Papst wird böse beschimpft – „Du sollst nicht töten“ war gestern?

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Foto: pixabay

Der Papst fordert Frieden: Und wird deshalb böse beschimpft. Wir sind Zeuge der totalen Enthemmung.

Von Roberto De Lapuente im Overton-Magazin

Papst Franziskus rief gestern (am vergangenen Sonntag, d. Red.) die Ukraine an den Verhandlungstisch. Er sprach dem Land »Mut zur weißen Fahne« zu. Es sei an der Zeit, zu kapitulieren. Denn »der Stärkste [ist] derjenige, der die Situation betrachtet, an die Menschen denkt«. Das katholische Kirchenoberhaupt forderte die Einsicht, im Moment der kündenden Niederlage, auf Verhandlungen zu setzen.

Die Kritik folgte prompt. Etliche Politiker, darunter auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann, erklärten förmlich, dass sie sich schämten Katholiken zu sein. Der Bundestagsabgeordnete Matthias Heuer von der CDU tat es ihr nach. Der FDP-Politikerin mit starken Verbindungen in die Rüstungsindustrie und -lobby, stieß übel auf, dass der Papst nicht auch den Vorsteher der Russisch-Orthodoxen Kirche kritisierte. In anderem Kontext würde man so eine Ansage als Whataboutism abtun: Also mit der Ablenkung von Kritik, indem man etwas Anderes vorschiebt. Frau Strack-Zimmermann ist da mit allen Wassern gewaschen – als Katholik, der diesen Artikel hier schreibt, schäme ich mich für sie.

Sie wollen einen Papst, der des Teufels ist

Die üblichen Freunde des Abschlachtens nahmen den Papst in die Mangel. Roderich Kiesewetter unterstellte Franziskus gar, sich auf »die Seite des Aggressors« zu stellen. Katrin Göring-Eckardt von den Grünen plädiere dafür, dass es Frieden nur geben könne, wenn er gerecht sei. Das spiegelt die Haltung all derer wider, die des Papstes Worte als Affront betrachten. Sie wollen Gerechtigkeit – in Anbetracht der geostrategischen Entwicklungen der letzten Woche muss man aber festhalten: Nach einem Weltkrieg wird der Rest der Menschheit wohl der Ansicht sein, dass auch ein ungerechter Frieden besser gewesen wäre als das, was danach kam.

Um nicht weniger als darum geht es nun. Wer die Schuld trägt, wer anfing: Solche Fragen leistet man sich, wenn die Gefahr nicht unmittelbar ist, wenn es noch andere Auswege gibt. Aber die potenziellen Exit-Strategien sind in den letzten Tagen mehr und mehr verbaut worden. Alles spitzt sich zu: Wer jetzt noch moralisiert, den trifft der Bombenhagel. Dass Russlands Kriegsführung gegen die übermächtige NATO kein »konventioneller Krieg« sein könnte: Man kann es erahnen.

Die Außenministerin saß gestern Abend (also Sonntagabend, d. Red.) bei Caren Miosga und sollte Stichwortkarten beantworten. Fassungslos sei sie, dass der Papst ein Ende des Blutvergießens fordere. Vielleicht sei es angeraten, dass Franziskus mal in die Ukraine reise, um vor Ort zu sehen, dass sein Vorschlag nicht geboten erscheine. Was soll der Papst in der Ukraine sehen? Zerstörte Häuser, Waisen, Massengräber? Die würde er wahrlich zu sehen bekommen. Und was soll er dann denken und schlussfolgern? Etwa dass man so weitermachen soll? Jetzt erst recht? Auch für diese Ministerin muss man sich schämen – nicht nur als Katholik.

Die Kritiker des Papstes tun nun so, als habe das Kirchenoberhaupt eine unglaubliche Verfehlung begangen, als habe er christliche Lehren ad absurdum geführt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Auf die Vernunft zu bauen, nach Lösungen zu streben, nicht sinnlos Blut zu vergießen und eben auch nicht sinnlos zu bluten: Das sind katholische Einsichten par excellence. Klammern wir die objektive Frage nach der Kriegsschuld mal aus, folgen wir dem Narrativ, dass Putin die alleinige Schuld trägt: Selbst dann wäre es im katholischen Kontext als geboten zu betrachten, einen modus vivdendi zu finden. Seine Feinde zu lieben wie sich selbst: Das ist schwierig, nicht immer möglich – aber diese Parole ist ein Anspruch, der immer wieder verdeutlicht: Bedenke, der Andere, dein Feind, auch er ist ein Mensch. Einer von unserer Gattung.

