Venezuela – Bolivarische Revolution im Würgegriff

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Rund 40 Lateinamerika-Interessierte fanden sich am Freitagabend (27.09.19) zur Braunschweiger Venezuela-Veranstaltung von Cuba Sí, DKP und der LINKEN mit André Scheer, dem Ressortleiter Ausland der Tageszeitung „Junge Welt“, in der Brunsviga ein.

In einer halbstündigen Einführung gab der ausgewiesene Venezuela-Experte Scheer (u. a. ehemaliger Mitarbeiter der Venezolanischen Botschaft in Deutschland und seit mehr als zwei Jahrzehnten stetiger Beobachter des Landes) gebündelte Informationen über die aktuelle Entwicklung: Zwar ist Venezuela ein wenig aus den Schlagzeilen geraten und die aktuelle Lage ist nicht mehr ganz so brisant wie im Februar/März diesen Jahres, als ein militärischer Konflikt im Raum stand, aber das ist kein Grund zur Entwarnung. Die völkerrechtswidrige Blockade durch die USA wirkt, auch die EU ist zu weiteren Sanktionen bereit. Ausführlich ging der Referent auf die beiden Wahlen 2015 (Parlamentswahlen, die die Opposition gewann) und 2018 (Präsidentschaftswahl, Wiederwahl von Nicolas Maduro) ein.

Die Nichtakzeptanz der Ergebnisse der Wahl 2018, sowohl durch die Opposition als auch durch westliche Länder, war ein wesentlicher Auslöser für Herrn Guaidó, sich selbst zum „Übergangspräsidenten“ zu ernennen.

Scheer konnte an beiden Wahlen als Wahlbeobachter teilnehmen und stellte fest, dass sämtliche Wahlkomitees und Regularien identisch waren. Detailliert schilderte er das Verfahren zur Verhinderung von Wahlfälschungen und die Tatsache, dass sich die Ansprüche Guaidós nicht mit der venezolanischen Verfassung in Einklang bringen lassen. Auch das Verhalten der Bundesregierung ist rechtswidrig, wie der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten bestätigte, das von der Linksfraktion in Auftrag gegeben wurde.

Die Bundesregierung weicht mit der Anerkennung Guaidós von ihrer bisherigen Praxis ab, nur Staaten, nicht aber Regierungen förmlich anzuerkennen. Deutschland positioniert sich mit der Anerkennung Guaidós als „Übergangspräsidenten“ zu innenpolitischen Angelegenheiten Venezuelas und verletzt damit den völkerrechtlichen Grundsatz der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates“. Völkerrechtlich ebenso fragwürdig ist die vorzeitige Anerkennung eines Oppositionspolitikers als „Übergangspräsidenten“. Mit gleichem „Recht“ könnte sich Sahra Wagenknecht selbst zur „Übergangskanzlerin“ in Deutschland ernennen und von ausländischen Mächten, z. B. Russland, anerkennen lassen. – Damit hatte Scheer natürlich die Lacher auf seiner Seite, versäumte aber nicht, darauf hinzuweisen, dass genau dies Venezuela in unverschämter Weise zugemutet werde.

Viele Wortmeldungen gingen zur anschließenden Diskussion ein: Wie wirkt sich die Blockade aus? – Verhungern die Menschen wirklich? – Was ist dran an den Meldungen von der Massenflucht aus Venezuela? – Was ist mit der US-Militärpräsenz in Kolumbien? – Gab es Provokationen aus Kolumbien? – Was ist das mit dem Sozialismus? – Sind nicht viele Probleme hausgemacht? – Welche Rolle spielt das Öl? – Wie sind die Auswirkungen auf Kuba? – Was ist mit den Stromausfällen gewesen und welche Rolle spielt das Militär?

„Willkommen zum 2. Referat des Abends“, schmunzelte André Scheer und beantwortete mit enormer Sachkenntnis alle gestellten Fragen. Hier nur eine kurze Auswahl: Natürlich treffen die Sanktionen die gesamte Bevölkerung, nicht nur wegen der Sperrung von Geldern, sondern auch der Blockade von Nahrung und Medikamenten. Besonders gefährdet: Ältere, Schwangere und Kinder. Daher die Zahl eines US-amerikanischen Thinktanks, dass die Blockade bereits 40.000 Opfer gefordert habe. Das sei allerdings schwer zu verifizieren.

