Gedanken im November 2017

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Von Meinhard Miegel

Bildung, Bildung, Bildung

Menschen reden vorzugsweise von dem, was sie nicht haben: Kranke von der Gesundheit, Arme vom Geld, Regengeplagte vom Sonnenschein. Und wovon wird hierzulande geredet? Folgt man beispielsweise den aktuellen Parteiprogrammen, scheint es kein wichtigeres Thema zu geben als Bildung. Sie sei unsere Zukunft, unser Schicksal. Und folglich soll unentwegt gebildet werden, vom Säuglings- bis zum Greisenalter. Steht es wirklich so schlecht um die Bildung?

Nicht wenn es darum geht, die Menschen zu wirtschaftlich produktiven Gliedern der Gesellschaft zu qualifizieren. Da macht niemand den Deutschen so schnell etwas vor. Diese können zumeist nicht nur lesen, schreiben und rechnen, sondern sind auch sonst leistungsstark genug, um in der ersten Liga der wirtschaftlich entwickelten Länder mitspielen und einen materiellen Lebensstandard genießen zu können, der im historischen Vergleich keine und im internationalen Vergleich nur wenige Parallelen hat. Blinder Alarm also?

Nicht, wenn es bei Bildung um mehr gehen soll als die Qualifikation zum Broterwerb. Nicht, wenn sie das Individuum zu voller Entfaltung seiner Anlagen befähigen und erst recht nicht, wenn sie eine friedliche, tolerante, humane und nachhaltig wirtschaftende Gesellschaft ermöglichen soll. Das aber ist nach den Worten des amerikanischen Autors Robert Frost ihr eigentlicher Kern: die Befähigung, „fast alles anhören zu können, ohne die Fassung oder das Selbstvertrauen zu verlieren“.

Wird Bildung auch so verstanden und vielleicht noch ergänzt um Fairness, Mitmenschlichkeit, Anstand und Gemeinsinn, dann steht es in der Tat nicht gut um sie. Dann säßen nicht in hohen und höchsten Positionen viel zu viele Männer und Frauen, die nur darauf aus sind, ihre Mitbürger in die Irre zu führen und gnadenlos zu übervorteilen. Dann wären die sozialen Netzwerke – in den Worten des britischen Historikers Timothy Garton Ash – nicht zur „größten Kloake der Menschheitsgeschichte“ verkommen, triefend vor Hass und Häme. Dann müsste nicht ständig an mehr Gerechtigkeitssinn, solidarisches Verhalten oder ganz generell an größere Rücksichtnahme appelliert werden. Das alles verstünde sich in einer wirklich gebildeten Gesellschaft von selbst.

Doch die Gesellschaften von Ländern wie Deutschland sind nicht wirklich gebildet. Vielmehr sind sie mehr oder minder lockere Zusammenschlüsse von Erwerbsqualifi-zierten. Das hat sie gemessen an ihren BIP-Zahlen weit gebracht. Ihr gesellschaftliches Gefüge ist jedoch darüber morsch geworden. Eine größere Erschütterung – und es droht zusammenzubrechen.

Wer oder was ist hierfür ursächlich? Bildung beginnt im Elternhaus. Aber immer mehr Elternhäuser sind selbst nicht mehr bildungsfähig und immer weniger Großeltern vermögen, die Defizite auszugleichen. Das einmal Versäumte lässt sich in den Schulen nur noch bedingt nachholen, zumal diese ja in erster Linie „Humankapital“ in des Begriffes engster Bedeutung bilden sollen.

Bleiben Kirchen, Vereine, Zeitungsredaktionen, Medienanstalten, Filmemacher und andere mehr. Oft sind sich diese ihres gesellschaftlich unverzichtbaren Bildungsauftrags aber gar nicht bewusst und nicht selten torpedieren sie sogar die Bemühungen anderer. Wenn ein Wort wie „Rüpelrepublik“ die Runde macht, darf wohl gefragt werden, woher diese Rüpel kommen.

Nach mehr Bildung zu rufen ist wohlfeil. Zu erklären, was das sein soll, ist ungleich anspruchsvoller. Hieran sollten alle die bildungsbeflissenen Politiker denken. Denn mit der Bildung, die sie zumeist im Munde führen, lässt sich vielleicht das Bruttosozialprodukt erhöhen. Aber ein vitales Gemeinwesen lässt sich auf ihr weder gründen noch aufrechterhalten.

 
 

 

 

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