Jesus und der Verfassungsschutz

Die Forderung des Papstes ist also nichts, wofür sich ein Katholik schämen müsste. Im Gegenteil, sie ist katholisch nachvollziehbar. Ja, in ihr wirkt der Katholizismus in Reinkultur. Wenn sich gewisse Katholiken nun schämen, zeigt das letztlich nur, dass sie sich von ihrer eigenen Konfession entfernt haben. In ihren Bekundungen steckt der Wunsch nach einem Papst, der dem Krieg das Wort redet. Sie bestellen damit, christlich ausgedrückt, das Werk des Teufels.

Die Evangelische Kirche in Deutschland findet selbstverständlich auch kritische Worte. Die EKD-Präsidentin Siegesmund erklärt, dass »die Sehnsucht nach Frieden nicht dazu führen [dürfe], dass das Recht des vermeintlich Stärkeren siegt.« Es mag sein, dass der generell gravierendste Unterschied zwischen dem Evangelischen und dem Katholischen genau in dieser Haltung zu suchen ist. Moral steckt in beiden Konfessionen; das ist das Wesen der Religion. Aber bei der EKD hat man häufig den Eindruck, dass ein lateinischer Wahlspruch Ratgeber ist: Fiat iustitia et pereat mundus. Übersetzt: Es soll Gerechtigkeit geschehen – und gehe die Welt dabei zugrunde. Dass man so denkt, es ist zunächst menschlich – ab einem gewissen Punkt ist einem schließlich alles egal. Aber hat das das Zeug, ein spiritueller Ansatz zu sein? Ist die Vernichtungstendenz, die diesem Wahlspruch innewohnt, nicht viel zu destruktiv, um Menschen religiös einzubinden? Es tut mir leid, es so drastisch formulieren zu müssen, aber eine Kirche, die so argumentiert, bringt eine Religion des Todes unter die Leute.

Selbst die Tagespost, die für katholischen Journalismus steht, lässt über Stephan Baier erklären, dass dem Papst nicht klar zu sein scheint, dass die Ukraine nur zwischen Selbstverteidigung und Kapitulation wählen kann. Wieso ist das dem Papst nicht klar? Er spricht von der weißen Fahne und dem Mut, der nötig ist, sie zu schwenken. Das ist ein Bild für Kapitulation. Und zwar aus Gründen der Vernunft. Das scheint dem Journalisten Baier peinlicherweise wiederum nicht klar zu sein.

Käme heute Jesus Christus zurück, ganz so wie in der Geschichte von Dostojewski, so würde der Großinquisitor, der heute vermutlich Angestellter des Verfassungsschutzes wäre, nicht mehr so zimperlich mit dem Rückkehrer umgehen wie jener Wahrer der Rechtspflege in der literarischen Vorlage. Klar, wie der Inquisitor würde er den heutigen Rückkehrer auch nicht dem Scheiterhaufen überstellen. Aber wegsperren wie Julian Assange, ihn isolieren und bei lebendigen Leib verrotten lassen: Genau das blühte dem Sohn Gottes wohl in Zeiten wie diesen. Gerade dann, wenn er predigte, man sollte auch seine Feinde lieben.

Wollen die Ukrainer vielleicht selbst kapitulieren?

Die Enthemmung greift um sich, sie wird von Tag zu Tag dramatischer. Selbst das Oberhaupt der Katholischen Kirche wird wie ein Schuljunge von Leuten abgestraft, die ihr Christentum zum Schein vor sich hertragen – und die ihren Glauben so auslegen, wie es ihnen politisch opportun scheint. Speziell in Deutschland gibt es seit einigen Jahren ohnehin ein gespaltenes Verhältnis zu Rom, das Papsttum kann dem identitätspolitischen Einschlag der deutschen Bischofskonferenz nur wenig abgewinnen. Eine Kirche, die dem woken Zeitgeist nacheifert, läuft Gefahr, zu einem Spielball politischer Ranküne zu werden. Insofern ist die Aussage des Papstes auch in diesem Kontext zu sehen: Er macht sich nicht gemein mit den weltlichen Regierungen und ihren zeitgeistlichen Denkweisen, sondern setzt eigene Schwerpunkte.

