Freies Wort zu Israel und Palästina

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Das Friedenszentrum Braunschweig nimmt den Beschluss des Bundestages, der BDS-Bewegung entschlossen entgegen zu treten und den Antisemitismus zu bekämpfen, mit Besorgnis zur Kenntnis.

Es ist wichtig, jede Form des Antisemitismus zu bekämpfen und alle Angriffe gegen Juden zu verurteilen. Kritik an der Politik des Staates Israel hat nichts mit der Ablehnung  des Existenzrechts des Staates Israel zu tun und ist nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen. Die BDS-Bewegung wendet sich gegen die Politik der israelischen Regierung. Selbst wenn man diese Kritik nicht teilt, sollte man doch ihren Verfechtern das Recht zubilligen, sich gegen die völkerrechtswidrige Besetzung des Westjordanlandes zur Wehr zu setzen. Parteinahme für diese aus Notwehr geborene Bewegung sollte daher auch nicht als Antisemitismus diskriminiert werden.

Das unverzichtbare Recht auf Meinungsfreiheit als ein Mittel der demokratischen Willensbildung  ist auch gegenüber dem Staat Israel gültig. Durch den Beschluss des Bundestages, sehen wir dieses Recht gefährdet. Tatsächlich gab es vielerorts Behinderungen  für israelkritische Veranstaltungen.

Wir dokumentieren hierzu im folgenden den Brief der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs – Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.):

„An die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

70 Jahre Grundgesetz – Das Recht auf Meinungsfreiheit ist in Gefahr. Für das freie Wort zu Israel und Palästina.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Recht auf Meinungsfreiheit ist 70 Jahre nach Einführung des Grundgesetzes weiterhin ein unverzichtbares Recht und ein Mittel für die demokratische Willensbildung. Daher wissen wir als Friedens- und Menschenrechtsorganisationen seine Formulierung im Grundgesetz sehr zu schätzen. Allerdings sehen wir es aktuell gefährdet. Wir setzen uns seit vielen Jahren gewaltfrei und dialogorientiert für einen Frieden in Israel und Palästina ein, der auf Menschenrechten und Völkerrecht beruht. Leider beobachten wir, wie in diesem Bereich zunehmend das Recht, sich frei zu äußern auch hier in Deutschland eingeschränkt wird.

Einige Kommunen, Bundesländer und zuletzt auch Fraktionen im Bundestag sind derzeit dabei, diese wertvolle Voraussetzung für eine freie Gesellschaft und für das Gelingen der Demokratie einzuschränken. Raumverbote in Essen, München, Frankfurt, Berlin, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg sowie die Bundestagserklärung von SPD, Union, FDP und Grünen: „ Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“ haben zur Konsequenz, dass Debatten z.B. über zivilen Widerstand gegen die israelische Regierungspolitik von vornherein verhindert werden, anstatt sie politisch und konstruktiv auszutragen. Ergebnis ist, dass Informations- und Solidaritätsveranstaltungen zu den von der israelischen Regierung und den israelischen Sicherheitskräften begangenen Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das Völkerrecht behindert und verhindert werden.

Dabei garantiert das Grundgesetz, dass Bürger*innen in diesem Land nicht nur verschiedene Meinungen haben dürfen, sondern diese auch öffentlich vertreten dürfen. Dem Staat ist jede Zensur verboten. Er darf die öffentliche Meinungsbildung nicht einschränken (Grundgesetz Artikel 5). Die Einschränkung der Meinungsfreiheit bringt unsere Demokratie in Gefahr.

