Neuerscheinung zu einem Braunschweiger Verfolgtenschicksal

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Der Künstler Gunter Demnig bei der Verlegung des Stolpersteins für Irmgard Plättner. Fotos: Hans-Georg Dempewolf

Das kurze Leben der Irmgard Plättner

Heute wurden in Braunschweig erneut einige »Stolpersteine« für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung verlegt. Siehe unsere Ankündigung dazu. Darunter einer für Irmgard Plättner, gestorben 1945 mit 24 Jahren im Konzentrationslager Ravenbrück. Sie gehörte zur Verfolgtengruppe der sogenannten »Asozialen«, besser: Verfolgten aus sozialen Gründen, deren Schicksal in der Nachkriegsöffentlichkeit weithin unbeachtet blieb und teils bis heute ist. Daniel Haberlah hat ihren Lebensweg in einem Buch rekonstruiert.

Ein Verfolgtenschicksal

Irmgard Plättner, geb. Kasten, wurde am 7. Januar 1921 auf dem Geiershagen in Braunschweig geboren, im Arbeitermilieu der Braunschweiger Neustadt. Nach der Scheidung ihrer Eltern und als schwangere Minderjährige wurde sie 1936 zu einem Fall für die NS-Fürsorgebehörden. Ihren Sohn gab sie bald nach der Entbindung in eine Pflegefamilie. Danach lebte sie mit gerade einmal 17 Jahren fortan allein.

Ihr Leben schien sich zu stabilisieren als sie im März 1942 Hermann Plättner heiratete, mit dessen Familie sie schon seit einiger Zeit auf dem Werder lebte. Doch während ihr Mann als Soldat am Krieg gegen die Sowjetunion teilnahm, wurde Irmgard Plättner am 2. April 1942 erstmals von der Gestapo in Braunschweig verhaftet, da sie sich weigerte im Rahmen einer Dienstverpflichtung in der Braunschweiger Rüstungsindustrie zu arbeiten. Sie wurde vom Amtsgericht Braunschweig zu 3 Monaten Haft verurteilt.

Im März 1944 wurde sie erneut durch die Gestapo verhaftet. Der Vorwurf lautete diesmal »Arbeitsbummelei«. Damit geriet sie endgültig in die Mühlen des längst radikalisierten NS-Lagersystems. Sie wurde zunächst im berüchtigten Arbeitserziehungslager Watenstedt-Hallendorf bei Salzgitter interniert. Nach einigen Wochen Haft, in denen sich ihr Gesundheitszustand unter den katastrophalen Lagerbedingungen verschlechterte, wurde sie etwa im Mai 1944 in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überführt.

Bei der Ankunft dort litt sie bereits an der Syphilis. Die meiste Zeit verbrachte sie daher im Krankenrevier des Lagers, bald auch an Typhus leidend. Laut Zeugenaussagen sollte sie im Frühjahr 1945 in der Gaskammer in Ravensbrück getötet werden. Eine Mitgefangene versteckte sie allerdings und bewahrte sie vor diesem Schicksal.

Nur wenige Tage später, Ende Februar 1945, starb Irmgard Plättner im Alter von 24 Jahren an den Folgen ihrer Erkrankungen und der Unterversorgung im Konzentrationslager Ravensbrück.

Es ist nicht allzu häufig, dass ein solches Einzelschicksal rückwirkend rekonstruiert werden kann. In Irmgard Plättners Fall ist das ihrem Ehemann zu verdanken, der nach seiner Rückkehr aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft Ende 1949 Nachforschungen zum Schicksal seiner Frau anstellen lässt und einen Antrag auf »ererbte Haftentschädigung« stellte, da er seine Frau als politisch Verfolgte ansah. Mit diesem Antrag wurden ungewöhnlich umfangreiche Aussagen zweier Zeuginnen erhalten, die über Irmgard Plättners Schicksal im Konzentrationslager Auskunft gaben.

Es mag aus heutiger Sicht skandalös wirken, entsprach aber damals geltendem Recht: Der Antrag wurde vom Sonderhilfsausschuss Braunschweig zurückgewiesen, da Irmgard Plättner nach Ansicht des Ausschusses nicht »aus politischen Gründen, als vielmehr wegen ausgesprochener Arbeitsverweigerung und Arbeitsbummelei […] verhaftet worden ist […] Auch ist nicht ersichtlich, dass besondere nationalsozialistischen Maßnahmen zu ihrer Verhaftung geführt hätten. […] Sie kann daher auch nicht als Verfolgte nach dem Gesetze anerkannt werden.«

Erst 2020 verabschiedete der Bundestag eine Resolution, die diese Verfolgten als Opfer des Nationalsozialismus anerkannte und sie damit anderen Verfolgten des Regimes gleichstellte.

Irmgard Plättner gehörte zu jenen Verfolgten, die als sog. »Asoziale« Opfer der NS-Verfolgung wurden. Ihr Fall ist insofern nur ein Beispiel für das Schicksal vieler überwiegend unbekannter Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Dass ihr Lebensweg und ihre Verfolgung rekonstruiert werden konnte, ist allerdings ein seltener Glücksfall.

Der Braunschweiger Geschichtsstudent Daniel Haberlah machte sich auf die Spurensuche des kurzen Lebens seiner Urgroßtante und liefert mit seinem Buch zugleich einen exemplarischen Beitrag zur Geschichte des Nationalsozialismus in Braunschweig. Das Buch ist an sofort erhältlich.

Daniel Haberlah: Als »Asoziale« nach Ravensbrück. Das kurze Leben der Irmgard Plättner. Eine Spurensuche. Schellerten 2021. 196 Seiten, 12 €. Erhältlich unter www.einert-krink.de und im Buchhandel

Ein weiteres Verfolgten-Schicksal, an das heute bei der Stolperstein-Verlegung erinnert wurde, ist das von Dr. Julius Bockemüller, einem Arzt aus Sickte. In diesem Fall ist es Diethelm Krause-Hotop zu verdanken, dass auch dieses Schicksal aufgearbeitet wurde:

„Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ Dr. med. Julis Bockemüller – Opfer nationalsozialistischer Willkürherrschaft. In: Braunschweigisches Jahrbuch für Landesgeschichte. Bd. 86, Braunschweig 2005, S. 95-108.

Siehe dazu auch den Beitrag „Stolperstein für Dr. Julius Bockemüller“ des Wilhelm-Gymnasiums Braunschweig.

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