Im Visier des Rechtsextremismus: Juden, Muslime – oder letztlich wir alle?

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Grabstein Foto: Kalhh auf Pixnio

Der Täter von Halle wollte in die Synagoge eindringen und möglichst viele jüdische Mitbürger töten. Gott sei Dank hat er das nicht geschafft. Er hat aber zwei andere Menschen erschossen. Nur – über die erfährt man zunächst gar nichts, obwohl die Medien auf Hochtouren laufen. Erst sehr spät nach der Tat sickern nur spärliche Informationen zu den Opfern durch: eine 40-jährige Hallenserin und ein 20-jähriger Kevin S. aus Merseburg sind erschossen worden; über Kevin erfährt man noch, er sei Fan des Halle´schen FC gewesen. Eine Zeitung berichtet, er sei Handwerker gewesen. Mehr nicht, jedenfalls nicht in den überregionalen Medien. Immerhin wird einige Sekunden lang in einer ARD-Sendung die Befragung einiger Freunde von Kevin eingeblendet, die sich über das fehlende Interesse der Medien wundern. Und weiter: es gibt zwei Schwerverletzte, wer sind sie? Wie ist ihr Zustand? Haben sie die Chance zu überleben? Wie geht es ihren Liebsten, für die plötzlich nichts mehr ist, wie es am Vormittag des 9. Oktober war? Und auf wieviele Menschen hat der Täter noch geschossen? Welche Verletzungen haben sie? Wie geht es ihnen?

Man hat den Eindruck, der Schreck über das nur durch Zufall und Glück ausgebliebene Blutbad in der Synagoge hat die meisten Medien blind gemacht für das ganze Bild. Nur schwer lässt sich der Eindruck vermeiden, dass das auf eine Missachtung der wirklichen Opfer hinausläuft. Es scheint, als ginge es um Größeres als um ein paar fast namenlose Opfer. Aber gibt es etwas Größeres? Was soll das sein?

Auch viele der herbeigeeilten Politiker (nicht alle) zeigen diese Schlagseite: der Antisemitismus ist in aller Munde. Natürlich zu Recht, aber was ist mit der Islamfeindlichkeit? Hat der Täter nicht wie selbstverständlich auch einen Dönerimbiss angegriffen? Und hat sogar noch eine andere Waffe aus dem Auto geholt, um noch einmal hineinzulaufen und weiter zu schießen? In seinem Manifest wie in seinem Video hat er doch keinen Zweifel daran gelassen, dass er die „Kanaken“ hasst. Vor allem aber: haben nicht die Täter vom NSU jahrelang Ausländer ermordet, etwa in Köln, wo eine ganze Gasse angegriffen wurde, in der sich viele Ausländer aufhielten? Wo ist der qualitative Unterschied zur Tat von Halle?

Shimon Stein und Moshe Zimmermann, der eine einst Botschafter Israels und der andere Wissenschaftler aus Tel Aviv, haben am 27. Februar in der FAZ darauf hingewiesen, dass nach verschiedenen Umfragen „die Feindschaft gegenüber Muslimen in Europa dreimal so deutlich ausgeprägt ist wie gegenüber Juden“, nach CNN – Umfragen sogar viermal so stark.

Deshalb lehnen sie die Einschätzung ab, der Antisemitismus sei die „höchste Gefahr“. Für sie folgt daraus der „Auftrag, allgemein gegen Rassismus und Nationalismus, also gegen religiösen Fundamentalismus, vorzugehen ..“ Nicht zuletzt sei das effektiver. Es ist also schlichtweg dumm, die eine von den Rechtsextremen ins Visier genommene Opfergruppe gegenüber anderen hervorzuheben. Sie alle müssen sich gemeinsam wehren.

Der rechtsextreme Täter wie sein gedankliches Umfeld nehmen Juden ebenso ins Visier wie Muslime, Feministen ebenso wie Antifaschisten. Grundsätzlich ist ihnen jeder verhasst, der für Menschrechte eintritt; deshalb muss aus ihrer Sicht die Demokratie zerstört werden. Jeder, der ihnen dabei im Weg ist, hat für sie sein Lebensrecht verwirkt. Klarer hätte Stephan B. das seinen Mitbürgern und uns allen nicht demonstrieren können. Das ist die Botschaft, die nun überall verbreitet werden sollte. Es geht gegen uns alle. Und deshalb müssen wir alle, Juden, Muslime, Christen und Atheisten, Redakteure und Politiker, uns dagegen zusammentun. Und jeden einzelnen Menschen, der Opfer der Tat von Halle geworden ist, ernst nehmen. Auch wenn wir zweien von ihnen nur noch gedenken können.

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