Den Film „Ithaka“ sollte jeder sehen, dem Pressefreiheit und Demokratie wichtig sind

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Julian Assange Screenshot aus ARTE Film

Die Initiative ist erfreulich: Ann Claire Richter und Henning Noske von der Lokalredaktion der Braunschweiger Zeitung haben ausführlich auf den Film Ithaka hingewiesen, der den Fall des Julian Assange auf ungewöhnliche Weise aufrollt. Sie haben zur Filmvorführung eingeladen und den Abend moderiert; wenn auch für die Diskussion nach dem Film nicht mehr genügend Zeit war, kam immerhin klar zum Ausdruck, dass alle Zuschauer erschüttert und entsetzt waren, „dass so etwas möglich ist“ – in demokratischen Staaten.

Julien Assange, Gründer von Wikileaks, hat geheime Dokumente über Kriegsverbrechen des US-Militärs in Afghanistan und im Irak veröffentlicht. In keinem der dokumentierten Fälle ist in den USA gegen die Täter Anklage erhoben worden, dagegen wird Assange seit 11 Jahren unter verschiedenen Vorwänden verfolgt. Nachdem er sieben Jahre in der ekuadorianischen Botschaft Zuflucht gesucht hatte, wurde er schließlich verhaftet und in Belmarsh, dem härtesten englischen Hochsicherheitsgefängnis, eingekerkert – in Einzelhaft. Inzwischen beantragen die USA ganz offen die Auslieferung Assanges. In den USA käme er vor Gericht, wo ihm wegen des Vorwurfs der Spionage 175 Jahre Haft oder sogar die Todesstrafe drohen.

Vier Jahre im Hochsicherheitsgefängnis in Einzelhaft – wie lange hält Assange das noch durch?

Das englische Gericht ist den Argumenten der USA weitgehend gefolgt. Es hat die Auslieferung Assanges lediglich vorläufig abgelehnt, weil dieser suizidgefährdet sei. Die USA geben ihr Bestreben nicht auf und bringen vor, dass Assange in den USA fachkundig psychologisch behandelt werden könne – um ihn für immer hinter Gefängnismauern verschwinden zu lassen. Das Gericht hat ebenfalls abgelehnt, ihn gegen Kaution und unter Bedingungen freizulassen. So scheint es nur eine Frage der Zeit, dass Assange, der hörbar angeschlagen ist, zusammenbricht, sich selber umbringt oder den Verstand verliert, wie sein Vater befürchtet.

Der Film verfolgt, wie der Vater John Shipton und die Partnerin Stella Morris um die Freilassung Julians kämpfen, zwischen Hoffnung und stets folgender Enttäuschung hin und hergerissen, in ständiger Angst um ihren Sohn bzw. Partner (und Vater ihrer zwei Kinder). Man spürt auf beklemmende Weise, wie schwer es ist, Julian in den Telefongesprächen Trost oder gar neue Hoffnung zu geben. Beide geben trotzdem in nüchternen Worten Auskunft. Aufgeben können und wollen sie nicht.

Sonderbeauftragter der UNO: „Assange – Geschichte einer Verfolgung“

Der Schweizer Nils Melzer, von 2016 bis 2022 Sonderbeauftragter der UNO für Folter, hat sich umfassend mit dem Fall befasst. Die Ergebnisse hat er in dem Buch „Der Fall Julian Assange. Geschichte einer Verfolgung“ ausführlich dargelegt. Der folgende Satz lässt sich als Quintessenz seiner Untersuchung verstehen:

In 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung habe ich noch nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengetan hat, um eine einzelne Person über einen so langen Zeitraum und mit so wenig Rücksicht auf die Menschenwürde und die Rechtsstaatlichkeit absichtlich zu isolieren, zu dämonisieren und zu misshandeln.“

Ja, er meint hauptsächlich die USA, Großbritannien und Schweden. Aber was ist mit den anderen demokratischen Staaten, nicht zuletzt unserer Bundesrepublik? Setzen sie sich klar gegen das Unrecht ein? Unsere Außenministerin etwa, die den Russen und Chinesen (und vielen andern) gern in scharfen Worten die Leviten liest – warum schweigt sie? Obwohl sie doch bei jeder Gelegenheit die westlichen Werte in allgemeiner Form beschwört.

Dabei ist doch offensichtlich, dass es hier um nichts anderes als die Pressefreiheit geht. Julians Vater hat trocken festgestellt: „Wenn er (Julian, A.M.) untergeht, geht auch der Journalismus unter.“ Denn jeder Journalist oder Informant, der auch nur kurz überlegt, ob er eine brisante Information weitergibt, die mächtige Interessen wie die der USA berührt, wird es sich künftig zweimal überlegen, ob er das Schicksal Julian Assanges erleiden will. Insofern hat Nils Melzer Recht, wenn er im Film sagt, dass die Unterdrücker schon jetzt gewonnen hätten, denn die Abschreckungswirkung sei ja längst erreicht worden.

Braunschweig: Free Assange?

Trotzdem – die meisten Besucher der Filmvorstellung waren nicht nur erschüttert, im Mittelpunkt der begonnenen Diskussion stand die Frage, ob und wie man den Kampf ums Assanges Freilassung unterstützen könne. Klar ist, dass eigentlich unsere gesamte Medienwelt wie ein Mann oder eine Frau dafür eintreten müsste. Denn der Fall Assange ist mit der lebenswichtigen Frage der Pressefreiheit unlösbar verbunden. Ein Zuschauer brachte das zum Ausdruck, indem er forderte, die Zeitung müsste jeden Tag die Forderung nach Assanges Freilassung in plakativer Form enthalten. Für die Braunschweiger Zeitung wäre es schon ein großer Schritt, wenn die Zentralredaktion dem mutigen Schritt der zwei Lokalredakteure folgte.

Und schließlich: vielleicht kann man ja den Vorstoß nutzen, um in Braunschweig alle die, die für Pressefreiheit und Demokratie eintreten, dazu zu bewegen, dass sie öffentlich und gemeinsam für die Freilassung Assanges eintreten. Politische Parteien, Initiativen, Organisationen verschiedener Art, vielleicht sogar der Oberbürgermeister? Die Stadt Braunschweig als Vorreiterin für eine wichtige gute Sache – warum eigentlich nicht?

Der Film „Ithaka“ ist noch einmal am Sonntag, 30.07. um 11:00 Uhr im Filmtheater „Universum“ zu sehen.

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