermittlungen in dem Fall einzustellen, werde der Fall der Generalstaatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt. Das ganze Verfahren könne sich über einige Wochen hinziehen.
Nicht nur für Schoaüberlebende, nicht für uns Angehörige von Ermordeten der Schoa, die schon im Frankfurter Auschwitzprozess involviert waren, als Nebenkläger in den Auschwitzprozessen zu Lüneburg – Angeklagter Oskar Gröning – und zu Detmold – Angeklagter Reinhold Hanning – , sondern auch gerade für die Justiz sollte es einfach sein, eine Aussage zur Bedeutung und Ausformung von Antisemitismus im kulturpolitischen Geistesbereich der Bundesrepublik Deutschland zu treffen.
Beispielhaft verweise ich auf den Bericht von Jürgen Tern „Antisemitismus heute und hier“ in TRIBÜNE 1971 Heft Nr. 38 und auf die Tätigkeit von Friedrich Karl Vialon, der für Hannover besondere Bedeutung hat. Er war in Riga für die Vermögensverwaltung der dort ankommenden Juden zuständig. Fast alle Juden von Hannover wurden nach Riga deportiert und wurden dort und in deren Umgebung ermordet.
Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Wahlmann, sehr geehrter Herr Staatsekretär Smollich, Ihr Amtssitz ist Hannover und die Deportation der hannoverschen Juden und das Tun von Staatssekretär F.K. Vialon gehört zum Kernwissen antisemitischen Geistes in Deutschland, eines Geistes, der sich u.a. in Riga an den hannoverschen Juden erfolgreich erprobte und deren „Reichtümer“ dem Reichsfinanzministerium durch F.K. Vialon zugeführt wurden.
Der Prozess gegen F.K. Vialon fand schon 1963 statt. Die kulturpolitischen Brechungen von antisemitischen Konnotationen in der deutschen Kulturepoche fanden eine lebhafte Widerspiegelung u.a. in dem Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder „Der Müll, die Stadt und der Tod“.
In Kenntnis auch der Rede von Martin Walser in der Paulskirche 1998 ist es doch sofort möglich, eine Bewertung von „Judenpresse – Judenpack – Feuer und Benzin für euch“ auszusprechen.
Warum zögern Sie, sehr geehrte Frau Dr. Wahlmann?
Frau Justizministerin Havliza hat noch vor der Hauptverhandlung und vor der Verurteilung der Täterperson von „Juden als Köterrasse seien zu beseitigen“, einer Aussage, die dem Sprachduktus und -inhalt von „Der Stürmer“ entsprach, diese Aussage sofort und zutiefst verurteilt (Entscheidung vom 15.05.2018).
Herr Prof. Dr. Roman Poseck, Staatsminister, Hessischer Minister für Justiz, hat uns mitgeteilt:
Die Berichte der im Lande Niedersachsen bei den Generalstaatsanwaltschaften bestellten staatsanwaltlichen Antisemitismusbeauftragten zu „Judenpresse – Judenpack – Feuer und Benzin für euch“ dürften Ihnen inzwischen vorliegen. Treten Sie bitte in die Öffentlichkeit und benennen Sie zumindest, dass diese Aussage und die Zeitdauer der Ermittlungen von über zwei Jahren Sie mit Scham erfüllen.
Der Bericht von Jürgen Tern ist beigefügt.
Das Verfahren gegen Staatssekretär F.K. Vialon ist u.a. beschrieben in: Der Spiegel 19/1971.
Das von J. Tern benannte Verfahren gegen den Juden Levy als Totschläger: siehe Der Spiegel,»Joschi, alles klar… 51/1973
Als ich – Joachim Gottschalk – noch Mitarbeiter bei Herrn OLG-Präsident Wassermann war, waren diese Tatsachen unser Präsenzwissen.
Sorgen Sie bitte dafür, dass das Phänomen Antisemitismus seit dem 19. Jh. in Deutschland zum präsenten Allgemeinwissen der Staatsanwälte in Niedersachsen wird.
Bitte antworten Sie uns in angemessener Zeit, die nicht nach Wochen bemessen sein sollte.
Mit freundlichem Gruße,
Ehepaar Gottschalk Sehr geehrte Frau Ministerin Dr. Wahlmann, sehr geehrter Herr Staassekretär Smollich, welchen p o l i t i s c h e n Standpunkt nehmen Sie zur Justizentscheidung der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 01.02.2023 ein? Die Medien haben auf unsere Presseerklärung reagiert. Eine Stellungnahme des Niedersächsischen Jusizministeriums fehlt bislang. Auch in Anbetracht des Vorgangs "19.33 - 19.45 Uhr" in Braunschweig bitte ich zu überlegen, ob wegen der unbotmäßigen Nichtanwendung der Geschehnisse der deutschen Geschichte dienstrechtliche Maßnahmen durchzuführen sind. Auf den Bericht von Ronen Steinke in SZ vom heutigen Tage "An der Realität vorbei" ist gesondert hinzuweisen. Mit freundlichem Gruße, Ehepaar Gottschalk