Haubitzen, Panzer und Joschka Fischers Kinder

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Prof. Dr. Heribert Prantl war 25 Jahre lang Leiter des Ressorts Innenpolitik der SZ, sodann Leiter des neugegründeten Ressorts Meinung. Acht Jahre lang war er Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Seit seinem altersbedingten Ausscheiden aus diesen Ämtern zum 1. März 2019 ist er Kolumnist und Autor der SZ.

Von Heribert Prantl

Es war in den Ferien auf Kreta, vor 22 Jahren, meine Kinder waren noch klein und ich stand, wie ich es gerne tue, sehr früh auf – und schrieb in der Urlaubsfrühe ein Buch zu Ende, an dem mir damals sehr gelegen war. Das war 1999. Es war eine erste Bilanz nach dem ersten Jahr der rot-grünen Regierung im Bund, unter Kanzler Gerhard Schröder und seinem Vizekanzler, dem Außenminister Joschka Fischer. Meine Bilanz war sehr gemischt und in der Mischung war viel Enttäuschung. Zur Frage, wie grün die Grünen noch sind, schrieb ich damals die Kapitelüberschrift: „Regieren essen Seele auf.“ Und ich zitierte einen Satz, den Kurt Tucholsky über die Sozialdemokraten der Weimarer Republik gesagt haben soll: „Sie dachten, sie wären an der Macht; aber sie waren nur in der Regierung.“

In diesem Buch „Rot-Grün. Eine erste Bilanz“ habe ich noch einmal geblättert, als ich mir jetzt Gedanken zum Ukraine-Krieg gemacht habe und dazu, warum die Grünen ihre pazifistischen Wurzeln so radikal abgeschnitten haben. Warum sind die Grünen heute die stärksten Befürworter der Lieferung von deutschen Kriegswaffen? Warum wird in dieser Partei über das Für und Wider kaum diskutiert? Es ist der Philosoph Jürgen Habermas (SZ Plus), nicht eine Gruppierung der Grünen, der über eine „kriegstreiberische Rhetorik“ klagt. Es ist der eher konservative Politikwissenschaftler Peter Graf Kielmannsegg, der angesichts der atomaroen Risiken über die Ungewissheit eines Dilemmas schreibt, „das äußerste Vorsicht und Zurückhaltung gebietet“. Von dieser Vorsicht und Zurückhaltung ist bei den Grünen wenig zu spüren. Ihr Umweltpolitiker Anton Hofreiter, ein ehemaliger Pazifist, rasselt so lustvoll die Typenbezeichnungen von zu liefernden Panzern und Raketen herunter, dass ihm ein alter General in der Talkshow entgegenhält, er wolle sich von einem Kriegsdienstverweigerer wie Hofreiter nicht sagen lassen, wie man einen Krieg führt.

„Die grüne Seele verraten“

Die Grünen streiten nicht mehr über das, was Antje Vollmer, die frühere grüne Bundestags-Vizepräsidentin, die „Friedensfrage“ nennt. Vollmer sagt im Gespräch mit der SZ (SZ Plus), sie erkenne ihre grüne Partei hier fast nicht wieder: „Damit wird für mich die grüne Seele verraten. Ohne die pazifistischen Wurzeln wären wir nie in den Bundestag gekommen.“  Nur „in der Ökologiefrage“ sei die Partei noch in der Spur.

Ich habe mich daher daran erinnert, wie die Grünen damals, 1999, in der ersten rot-grünen Regierung, konzentriert und erbittert über die deutsche Beteiligung am Nato-Krieg in Jugoslawien-Krieg diskutiert haben – stellvertretend für die ganze deutsche Gesellschaft. Damals wurde, so sagten es damals die Kritiker der deutschen Kriegsbeteiligung, aus dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ ein neues, anderes Motto: „Frieden schaffen mit aller Gewalt“.  Ist das auch das Motto der Grünen heute? Stellt euch vor, es ist Krieg – und die Friedensbewegung ist nicht mehr da: Der Kalauer wurde schon damals, 1999, erzählt; aber damals war die Friedensbewegung, damals war der Pazifismus noch am Leben; und er stritt mit Schröder und mit Fischer, laut, bisweilen sehr laut, vorlaut und kreischend. Heute, zu Zeiten von Scholz und Habeck, herrscht Ruhe; aus den Reihen der Grünen gibt es keine Kritik mehr.

Joschka Fischers Kinder: Sie sind viele!

Warum ist das so? Antje Vollmer sagt zur jungen Generation der Grünen, die stark vertreten im Bundestag sitzt: Ihr seid alle Joschka Fischers Kinder! Das ist nun nicht per se ehrenrührig. Man fragt sich freilich, wo denn die politischen Kinder der Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner von einst, wo die politischen Kinder von Christian Ströbele und Antje Vollmer eigentlich sind? Gibt es sie nicht – und wenn ja, warum nicht? Oder gibt es sie – aber nicht mehr in der grünen Partei, weil die sich von der heute ohnehin randständigen Friedensbewegung komplett abgenabelt hat?
SZPlusPrantls Blick: Die Grünen als die neue CDU
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Das ist eine Denkaufgabe für die Pfingstwoche.

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