Fünf Erkenntnisse angesichts der Niederlage der NATO in Afghanistan

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Abzug in Afghanistan Foto Pixabay

Es ist schon viele Jahre her, da berichtete ein Hubschrauberpilot der Bundeswehr vor Schülern in Gifhorn über seine Erfahrungen in Afghanistan. Die meisten Schüler waren recht erstaunt, als ihnen der Gast eine tief pessimistische Darstellung vortrug.

Er berichtete etwa über Einsätze in Dörfern, wo man sich oft wie in Feindesland bewege: „Mit uns (den Soldaten der Bundeswehr, A. M.) reden die Afghanen ja noch, mit den Amerikanern aber schon lange nicht mehr!“ Jedenfalls standen die Schilderungen und Einschätzungen des „Mannes vor Ort“ in deutlichem Kontrast zu den Darstellungen der Politik – und auch der meisten Medien.

Heute wissen wir, dass sich die Realität irgendwann Bahn bricht, auch wenn es eine ganze Reihe von Jahren dauern kann. Wer will, kann daraus eine Menge lernen. Dass nicht jeder dazu bereit sein wird, steht auf einem anderen Blatt.

Erste Erkenntnis: Wer anderen Völkern sein System aufzwingen will, muss scheitern

Diese Erkenntnis ist nicht gerade neu. 1979 marschierte die Rote Armee der Sowjetunion in Afghanistan ein. Die afghanische Bevölkerung wurde als rückständige Masse eingeschätzt, die zu ihrem Glück gezwungen werden müsse. Man werde dieser immer noch feudalistisch geprägten Gesellschaft den Fortschritt bringen (nicht zuletzt auch Frauenrechte) und so ihre Zustimmung und Unterstützung erlangen. Zehn Jahre später verließ der letzte sowjetische Soldat das Land – der neue Parteichef Gorbatschow hatte erkannt, dass das Unterfangen aussichtslos war, und war den Rückzug planvoll angegangen. Als Machthaber des Übergangs war schon vorher Mohammed Nadschibullah eingesetzt worden, der aber schon wenige Jahren nach Abzug der Roten Armee scheiterte (später, 1996, ermordeten ihn die Taliban).

Nun müssen nach 20 Jahren „Aufenthalt“ In Afghanistan auch die westlichen Staaten einsehen, dass sie gescheitert sind. Viele Faktoren haben das bewirkt. Allein die Tatsache, dass die Taliban so leicht die Macht erobern konnten, deutet darauf hin, dass sie – trotz der wirklich üblen Erfahrungen von 1996 bis 2001 – in Teilen der afghanischen Bevölkerung auf abwartende Duldung, in Teilen sogar auf Zustimmung rechnen können. Das gilt auch für große Teile der afghanischen Armee, die offenbar nur noch wenig Motivation hatten, für den neu eingerichteten Staat und dessen Führung zu kämpfen. Die Truppen der NATO, vor allem der USA, wurden – nach anfänglicher Unterstützung – zunehmend als Besatzer empfunden, die auf der Jagd nach Terroristen nach Lust und Laune in private Häuser eindrangen oder per Drohne auch Hochzeitsgesellschaften nicht verschonten.

Zweite Erkenntnis: Gute Politik muss von Tatsachen ausgehen, nicht von Wunschdenken oder Ideologie

Es ist unbenommen, dass Bürger westlicher Gesellschaften ihre gesellschaftliche und staatliche Organisation bevorzugen. Umso besser, wenn sie aktiv gegen deren Schwächen und Missstände vorgehen und vor allem Gefährdungen der Freiheit bekämpfen. Je besser das gelingt, desto stärker mag das westliche liberale System einst auch auf andere Völker als Vorbild ausstrahlen (zur Zeit sind wir allerdings weit davon entfernt, wenn wir nur an Julian Assange oder an Edward Snowden denken). Die Völker und die Staatschefs mögen auch gerne einander mitteilen, was ihnen am System des anderen kritikwürdig erscheint. Aber es muss eine klare Grenze geben: niemals sollten Staaten anderen Staaten vorschreiben, was richtig oder falsch ist, seien es die westlichen Staaten oder andere. Schon gar nicht mit militärischer „Handschrift“. Alle Erfahrungen der letzten 20 Jahre zeigen, dass das nicht nur erfolglos bleibt, sondern zumeist viel umfassendere Probleme hervorruft. Das lässt sich leider klar erkennen in den Ländern, in denen es westliche Interventionen gab: Irak, Libyen, Afghanistan usw. usf. Im Namen der westlichen Werte wurde hier ein unglaubliches Chaos angerichtet, das bis heute weitreichende Auswirkungen hat (wie etwa der Ausbreitung des waffenstarrenden Djihadismus in der Sahelzone oder die massiven Fluchtbewegungen nach Europa).

Wunschdenken ist es, wenn wir unsere Ordnung als die bestmögliche aller Zeiten sehen, als „alternativlos“. Und wenn wir glauben, dass alle Afghanen das auch so sehen: „Wir wollen doch nur das Beste für Euch – das müsst Ihr doch einsehen!“ Wenn wir dann alle Informationen und Äußerungen wegschieben, die dem widersprechen, sorgen wir dafür, dass unsere Verbindung zur Realität immer weiter gekappt wird. Margot Käßmann, die schon vor Jahren gesagt hat „Nichts ist gut in Afghanistan“, hat das zu spüren bekommen. Kritischen Äußerungen von anderer Seite, etwa von der Linken, wurden ähnlich behandelt. Nach solch erfolgreicher Verdrängung wird dann einfach davon ausgegangen, dass es so ist, wie es sein muss – denn es kann ja gar nicht anders sein. Denn „wir sind die Guten“.