Überhaupt lohnt sich noch ein Blick auf die Ukraine. Reuters meldete schon vor einigen Tagen, dass in der Ukraine selbst Stimmen aufkommen, die Verhandlungen für möglich erachten. Ein hochrangiger ukrainischer Beamter sagte das dem Nachrichtendienst. Er lässt sich zitieren: »Es kann sich eine Situation ergeben, in der wir Vertreter der Russischen Föderation einladen, und in der wir ihnen einen Plan vorlegen werden.« So könne der Angreifer beweisen, ob er »den Krieg wirklich beenden und zu einem gerechten Frieden zurückkehren möchte.«

Diese Planung liest sich wie der erste zögerliche Versuch einer Annäherung. Initiiert von den Ukrainern selbst. Vermutlich ist es den Ukrainern klarer als dem Westen, dass ein Ende notwendig ist – und ein schlechter Frieden besser sein könnte, als ein guter Krieg. Die Ukrainer machen eben genau das, was Baerbock dem Papst empfahl: Sie sind in der Ukraine und schauen sich das Land vor Ort an. Und zwar jeden Tag aufs Neue. Die Reaktion aus diesen Betrachtungen ist aber nicht, dass man per se weitermachen, sondern es nach Möglichkeit beenden möchte. Etliche Fahnenflüchtige zeugen von dieser Haltung ebenso, wie die oben genannten Verhandlungsansätze seitens der ukrainischen Administration.

Papst Franziskus fordert insofern also nur, was in der Ukraine selbst auch schon thematisiert wurde. Man kann sich vorstellen zu kapitulieren – möchte es aber der Welt als Verhandlung präsentieren. Franziskus kennt, anders als die Kriegshelden aus deutschen Talkshowformaten, Unterdrückung und Krieg gegen die Bürger aus eigenen Erfahrungen. Er hat erlebt, wie der südamerikanische Kontinent von totalitären Kräften überrannt wurde, wie sich Militärjuntas die Macht ergriffen und Gegner ausschalteten. Er weiß, was Gewalt und Zerstörung bedeutet – und dass es keine Option ist, den Hass auf die Unterdrücker zu kultivieren. Denn man muss später weiter mit ihnen leben. Dass die Außenministerin ihm also eine Reise ans Herz legt, ist doppelt dreist: Als er noch Jorge Mario Bergoglio war, hat er – anders als Baerbock – militärische Gewaltherrschaft in unmittelbarer Nähe erlebt. Er weiß, wovon er spricht – Baerbock weiß es mal wieder nicht.

Der Artikel erschien erstmals im Overton Magazin (overton-magazin.de), dem wir für das Recht danken, ihn ebenfalls zu veröffentlichen. 

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag über die Aussage des Papstes, ich stimme in allem zu! Unerträglich die Aussagen einiger Politiker!

    Mit Dank und freundlichen Grüßen

  2. Reinhard F.
    „Es soll Gerechtigkeit geschehen – und gehe die Welt dabei zugrunde.“ Genau diese Haltung erkenne ich in zahllosen scharfzüngigen Kommentaren unserer Leitmedien und vielen Leserbriefen, die nichts anderes widerspiegeln, als was in den Leitmedien als Meinungsvorgabe zu lesen ist. Ich kann verstehen, dass das Prinzip der Gerechtigkeit viele antreibt und die daher fordern, Putin und seine Helfer vor Gericht zu stellen. Was innerhalb eines Rechtsstaates mit seinem Gewaltmonopol funktioniert, nämlich den Täter polizeilich zu fassen und vor Gericht zu bringen, das gibt es auf supranationaler Ebene nur ansatzweise: Welche Weltpolizei wäre berufen und imstande Putin zu verhaften? Und warum nur ihn? Wäre dann nicht auch ein George W. Bush ebenfalls zu verhaften und vor Gericht zustellen? Hunderttausende Tote kostete sein machtpolitisch motivierter „Krieg gegen den Terror“ allein im Irak. Großmächte wie China, Russland und die USA lassen sich in ihrer Politik von nationalen Interessen und geopolitischen Strategien leiten, von Werten und Moral nur, wenn es opportun erscheint. Also müssen wir nicht auf Gerichte und Gerechtigkeit warten, sondern den mühevollen Weg von Kompromissen und Verhandlungen mit Klugheit und Weitblick gehen, denn Menschenleben zu retten, ist wichtiger als jeder Quadratkilometer Land.

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