Wir sehen dies im Zusammenhang mit einer Kampagne, die im Jahre 2016 von der Regierung des Staates Israel unter dem Titel „Anti-BDS“ beschlossen wurde. Yisrael Katz, Israels Außen- und Verkehrsminister sowie Minister für die Nachrichtendienste, sprach damals von der „gezielten zivilen Eliminierung“ („civil targeted elimination“) von BDS-Anführern mit Hilfe der Geheimdienste. Beim Ministerium für öffentliche Sicherheit und strategische Angelegenheiten (Ministry of Public Security and Strategic Affairs) wurde im selben Jahr eine „Anti-BDS“- Abteilung eingerichtet. Der zuständige Minister, Gilad M. Erdan, erklärt seitdem seine Entschlossenheit, die BDS-Bewegung weltweit mit „allen mir verfügbaren politischen, geheimdienstlichen und sonstigen Mitteln“ zu eliminieren.

Tatsächlich sind umfängliche Interventionen zu verzeichnen. Sie richten sich gegen Organisator*innen von Vorträgen an Hochschulen und Volkshochschulen, in Kirchengemeinden, auf Literaturmessen, in Eine-Welt-Häusern (München, Nürnberg), gegen Nicht-Regierungsorganisationen, Einzelpersonen wie z.B. Wissenschaftler*innen, Friedensforscher*innen und Schriftsteller*innen. Mittels öffentlichkeitswirksamer Kampagnen und durch Telefonanrufe und E-Mails bei einflussreichen Persönlichkeiten wie z.B. bei Bürgermeister*innen und Journalist*innen, begleitet von Briefen und Artikeln in lokalen, überregionalen und sogar in internationalen Zeitungen, werden Veranstalter*innen, Bildungsträger*innen oder Vermieter*innen von Veranstaltungsräumen so massiv unter Druck gesetzt und mit Antisemitismusvorwürfen konfrontiert, dass viele Veranstaltungen abgesagt wurden.

Verhindert wurden so Veranstaltungen, die z. B. die israelische Militärbesatzung palästinensischer Territorien, den israelischen Siedlungsbau auf besetztem Gebiet, die gescheiterte internationale Politik der „Friedensprozesse“, die Ausgrenzung der palästinensischen Bevölkerung innerhalb Israels oder Flüchtlingslager zum Thema haben. Die Vorwürfe des Antisemitismus treffen dabei oft auch jüdische Referent*innen.

Der Auseinandersetzung mit real existierenden antisemitischen Stereotypen und Aktionen dient es nicht, wenn das Wort „Antisemitismus“ einen nahezu inflationären Charakter bekommt. Laut einer Studie, die Innenminister Horst Seehofer am 14. Mai 2019 vorgestellt hat, kommen fast 90% der antisemitischen Straftaten, die erschreckend zugenommen haben, aus dem rechtsextremen Lager. Die undifferenzierte Bezeichnung aller Kritiker*innen israelischer Regierungspolitik als “Antisemit*innen“ geht an der Realität vorbei: Die Politik einer Regierung zu kritisieren und auf die Einhaltung des Völkerrechts und die Wahrung von Menschenrechten zu pochen, ist nicht mit der Ablehnung des Existenzrechts eines Staates gleichzusetzen. Im Gegenteil: die Sorge um die Existenz des Staates Israel gebietet, dass die Spirale der Gewalt nicht immer weiter gedreht wird, sondern dass auf einen dauerhaften gerechten Frieden gedrängt wird. Dieser kann nur im Dialog erreicht werden.

Wir protestieren ausdrücklich gegen den Beschluss des Bundestages vom 17. Mai 2019, der unserer Einschätzung nach die Meinungsfreiheit begrenzt und bitten Sie: Stehen Sie zu Artikel 5 des Grundgesetzes, der diese garantiert! Setzen Sie sich für einen gerechten Frieden in Israel und Palästina ein, der Völkerrecht und Menschenrechte sowohl Israel*innen als auch Palästinenser*innen garantiert.

Unterzeichner*innen:

Forum Friedensethik (FFE) in der Evangelischen Landeskirche in Baden, Frauen wagen Frieden, IPPNW Deutschland, Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München, Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Kooperation für den Frieden, KURVE Wustrow, Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF), pax christi Nahostkommission, Ver-söhnungsbund, Zentrum für Friedenskultur (ZFK)“

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