Zehntausende trotzen Regen, Schnee und Mediengewitter

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Friedenskundgebung Berlin 25.2.23 Foto: Teilnehmer

Es ist ein besonderes Erlebnis. Zehntausende strömen vor dem Brandenburger Tor zusammen, schwenken Fahnen mit Friedenstauben und den Regenbogenfarben und warten geduldig und ruhig, bis die Kundgebung für den Frieden beginnt. Die versiegelten Flächen vor der Rednertribüne und eine lange Strecke der Straße des 17. Juni reichen bald nicht mehr aus, so dass Demonstranten auf die unbefestigten Flächen an den Seiten ausweichen müssen – nicht selten in den Matsch des aufgelösten Bodens. Egal, man will endlich öffentlich zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht nur in Meinungsumfragen für eine diplomatische Lösung des Ukrainekrieges und gegen immer weiter eskalierende Waffenlieferungen eintritt. Und dass es nicht wenige Menschen gibt, die gegen alle Diffamierung und Fehlinformation an der Überzeugung festhalten, dass dieser Krieg zu einem Krieg zwischen NATO und Russland führen kann und dass auch der Einsatz von Atomwaffen nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Und die für diese Überzeugung auch auf der Straße und bei Regen und Schnee einstehen.

Die meisten Medien bilden inzwischen eine Spießrutengasse

In den letzten zwei Wochen, seit Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer ihr „Manifest für Frieden“ veröffentlicht haben, haben über 650 000 Menschen unterzeichnet. Gleichzeitig ergab sich für alle, die ähnlich denken, ein wahres Spießrutenlaufen – kaum ein Sender oder eine Zeitung, die sich nicht daran beteiligte. Der Inhalt des Manifestes wurde verdreht und verfälscht, die Initiatorinnen diskriminiert und teilweise regelrecht beschimpft, unlautere Motive wurden unterstellt bis hin zur Behauptung, Wagenknecht werde von Putin bezahlt. Dass die meisten Medien sich dem Informations- und Meinungskrieg verschrieben haben, ist offensichtlich. Ob sie es auf Dauer unbeschadet überstehen werden, wird sich zeigen. Einer der Vorzüge der Demokratie besteht darin, dass freie, unabhängige Medien keine Mühe scheuen, sachliche Informationen zu recherchieren und bereit zu stellen, und dass dann die BürgerInnen frei ihre Meinung bilden und sich offen und sachlich darüber austauschen können. Genau das tun die meisten Medien in dieser wichtigen Frage nicht. Sie drohen damit den größten Pluspunkt der Demokratie zu verspielen. Und sie selber verlieren immer mehr von ihrem Grundkapital – dem Vertrauen der Leser und Zuschauer.

Man kann das auch an der Berichterstattung über die Demonstration nachweisen. Wer sich nicht über alternative Medien informiert, erfährt nicht viel – oder gar nichts – über die verschiedenen Beiträge auf der Kundgebung, so etwa die Videobotschaft des amerikanischen Starökonomen Jeffrey Sachs oder den kurzen Beitrag der Schauspielerin Corinna Kirchhoff, die Reden des Publizisten Hans-Peter Waldrich und des Generals a. D. Erich Vad. Die Reden von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer, wenn sie überhaupt inhaltlich behandelt werden, werden völlig entkernt von den wesentlichen Argumenten, auch hier wird wieder – entgegen dem gesprochenen Wort – haltlos unterstellt, was das Zeug hält. Vor allem aber wird Vieles einfach nicht berichtet – oft die wirkungsvollste Methode der Manipulation.

Die Gefahr des „Krieges aus Versehen“ wächst zunehmend

Jeffry Sachs ging kurz auf die Vorgeschichte des Konflikts ein, nicht zuletzt die zunehmende Ausdehnung der NATO in Richtung Russland. Der US-Amerikaner hat auch keinen Zweifel daran, dass die USA für den Anschlag auf Nord Stream 2 verantwortlich seien. Er, der einst die polnische wie die russische Regierung beraten hat, kennt wie kaum ein anderer die Politik der USA in der Zeit nach dem Ost-West-Konflikt und hat eine große Sensibilität gegenüber den Zielsetzungen seiner eigenen Regierung entwickelt.

Hans-Peter Waldrich sprach die Friedensbewegung der achtziger Jahre an, die eine gewaltige Wirkung hatte, wenn sie auch nicht sofort ihre Ziele durchsetzen konnte. Besonders stellte er heraus, dass damals ein breites öffentliches Bewusstsein für die Gefährlichkeit der atomaren Abschreckung erarbeitet wurde. „Krieg aus Versehen“ war eines der Stichworte, und Waldrich wies darauf hin, dass mit der Fortdauer des gegenwärtigen Konflikts wie mit der zunehmenden Eskalation die Gefahr wächst, dass so ein Krieg aus Versehen entbrennt. Leider seien die Gefahren eines Atomkrieges inzwischen zumindest bei jüngeren Generationen viel weniger bewusst als damals. Der große Anteil der über 60-Jährigen an den Demonstranten scheint dafür zu sprechen.