Ca. 4 Millionen Menschen haben Venezuela verlassen, weil sie sich in den angrenzenden Ländern ein leichteres Leben versprachen. Darunter allerdings auch Kolumbianer, die nach Venezuela vor den Greueltaten der kolumbianischen Drogenbarone geflohen waren und angesichts des Friedensprozesses zurückwollten. Darunter auch Wohlhabende, die sich in Europa ein neues Leben aufbauten. Es gäbe auch Rückkehrgesuche, weil das mit dem besseren Leben im Ausland doch nicht für alle so einfach war. Die Versorgung ist jetzt zwar besser geworden, aber die Menschen können sich sich die Waren oftmals nicht leisten!

Die USA haben allein 7 Militärbasen in Kolumbien und es gab Vorbereitungen zu Provokationen im Frühjahr sowohl von Kolumbien als auch von Brasilien aus, dies wurden von seriösen westlichen Quellen bestätigt. Das Militär steht mit wenigen Ausnahmen zum gewählten Präsidenten. Das liegt sowohl am Geschichtsverständnis der Armee als Befreiungsarmee, als auch an der Tatsache, dass die Armee ein zuverlässiger Arbeitgeber auch für die unteren Schichten der Bevölkerung ist. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Chile oder Argentinien.

Zur Frage Opposition führte Scheer aus, dass diese immer zwischen 37 – 40 % betragen habe, allerdings sehr heterogen sei. Das Öl spielt natürlich eine große Rolle und wenn es zu Preiseinbrüchen kommt, steht automatisch weniger Geld zur Verteilung zur Verfügung. Es gibt durchaus hausgemachte Probleme, die z. B. darin bestehen, dass sehr langfristige Projekte, wie z. B. der Aufbau einer eigenen verarbeitenden Industrie, nicht konsequent verfolgt werden. Von Sozialismus redete auch Chavez erst seit 2005, allerdings besagt noch das Programm der Regierungspartei von 2012, dass Venezuela nach wie vor ein kapitalistisches Land sei, aber der Aufbau des Sozialismus das Ziel. Zur abschließenden Frage, was die Aufgabe der Linken mit Blick auf Venezuela sei, nannte André Scheer:

  • Aufklärung über die reale Lage im Land.
  • Hierzulande einfordern, dass die eigene Regierung sich nicht in die inneren Angelegenheiten Venezuelas einmischt und einen militärischen Übergriff kategorisch ablehnt.
  • Von der deutschen Politik die sofortige Einstellung der Sanktionen und Aufhebung der Blockade fordern, auch gegenüber Kuba.

Im Laufe der Veranstaltung hatte André Scheer, der mit großem Applaus verabschiedet wurde, auch auf die internationale Solidaritätsaktion „UNBLOCK CUBA!“ hingewiesen: Soli-Gruppen, politische und gesellschaftliche Organisationen und viele Einzelpersonen aus dem In- und Ausland werden an den ersten zehn Tagen im November eine Kampagne gegen die Blockade Kubas in Deutschland, Österreich und der Schweiz starten. In bisher 50 Städten wurden 140 Großflächenplakate angemietet. Es sollen möglichst viele Menschen über die völkerrechtswidrige Blockade-Politik der US-Regierung informiert werden und die eigenen Regierungen aufgefordert werden, sich schützend vor die eigenen Firmen und Organisationen zu stellen, die unter der US-Politik leiden. Die Kosten der Plakataktion in Höhe von rund 25.000 Euro sollen durch Spendensammlungen finanziert werden, an der sich alle beteiligen können.

Spenden bitte auf folgendes Konto: Verlag 8. Mai GmbH, Postbank Berlin, Verwendungszweck: Unblock Cuba, IBAN: DE50 1001 0010 0695 6821 00, BIC: PBNKDEFF, weitere Infos unter jungewelt.de/unblock-Cuba

Die Aktion wird zeigen, dass Linke nach wie vor in der Lage sind, durch gemeinsames Handeln Menschen zu bewegen und gegen Desinformation zu wirken – und dass internationale Solidarität auch heute Linke in der ganzen Welt verbindet.

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