„Empörung“ oder die Verschiebung von Anführungszeichen in der BZ (Teil 29)

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Empörung hervorgerufen habe beim Seniorenrat der Stadt Braunschweig die folgende Äußerung Matthias Wittes in seinem Beitrag zum Vortrag Wilhelm von Boddiens über den „Wiederaufbau“ des Braunschweiger Schlosses:

Das zahlreich erschienene Publikum, weit überwiegend „Schloss-Befürworter“ in einem Alter, für das die Schloss-Rekonstruktion gerade noch rechtzeitig kommt, applaudierte jedenfalls herzlich.

So berichtete die Braunschweiger Zeitung am gestrigen 27. Januar. Es sei dies eine „abfällige Bemerkung“ über dort anwesende Menschen, kritisiert der Seniorenrat.

Eine Frage ist nun, ob es sich dabei tatsächlich um eine abfällige Bemerkung handelt, eine andere, wen die Bemerkung trifft. Die Aussage Wittes wird jedenfalls etwas sehr aufgebläht, wenn Witte, wie der Seniorenrat laut Braunschweiger Zeitung ihm vorwirft, damit gleich eine „abfällige Bemerkung über eine ganze Generation“ gemacht haben soll, „die unser Land nach 1945 aufgebaut hat“.

Gerade Befüworter des Schloss-Arkaden-Projektes sind es, die immer wieder persönliche Probleme äußern mit dem, was nach 1945 aufgebaut wurde. So brachte etwa Stadtbaurat Wolfgang Zwafelink ungewohnte ästhetische Kategorien in die Architekturdiskussion, als er (?in Absprache mit dem Stadt-Marketing?) gegenüber der Zeitung „Die Welt“ verkündete, dass die Stadt Braunschweig nach dem Kriege „unglaublich auf den Hund gekommen“ sei. Soweit ich ihn persönlich kenne, begegnet Witte dem, was nach 1945 aufgebaut und geschaffen wurde mit sehr viel mehr Respekt als die meisten Befüworter des ECE-Komplexes über dem ehemaligen Schlossgarten, wenn sie den Bauten der Nachkriegszeit nur „Seelenlosigkeit“ abgewinnen können, eine Seelenlosigkeit, die Witte schon den Gebäuden nicht unterstellen würde, noch viel weniger „der ganzen Generation“, die das alles aufgebaut hat.

Einkaufszentren von der Stange, wie sie von der ECE als multiple Dutzendware nach der immer gleichen Konzeption erstellt werden, eignet eine solche Seelenlosigkeit viel eher. Auch der Versuch, ihnen mittels einer feudalen Fassade so etwas wie Seele einzuhauchen, ändert daran nichts. Denn fü das Einkaufszentrum bleibt eine solche Fassade reine Äußerlichkeit, mit dem Inneren des Einkaufszentrum hat sie nichts zu tun.

Weiter wird Witte laut Braunschweiger Zeitung vom Seniorenrat der Vorwurf gemacht, dass „die Wortwahl kein guter Beitrag für die politische Kultur“ in unserer Stadt sei.

Erst einmal sei darauf hingewiesen, dass die Braunschweiger Zeitung (oder der Seniorenrat) Herrn Witte falsch zitiert. Aus dem Witte Text in Unser Braunschweig: „Schloss“-Befüworter wurde in der Braunschweiger Zeitung: „Schloss-Befüworter“. Um den kleinen, aber entscheidenden Unterschied hervorzuheben, übersetzen wir die Anführungszeichen im zitierten Satz einmal durch „so genannte“. Witte schrieb von Befürwortern eines so genannten Schlosses, in der Braunschweiger Zeitung wurde ihm aber unterstellt, er habe von so genannten Schloss-Befüwortern geschrieben. Stellt Witte durch Anführungszeichen das „Schloss“ in seiner Eigentlichkeit und Authentizität in Frage und gerade nicht dessen Befürworter, die von den Anführungszeichen ausgenommen waren, dann wird das in der Braunschweiger Zeitung fälschlich so zitiert, als stelle Witte die Befüworter in ihrer Eigentlichkeit und Authentizität in Frage. Weiter setzt Witte „Schloss-Rekonstruktion“ in Anführungszeichen, weil es sich lediglich um eine Fassadenrekonstruktion handelt.

