TENDER SEEDS in FRAGILE SPACES.

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Meisterschüler_innen der HBK Braunschweig stellen aus

noch bis 12.11. 2023 im Kunstverein Braunschweig

Phantastische keramische Traumwelten faszinieren Besucher:in gleich im Foyer der Villa Salve Hospes. Triebhafte Satyrn, Rapunzel im Turm, Drachen, insgesamt eine faszinierende Vielzahl seltsamer und obskurer Figuren bevölkert diese außergewöhnlichen Werke des Künstlers Joshua Grabietz.  Handwerklich meisterhaft erschaffen, warten sie gespannt auf ihre lustvolle Entdeckung, auf Irritation und natürlich Interpretation.

Joshua Grabietz, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Das  informative, zweisprachige Begleitheft hilft – natürlich bei allen 14 ausgestellten Künstler_innen. Es liegt kostenlos an der Besucherinformation aus und geleitet Besucher:in interpretationssicher durch die Ausstellung.

Fließende Wasserfarben auf großformatigem Papier: Tangibility von Leonie Terschüren ist allein schon optisch unübersehbar. Beim längereren Betrachten erzeugt es ein Gefühl vom (schönen) Scheitern des strukturellen Schauens. Das Begleitheft sagt dazu: „Die Materialität verschwimmt… Eine kontrollierte Übersicht über das Bild scheitert, der schnelle Blick kann hier nicht gewinnen“. Schön anzuschauen ist es auf jeden Fall.

Leonie Terschüren, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Wie kann man eine abstrakte Idee im Dinglichen finden? Die Soft-Sculptures von everyone deserves to be a star von Kaja Sheila Seltmann könnten Besucher:in vielleicht dazu anregen, einmal darüber nachzudenken. Vielleicht ist es aber auch (etwas doppeldeutig) einfach nur  „invasive art“ – denn man findet sie überall im Haus. Das macht Spaß.

Kaja Sheila Seltmann, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Der Titel der 2 Videos VANO-G3MS1S-23 von Daniel Kluge hört sich nicht nur so an, sondern ist – jedenfalls auf den ersten Blick – auch so wie im Begleitheft beschrieben: hermetisch und technoid. Wenn man sich (10 min) auf die Geräusche, die Grobkörnigkeit, die Rasterhaftigkeit, die neutrale Trostlosigkeit einlässt, bekommt die Frage „Wie schreibt sich der Mensch mit seinen Objekten, seinen Maschinen, seinem gebauten Raum und seinen Entscheidungen in die Welt ein?“ individuell vielleicht noch einen weiteren Nachdenkpunkt. Das kann Kunst.

Daniel Kluge, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

In Eunjeong Kims starkfarbiger – um nicht zu sagen bunter – Kunst kann man sich verlieren – oder soll es vielleicht sogar. Das gilt für ihre Gemischte Landschaft 2 die Eunjeong Kims aus digitalen Collagen entwickelt hat und ganz besonders für die 3D-Animation Schweben in der Malerei 3. Betrachtungsvorschlag: ausprobieren, sich zu verlieren. 

Eunjeong Kim , Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Auf dem Fußboden verkettete Schnuller, möglicherweise auch Silikondildos? Spielzeugtiere, eine Art überdimensioniertes Waffeleisen (wahrscheinlich ist es aber etwas anderes), Videos auf kleinen Monitoren, die eine Frau zeigen, die einen übergroßen Schnuller ableckt (beispielsweise). Wer sich gern irritieren lassen möchte, ist in Raum 5 bei Nicola Feuerhahn (nacre.brain) am richtigen Ort (es gibt natürlich auch noch andere). Das Begleitheft bietet bewährt komplexe Erklärungsmodelle, erweiterbar auch in andere Kontexte.

Nicola Feuerhahn, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

The strings that cannot be untied can be dissolved ist eine raumweite Installation aus Keramik, Stahlplatten, Stahlstangen, Expoidharz, Alufolie und einigem mehr von Heeae Yang. Ist es eigentlich empfehlenswert, sich stets durch das Begleitheft über die Werke zu informieren? Vielleicht ist es manchmal auch gut, einfach nur zu schauen und zu warten, was so ein Werk mit einem macht.

Heeae Yang, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Das wäre auch möglicherweise eine Empfehlung für die im Obergeschoss ausgestellten, eher frugalen  Echo Werke von Marius Wezorke, die bestimmt durch Schauen und Warten an Wucht gewinnen.

Marius Wezorke, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Praktisch im Gegensatz dazu Bilder und Keramiken von Domingos de Barros Octaviano. Mit Phantasie und einer fast musikalischen, spielerischen Ausdrucksstärke schafft der Künstler kleine große Welten, die beim Betrachten einfach auch Spaß machen.

Domingos de Barros Octaviano, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Louise Lang nähert sich Natur und Zivilisation – und damit wohl auch sich und uns selbst – mittels einer Glasplatte (110x60x5), die sie in den Wintermonaten 2018 an über 80 Orten in der isländischen Region Snaefellness „ausgesetzt“ und als eine Art symbolisches Kontrastmittel verwendet hat.  Sie fotografierte diese Glasplatte dann in einem von ihr spontan bestimmten Augenblick. Daraus sind faszinerende, eindringliche Siebdrucke und fotografische Installationen entstanden.

Louise Lang, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Caspar de Gelminis Video-Trilogie (ca. 24 min) beschäftigt sich mit Gewächshäusern im All (Greenhouse Studies), den Aufnahmen des Tauchroboters der „Polarstern“ in der arktischen Tiefsee und mikroskoptierten Tiefsee-Objekten (Leipzig Noir) als Synonym für das Leben, die Tiefsee und die Fragilität der Natur.

Caspar de Gelmini, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Empfundene Glücksmomente der Künstlerin beim nostalgischen Betrachten alter Hundefotos lösen sich auf, wenn damit verdrängte Familiengeschichten aus ihren idyllischen Fotoverstecken hervorkriechen. Viel Freude machen diese (tollen) Aquarelle von Mia Kleier aus der Serie Hunde der Familie, die vor allem in ihrer melancholisch-ironischen Tendenz und zeichnerischen Professionalität manchmal schon einen Vergleich mit Robert Gernhardt oder F.K. Waechter zulassen.

Mia Kleier, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Anna Miethe ist mit zwei Fotoserien in der Remise und im Garten vertreten. Mit Leerer Schein spielt die Künstlerin mit der historischen Vanitas-Symbolik der Vergänglichkeit, stellt sie beispielsweise durch verfremdet arrangierte Stilleben-Fotos  in einen aktuellen Bedeutungskontext. In Garten der Wüste hat die Künstlerin mit großer Empathie in künstlich geschaffenen Habitaten tot aufgefundene Tiere fotografiert, um so deren mögliche Lebensgeschichten zu erzählen.

Anna Miethe, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Das Thema von Wenxiang Zhu  ist die Vernetzung von Performance, Video und Malerei. Mit ihrem Werk bespielt sie gemeinsam mit Anna Miethe den großen Raum in der Remise und beide Künstlerinnen füllen ihn wie spielerisch aus mit ihrem Werk und der räumlichen und künstlerischen Intensität ihrer Kunst und inszenieren damit auch einen aufregenden Abschluß einer immer mal etwas irritierenden, aber sehr spannenden und absolut sehenswerten  Ausstellung bei der sichtbar wird, was Kunst alles sein kann.

Wenxian Zhu und Anna Miethe, Ausstellung: Tender Seeds in Fragile Spaces, Kunstverein Braunschweig, Foto: M. Brandes

Weitere Informationen auf der Website: https://kunstvereinbraunschweig.de

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