Dritte Erkenntnis: Wenn die Politik am Wunschdenken klebt, braucht es kritische Medien – sonst ist das Scheitern programmiert

Man kann festhalten, dass die deutsche Bevölkerung diesem Wunschdenken nie so richtig gefolgt ist. Die Skepsis gegenüber dem Militäreinsatz war weit verbreitet. Zum Beispiel schon im Jahre 2007, als Deutschland mit sechs Tornados begann, Zielbilder in Afghanistan zu erstellen, die dann von den Militärs anderer Nationen für Bombardierungen genutzt werden konnten, war die Mehrheit der Deutschen dagegen.

Leider muss man feststellen, dass das Gros der deutschen Medien weitgehend dem Kurs der Politik gefolgt ist. Nur selten wurde der Finger in die Wunde gelegt, obwohl es viele Gelegenheiten dazu gegeben hat. In einer lebendigen Demokratie ist genau das Aufgabe der Presse. Im Großen und Ganzen hat sie diese Aufgabe unzureichend oder gar nicht erfüllt.

Beispiel: weder als Donald Trump das Abzugsabkommen mit den Taliban über den Kopf der afghanischen Regierung aushandelte noch als Joe Biden deutlich gemacht hatte, dass er Trumps Politik fortsetzen wird, erfolgten kritische Analysen in den Medien. Es wurde kurz vermeldet, ansonsten „Schwamm drüber!“ Dabei war ganz klar, welche Folgen das haben würde (siehe Braunschweig-Spiegel, 18. Mai lange bevor die Mainstreammedien dies auf dem Bildschirm hatten (b.k.)) . Dass diese Folgen nun etwas früher eingetreten sind, ist dagegen ziemlich belanglos.

Vierte Erkenntnis: die NATO ist kein Bündnis Gleichberechtigter, sie ist aktuell eine Gefolgschaft der USA

Als Biden entschieden hatte, die Truppen der USA abzuziehen, gab es in der NATO durchaus interne Kritik. „Intern hatten sich alle europäischen Verbündeten und Kanada dafür eingesetzt, den Einsatz zu verlängern, bis es zu einem Deal über die künftige Machtteilung im Land gekommen wäre“, schreibt die FAZ (18. August 2021); und weiter: “Bidens Entscheidung stieß auf Bedauern, ja Entsetzen, doch fügten sich alle Verbündeten. Offene Kritik gab es nicht.“ Obwohl allen Beteiligten klar war, welche katastrophalen Konsequenzen sich für das afghanische Volk ergäben: Man ging allgemein davon aus, dass nun ein Bürgerkrieg entbrennen würde, der wahrscheinlich damit enden würde, dass die Taliban siegten – vielleicht in sechs bis neun Monaten.

Das Beispiel zeigt: im „Bündnis“ wird nicht wirklich gemeinsam entschieden, sondern gefolgt – den USA. Wenn man an die Politik der USA gegenüber China oder Russland denkt, wird schnell klar, dass diese Art der Gefolgschaft gefährlich werden kann. Sie kann sogar dafür sorgen, dass man in einen großen Krieg hineingezogen wird. Amerikas Interessen sind aber nicht identisch mit denen Europas. Wenn die USA immer stärker eine Front gegen China aufbauen, haben sie in erster Linie das Ziel, den weiteren Aufstieg eines Konkurrenten für ihre Weltmachtstellung zu verhindern. Da könnte das Ziel, durch Vereinbarungen mit China den Kampf einzuhegen und in sichere Bahnen zu leiten, eher hinderlich sein. Die europäischen Interessen drohen also unter die Räder zu geraten.

Selbst denjenigen, die die NATO befürworten, kann das nicht gleichgültig sein. Sie müssen darauf beharren, dass die Europäer ihre Interessen in der NATO konsequent vertreten und dabei auch einer Auseinandersetzung mit den USA nicht ausweichen. Und dass sie, wenn es hart auf hart geht, per Veto die Gefolgschaft verweigern (NATO-Beschlüsse müssen einstimmig erfolgen).

Fünfte Erkenntnis: „Mehr Verantwortung für die Welt übernehmen“ hat nur wenig mit Militär zu tun – anders als die deutsche Elite ständig behauptet

Seit spätestens 2014 hat sich in der deutschen politischen Elite das Wort von „mehr Verantwortung in der Welt“ festgesetzt. Geht man vom Wortsinn aus, klingt das zunächst gar nicht schlecht. Man könnte dabei an eine wirksame weltweite Politik gegen den Klimawandel denken. Oder an eine umfassende Politik zur Bekämpfung von Pandemien und gegen das Hungern in Teilen der Menschheit.

Seltsamerweise läuft die „Verantwortung“ bei den meisten deutschen Außenpolitikern aber immer auf die Aufrüstung der Bundeswehr und auf die Beteiligung an Militäreinsätzen hinaus: man wolle dem „Spielgeschehen“ nicht nur von der Seitenlinie zuschauen, man werde von den andern Staaten nur ernstgenommen, wenn man militärisch „etwas zu bieten“ hätte. In diesem Sinne hat Frau Kramp Karrenbauer nun sogar eine Fregatte nach Asien in Marsch gesetzt.

Selbst für diejenigen, die überzeugt sind, dass man nicht auf die Bundeswehr verzichten darf, sollte aber nachvollziehbar sein, dass die Entwicklung einer eigenständigen Politik Deutschlands und Europas – unabhängig von den USA – wesentlich wichtiger ist als jede „militärische Komponente“. Die Entwicklung in Afghanistan zeigt das sehr deutlich, wo man schließlich von der Seitenlinie hinter den USA her mitten ins Feld gerannt – und in einem Sumpf gelandet ist.

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