Markieren die Anführungszeichen bei Witte also das so genannte „Schloss“ und heben damit die Fragwürdigkeit und mangelnde Authentizität des ECE-Projektes hervor, dann wird Witte über die Verschiebung der Anführungszeichen durch die Braunschweiger Zeitung implizit unterstellt, er stelle die beim Vortrag versammelten Befürworter des Projektes in Frage und spreche ihnen die Authentizität ab. Gerade das hat er aber nicht gemacht. Dies ist dann insofern unstatthaft, wie man diese Botschaft, die nicht von Witte kommt, sondern von der Braunschweiger Zeitung oder vom Seniorenrat selbst, mit Empörung quittiert.

Zumindest kurz noch zum wahrscheinlich zentral gemeinten Punkt des Vorwurfes vom Seniorenrat. Ganz klar wird das im Artikel in der Braunschweiger Zeitung nicht, aber sprachlichen Anstoß erregt wohl die Aussage dass die Rekonstruktion „gerade noch rechtzeitig“ käme, Anstoß erregt wohl der Verweis auf das hohe Alter der Zuhörerschaft, implizit auch der Verweis auf ihren baldigen Tod.

Einmal stellt sich die Frage, ob ein solcher Verweis generell als abfällig zu bewerten ist und ob es in der Folge von politischer Unkultur zeugt, Alter und Tod beim Namen zu nennen bzw. implizit darauf zu verweisen. Weiter stellt sich die Frage, ob Wittes Bemerkung in dem speziellen Zusammenhang und in der Weise, wie er sie gemacht hat, als abfällig zu bewerten ist und als Ausdruck politischer Unkultur.

Beides würde ich hier verneinen.

Die generelle Tendenz der modernen Gesellschaft, Alter und Tod zu verdrängen und abzuschieben führt durchaus zu Problemen. Wenn Norbert Elias über die „Einsamkeit der Sterbenden“ in unserer Gesellschaft schreibt, sieht er in der Verdrängung von Alter und Tod ein

allgemeineres Problem unserer Tage – der Unfähigkeit, Sterbenden diejenige Hilfe zu geben und diejenige Zuneigung zu zeigen, die sie beim Abschied von Menschen am meisten brauchen – eben weil der Tod des Andern als Mahnzeichen des eigenen Todes erscheint. Der Anblick eines Sterbenden rüttelt an der Phantasieabwehr, die Menschen wie eine Schutzmauer gegen den Gedanken des eigenen Todes aufzubauen neigen. Die Selbstliebe flüstert ihnen zu, sie seien unsterblich. Allzu nahe Berührung mit Sterbenden bedroht diesen Wunschtraum. ….

Soll eine Kultur in der Lage sein, die Probleme zu bewältigen, die sich durch und mit dem Altern, mit der Sterblichkeit und dem Tod stellen, dann kann das nur gelingen, wenn man Altern, Sterblichkeit und Tod als eine Realität anerkennt. Dazu gehört, dass man sie auch benennen darf und benennt.

Das Braunschweiger Schloss-Projekt sei mit seiner vergleichsweisen Provinzialität und Konsumorientierung in keiner Weise vergleichbar mit dem Berliner Schloss-Projekt des Herrn von Boddien, welches sich an der Weltkultur orientiere und vergleichweise metropolen Charakter habe, das vertrat sinngemäß Herr von Boddien in seinem Vortrag. Gemeinsam sei beiden Projekten aber die Sehnsucht nach Werten, die über den Augenblick hinaus gingen und sich an einer identitätsstiftenden Vergangenheit orientierten.

Wenn Witte schrieb, dass die von ihm in Anführungszeichen gesetzte Schlossrekonstruktion fü das hauptsächlich aus Senioren bestehende Publikum gerade noch rechtzeitig kam, dann interpretiert und übersetzt er einen Ausdruck von sehnsüchtiger Begeisterung, wie etwa: „Dass ich das noch erleben darf! …“ eine Ausdrucksweise, die ebenfalls Alter, Lebensende und den Tod impliziert. … Ich meinte auch, solche Begeisterung bei manchen Senioren im Publikum erkennen zu können.

Nicht leicht erkennen kann ich aber, wie Matthias Witte mit seinem Bericht über den Vortrag von Boddiens sich gerade über diese Emotionen abfällig geäußert haben soll, oder gar über eine ganze Generation und deren Verdienste. Nicht leicht erkennen kann ich auch, wie er damit die politische Kultur der Stadt Braunschweig unterlaufen soll.

Dazu müssten dann die Vorwüfe doch etwas konkretisiert und erläutert werden. Wir setzen uns dann gerne noch einmal damit auseinander.

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