Von: Janina Yeung
Der Paritätische Gesamtverband und pro familia fordern in gemeinsamer Pressemitteilung international verbriefte Frauenrechte endlich umzusetzen.
In Bezug auf die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen
gibt es in Deutschland viele Defizite. Dies stellen der Paritätische
Gesamtverband und der pro familia Bundesverband anlässlich des
internationalen Frauentags 2020 fest. So haben die lange
vorliegenden Belege für den hohen Bedarf einer Kostenübernahme für
Verhütungsmittel bis heute nicht zu einer gesetzlichen Lösung geführt.
Frauen, die eine vertrauliche Beratung aufsuchen wollen, sind vor
Beratungsstellen immer noch religiösen Eiferern ausgesetzt,
weil rechtliche Regelungen fehlen, die dies verbieten. Und auch die
Informationslage im Netz über Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche
durchführen, ist desolat geblieben, da die neu eingerichtete zentrale
Liste für ganze Regionen in Deutschland keine Eintragung
aufweist. In Bezug auf sexuelle und reproduktive Rechte gibt es nichts
zu feiern, erklären der Paritätische Gesamtverband und der pro familia
Bundesverband.
In vielen internationalen und nationalen Dokumenten sind Menschenrechte
festgeschrieben, die sich auf die Entscheidungsfreiheit in Bezug auf
Fortpflanzung, auf das Recht auf Information und auf den Zugang zu
sicheren, effektiven, bezahlbaren und akzeptablen
Methoden der Familienplanung beziehen. In der Praxis werden diese
Rechte oft verletzt oder eingeschränkt.
So hat die Auswertung des pro familia Modellprojekts „biko – Beratung,
Information und Kostenübernahme bei Verhütung“ im letzten Jahr
bestätigt, dass Frauen, die wenig Geld haben, für eine sichere Verhütung
eine Kostenübernahme brauchen. Im Rahmen der Studie
gab mehr als die Hälfte der befragten Frauen an, dass sie ohne eine
Kostenübernahme nicht oder weniger sicher verhüten. Ist das Geld knapp,
werden akut nötige Anschaffungen getätigt und die Verhütung
aufgeschoben. Die Ergebnisse des Modellprojekts decken sich
mit den Erkenntnissen aus zahlreichen wissenschaftlichen Studien, die
in den letzten zehn Jahren durchgeführt worden sind. Klarer
Handlungsbedarf also, worauf wartet der Gesetzgeber?
„Verhütung darf keine Frage des Geldbeutels sein“, erklärt Prof. Dr.
Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbands. „Der
Paritätische fordert daher grundsätzlich kostenfreie Verhütungsmittel
für Menschen ohne oder mit geringem Einkommen. Ansonsten
ist es weiterhin Realität, dass Menschen auf günstige, weniger sichere
oder weniger gut verträgliche Verhütungsmittel zurückgreifen oder ganz
auf Verhütung oder Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten
verzichten. Sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive
Gesundheit sind Menschenrechte, die es zu schützen gilt.“
Auch die vertrauliche Beratung gehört zu den sexuellen und reproduktiven
Rechten. Es ist nicht hinnehmbar, dass Ratsuchende – etwa ungewollt
schwangere Frauen oder Frauen, die sich für eine vertrauliche Geburt
entschieden haben und denen per Gesetz absoluter
Schutz ihrer Anonymität zugesichert ist – vor Beratungsstellen auf mit
Plakaten und Holzkreuzen bewaffnete religiöse Eiferer treffen. „Der
Gesetzgeber muss mit Schutzzonen vor Schwangerschaftsberatungsstellen
sicherstellen, dass Beratung geschützt, anonym
und unbeeinträchtigt stattfinden kann“, macht die pro familia
Bundesvorsitzende Dörte Frank-Boegner deutlich.
Es war absehbar, dass die zentrale Liste im Internet mit Ärzt*innen, die
Schwangerschaftsabbrüche durchführen, nie vollständig sein würde. Denn
viele Ärzt*innen wollen in dem gesellschaftlichen Klima der
Stigmatisierung nicht öffentlich mit dem Schwangerschaftsabbruch
in Verbindung gebracht werden. Auf Seiten von fundamentalistischen
Selbstbestimmungsgegner*innen werden Ärzt*innen, die
Schwangerschaftsabbrüche durchführen, als Mörder*innen angeprangert. Die
Politik hat sich gegen die Streichung des §219a StGB und damit
gegen eine Normalisierung von Informationswegen und
Informationsinhalten zum Schwangerschaftsabbruch ausgesprochen. Für
Frauen bedeutet das, dass sie nur über komplizierte Umwege an
Informationen gelangen, die sie für einen sicheren
Schwangerschaftsabbruch
benötigen. Mit dieser Gängelung von Frauen verletzt Deutschland einmal
mehr seine Menschenrechtsverpflichtungen.