Kompromisse müssen gefunden werden, aber kein „russisches Protektorat Ukraine“

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht verdeutlichten, dass sie – ebenso wie General Vad – nicht allgemein gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gewesen seien, die natürlich das Recht zur Verteidigung habe. Nach einem Jahr des Krieges sei man nun aber in die Lage geraten, wo ein dauerhafter Abnutzungskrieg drohe, der keiner von beiden Seiten große Vorteile bringen werde, dafür aber die Opfer an Menschenleben wie die Zerstörung der Ukraine nur in die Höhe treibe. Durch immer fortschreitende Eskalation der Waffenlieferungen nähere man sich nun auch dem Punkt, an dem die weitere Eskalation nicht mehr aufzuhalten sein könnte. Sie verwiesen auf die gleichlautende Einschätzung des amerikanischen Generalstabschefs Milley und die jüngste Studie der RAND Corporation. Für Wagenknecht ist auch klar, dass die geforderten diplomatischen Verhandlungen nicht dazu führen dürften, dass die Ukraine eine russisches Protektorat wird; dessen ungeachtet müssten aber beide Seiten einen Kompromiss finden.

General Vad wies darauf hin, dass es auf Seiten des Westens keine klare Bestimmung gebe, worin das Ziel des Krieges bestehen solle. Ein Ziel wie das des Siegs über die Atommacht Russland sei nicht realistisch und daher gefährlich. Ohne eine klare Zielbestimmung verfalle man aber in einen plumpen Militarismus. Vad, den man für seinen Mut nur bewundern kann, seine Überzeugung trotz vielfältiger Diffamierungen auch ehemaliger Kameraden immer wieder öffentlich vorzutragen, kritisierte auch die kriegsfördernden Bemühungen vieler Medien.

Einhellige Ablehnung der Außenministerin Frau Baerbock

Anstatt darüber zu berichten, gefallen sich die meisten Medien darin, die Kundgebung mit vielfältigen Verdächtigungen auf Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen zu diskreditieren. Sie taten dies vorher und ließen es auch nicht hinterher – auch wenn die Belege fehlten und sogar die Berliner Polizei äußerte, ihr sei nichts Derartiges aufgefallen. Außerdem sehen sie ihre vornehmste Aufgabe nun darin, die Kundgebung kleinzureden (manche verschweigen sie gleich ganz). Während die Berliner Polizei die Zahl der Teilnehmer offiziell mit „über 13000“ angab, erfuhr die Berliner Zeitung aus Sicherheitskreisen inoffiziell, dass die Angabe der Veranstalter (50000 Teilnehmer) in etwa der Realität entspreche.

Eindrucksvoll war das Wechselspiel zwischen den Rednern und den Teilnehmern. Je klarer die Aussagen und die Kritik an der Politik der Bundesregierung, desto größer der Beifall. Überdeutlich wurde besonders, dass die große Masse der Teilnehmer Frau Baerbock als Außenministerin für eine grandiose Fehlbesetzung hält, nicht nur wegen ihrer „Kriegserklärung“ an Russland, sondern vor allem, weil sie sich ihrer wichtigsten Aufgabe, einen Weg zu diplomatischen Verhandlungen bahnen zu helfen, schlicht verweigert. Dass von den Grünen keine Friedenspolitik nach Art ihrer Vorgänger mehr zu erwarten ist, war allgemeine Überzeugung. Aber auch die Kritik an Kanzler Scholz, der zwar immer wieder einen besonnenen Ansatz zu verfolgen versuche, aber dann auch regelmäßig einknicke, schien ziemlich einhellig zu sein.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! (Erich Kästner)

Insgesamt machten die Zehntausenden deutlich, dass sie sich nicht mehr durch die in Spießroutenformation aufgestellten Medien beeinflussen und einschüchtern lassen. Für Viele schien das Erlebnis, damit nicht allein zu sein, eine deutlich spürbare befreiende Wirkung zu haben. Sie fühlen sich nicht mehr durch die Bundesregierung vertreten. Deshalb wollen sie der Anfang einer neuen Friedensbewegung sein.

4 Kommentare

  1. Sehr schöner Bericht! Die Veranstalter riefen auf, den sich entwickelnden Schwung zu nutzen und einen Waffenstillstand ohne Vorbedigungen sofort und ein Stopp des Mordens zu erreichen und die Gefahr der Eskalation zu bannen. Auch Braunschweig wird sich nach besten Kräften daran beteiligen…

  2. I really enjoy it. Tens of thousands of people flood through the Brandenburger Tor together, wave banners with peace symbols and wait patiently until the protest begins. The protected areas near the Rednertribune and the long stretch of the street of 17th June are soon not enough, so demonstrators have to move around on the unsecure areas – often in the mud of the collapsed ground. even if people want to show the public that the majority of the population supports peace, they usually have to do this in a way where the majority of the ground is not accessible.

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