„Der charismatische Frontmann der legendären Formation“

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Als ein Freund und ich vor 14 Jahren damit begannen, Musikrezensionen zu verfassen, war uns sofort eine Formulierung zuwider: „Der charismatische Frontmann der legendären Formation“. In exakt dieser Formulierung war uns die Floskel schon als Leser nämlich seit jeher ein Dorn im Auge. Wer entweder von Sprache oder von Musik keine Ahnung hatte, aber dennoch mit geschriebenen Musikrezensionen sein Geld verdienen wollte, bemühte diese Nichtaussage. Vor allem in Magazinen für jugendliche Randerscheinungen, deren Schreiber keine Germanisten sein mussten, um ihre Zielgruppe zufrieden zu stellen, tauchte dieses Satzfragment regelmäßig auf. Wahrscheinlich waren sich diejenigen Magazine, die diese Floskel einst erfunden hatten, bereits deren Aussagelosigkeit bewusst und vermieden sie. Man muss ja auch wirklich keine Ahnung von Musik haben, um zu erkennen, dass man da gerade völlig abgekaute Phrasen missbraucht.

Aber der Leser der Braunschweiger Zeitung weiß solches ja nicht, daher kann man ihm diesen Quatsch auch verlustfrei zumuten. Alleine „Formation“ als Synonym für „Band“ zu benutzen, ist schon ein Schlag ins Gesicht sämtlicher Thesaurier mit Qualitätsbewusstsein. Das ist so ähnlich, wie zu jedem „Film“ ständig „Streifen“ zu sagen oder eine „CD“ immer „Silberling“ zu nennen. Oh, das macht die BZ auch? Passt ja.

Im Artikel „Markerschütternde Elektro-Klänge“ am Samstag, 22. November, auf Seite 23, berichtet die BZ vom Auftritt der Gruftigruppe „Das Ich“ in der Meier Music Hall. Und, natürlich!, schreibt Autor Frank Schildener: „Die Formation um den charismatischen Frontmann […] und das gehörnte Mastermind […]“. Unfassbar! Und das auch noch in einem Zusammenhang, der die Floskel inhaltlich als falsch entlarvt, denn weiter geht’s mit den Namen der Bandmitglieder – und das sind lediglich zwei. „Das Ich“ ist ein Duo. Die „Formation um“ zwei Leute. Live haben sie zwar immer noch einen Keyboarder dabei, aber der gehört nicht zur Band. Entschuldigung: zur Formation. Oh, Elend! In die Liste der zu umgehenden Formatwörter gehören überdies auch das „Mastermind“ und die „Ausnahmeband“.

Abgesehen von solchem Verbalmüll hat der Artikel auch noch inhaltliche Mängel. Schildener erwähnt mit beinahe keinem Wort, dass „Das Ich“ im weitesten Sinne eine Gruft-, Gothic- oder auch Dark-Wave-Band sind (oder dies zumindest bis zu deren Umschwenken auf elektronische Mittel waren), dass also ein Publikum auf solch einem Konzert überwiegend in schwarz herumgelaufen sein dürfte. Kein Wunder, es fehlt ohnehin jeder Hinweis auf die Musikrichtung des Abends; lediglich die „Elektro-Klänge“ stehen im Titel und „Düsterrock“ in dessen Unterzeile, aber Elektro und Düsterrock umfassen enorm weite Felder. Immerhin war es dem Autor wert, zu erwähnen, dass sich die Sängerin der Vorgruppe mit dem albernen Namen „Schneewittchen“ obenrum entblößte. Kein Wort hingegen über die antichristlichen Texte von „Das Ich“. Ein bisschen recherchiert hat der Autor wohl, aber das auch eher dürftig, denn dessen „Gott ist tot“ heißt tatsächlich „Gottes Tod“. Zudem wäre eine Liste der „20 Alben“, die „Das Ich“ angeblich veröffentlicht haben, interessant. Natürlich sind „Das Ich“ eine plakative Karnevalscombo und ich erwarte auch nicht, dass der Autor das in einer BZ-Berichterstattung herausstellt; mir geht es also nicht darum, eine Lanze für die Ichs zu brechen, eher im Gegenteil, ich mag sie nicht. Journalistische Sorgfalt ist jedoch auch losgelöst von Bewertungen zu verlangen.

Aber die BZ ist ja nur eine Tageszeitung. Wer legt schon Wert auf vernünftige Formulierungen, die Leser wollen ja schließlich wiedererkennen, was ihnen vertraut ist, und für viele scheint es einfach dazuzugehören, solche abgenutzten Phrasen in einem Musiktext vorgesetzt zu bekommen. Schließlich legt die BZ ja auch keine Wert mehr auf korrekte Grammatik, Interpunktion und Orthographie; da schlägt man sich als Leser auch regelmäßig die Hände über dem Kopf blutig. Was hilft? Weglesen, sich anderen Medien zuwenden. Wie gehabt also. Wenn es sie auf lokaler Ebene nur gäbe!

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