Von Ines Richlick
Am 27.1.2023 wurden zwei Antifaschistinnen am Amtsgericht Braunschweig am zweiten Verhandlungstag wegen Beteilung an einer Sitzblockade vom Tatvorwurf der Nötigung gemäß § 240 StGB freigesprochen. Die beiden Angeklagten hatten gegen einen am 18.12.2021 zugestellten Strafbefehl i. H. v. 30 Tagessätzen à 15 bzw. 30 EUR Einspruch eingelegt.
Einer im Vorfeld von Richterin Weidelhofer angebotenen Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 a StPO gegen eine Geldauflage von ca. 250 bis 500 EUR wurde durch Strafverteidiger Moritz Jonas Müller nicht zugestimmt. Eine Einstellung ohne Auflagen gemäß § 153 StPO kamen sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch die Richterin nicht in Betracht, u. a. mit der Begründung, dass andere Betroffene schließlich den Strafbefehl akzeptiert hätten.
Die Vorgehensweise in dieser ganzen Strafsache war erstaunlich. Am Rande des AfD-Landesparteitages in der Braunschweiger Milleniumhalle hatten am 3.7.2021 über 40 Demonstrierende die Münchenstraße in Höhe der Shelltankstelle sitzenderweise blockiert und einige Fahrzeuge über eine Dreiviertelstunde lang an der Weiterfahrt gehindert.
Die Staatsanwaltschaft legte den Angeklagten daher eine Nötigung in gemeinschaftlicher Tatausführung und in arbeitsteiliger Vorgehensweise ab 9:02 Uhr zur Last. Wie die Beweisaufnahme ergab, hatte die Polizei die Blockierenden über mehrere Lautsprecherdurchsagen aufgefordert, die Fahrbahn zu räumen und sich auf den Fußweg zu begeben. Nachdem die Demonstrierenden dem nicht nachgekommen waren, wurden sie um 9:40 Uhr umstellt und durch Schieben und Drücken bis 9:48 Uhr von der Fahrbahn geschafft. Anschließend wurden ihre Personalien aufgenommen.
Später stellte man offensichtlich fest, dass zur Strafverfolgung die Geschädigten fehlten, so dass umfangreiche Nachermittlungen in die Wege geleitet wurden. Dabei wurden einige Videos ausgewertet, darauf KFZ-Kennzeichen gesichtet, 3 Fahrzeug-Haltende und Führende ermittelt und Letztere zur zeugenschaftlichen Aussage geladen.
So sagte der Polizeibeamte J. der Polizeiinspektion Braunschweig in der Hauptverhandlung aus, dass man um 9:31 Uhr mit der Rückführung der blockierten Fahrzeuge begonnen habe. Der Fahrer des LKW des Fruchthofes Northeim habe bis 9:36 Uhr gestanden, sei dann nach Aufforderung rückwärts gefahren und habe um 9:39 Uhr seine Fahrt fortgesetzt. Der Stadtbus vor ihm habe anschließend ebenfalls seine Fahrt fortsetzen können. Die beiden Veranstaltungstechniker von Watt und Volt, die mit ihrem LKW zur Milleniumhalle wollten, hätten wenden können, hätten von ihrem Chef aber den Auftrag bekommen, zu warten, bis der direkte Weg zur Halle frei gewesen sei.
Die Fahrer der beiden LKW bestätigten diese Angaben vom Ablauf her vor Gericht. Der Fahrer des Stadtbusses verschriftlichte seine Zeugenaussage vom Krankenbett aus und betonte dabei, dass die Blockierenden explizit den Weg für einen durchfahrenden Krankenwagen freigemacht hätten.
Wie bereits nach entsprechenden Urteilen in gleichgelagerten Fällen bei einer anderen Richterin kamen hier der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Verteidiger Müller und Richterin Weidelhofer zu dem Schluss, dass man den beiden Angeklagten nur ihre Anwesenheit innerhalb der Umstellung ab 9:40 Uhr nachweisen könne, nicht aber ihre Anwesenheit in der Blockade ab 9:02 Uhr. Zum Zeitpunkt der Räumung hätten nur noch 2 Fahrzeuge gestanden. LKW-Fahrer F. in zweiter Reihe habe seine Fahrt schon um 9:39 Uhr, also zum Zeitpunkt der Umkesselung fortsetzen können. Der vor ihm stehende Busfahrer somit direkt danach. Die für eine Verurteilung erforderliche gewisse Dauer der Gewalteinwirkung sei hier nicht mehr gegeben gewesen.
Die Angeklagten wurden daher aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Kosten und Auslagen gehen zulasten der Landeskasse (10 Cs 701 Js 65140/21 und 10 Cs 702 Js 64479/21).
Zur Zweite-Reihe-Rechtsprechung des BGH, bestätigt durch das BVerfG siehe hier.
Vermutlich dürfen sich die Freigesprochenen nicht allzu früh freuen. In gleichgelagerten Fällen legte die Staatsanwaltschaft bereits Berufung ein, so dass diese am Landgericht weiterverhandelt werden. Dort wurden bereits mehrere Einstellungen nahegelegt. Ein Urteil ist der Berichterstatterin bislang nicht bekannt.