Nabucco auf dem Burgplatz: Babylonischer Wüstensand im Zweistromland an der Oker

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Der babylonische König Nebukadnezar alias Nabucco reitet ein. Nabucco: Ivan Krutikov, Chor, Extrachor des Staatstheaters Braunschweig ©Bettina Stoess

Seit 2003 veranstaltet das Staatstheater Braunschweig jedes Jahr im Hochsommer in einer eigens dafür errichteten Arena mit 1.200 Sitzplätzen ein Opern Open Air. Auf dem Programm stehen beliebte Werke des Musiktheaters. In diesem Jahr wird mit Verdis Nabucco eine der beliebtesten Opern überhaupt gespielt. Den Gefangenenchor „Va, pensiero“ kennt wohl jeder. In diesem Jahr liegt die Sitzplatzauslastung bei mehr als 97 Prozent. Das liegt sicher nicht nur am Bekanntheitsgrad der Oper Nabucco, sondern auch an der Inszenierung von Klaus Christian Schreiber. Der prominente Fernsehschauspieler hat eine glückliche Hand in der Führung von Solisten und Chor und präsentiert eine nachvollziehbare Handlung traditionell und verzichtet weitgehend auf Modernisierung. Die Aufführung in einer Arena braucht etwas Besonderes, und das bietet Schreiber unter anderem mit dem Pferd Murmel, auf dem Nabucco einreitet. Das Arenarund ist sandbedeckt und quaderförmige Relikte erinnern an die Zeit in der Nabuccos Geschichte um Machthunger und Religionskrieg im Zweistromland spielt.

Nabucco: Ivan Krutikov, Ismaele: Kwonsoo Jeon, Fenena: Dorothea Spilger, Zaccaria: Jisang Ryu Chor, Extrachor des Staatstheaters Braunschweig ©Bettina Stoess

Den von Georg Menskes und Johanna Motter bestens einstudierte Staatstheaterchor und Extrachor setzt Klaus Christian Schreiber klug ein und gibt ihm ein besonderes szenisches Gewicht. Die Choristen sind im Gesicht halb blau und halb hell geschminkt, um mal Unterdrückte und mal Unterdrücker spielen zu können. Im Zweistromland waren die Völker mal Gewinner und mal Verlierer. Der Mensch war und ist variabel vom Opfer bis zum Täter. Aber Schreiber führt nicht nur den Chor, sondern er hat auch einen eigenen Ansatz der Geschichte Nabuccos. In Braunschweig trifft ihn nicht der Blitz, sondern der Schlag. Nabucco erleidet einen Schlaganfall. Das macht ihn schwach und hilflos. Schließlich gesundet Nabucco wieder und die Geschichte nimmt ihren Lauf.

Braunschweigs Generalmusikdirektor Srba Dinic ist für die musikalische Umsetzung verantwortlich und bringt mit dem Staatsorchester Braunschweig, dem Chor und den hervorragenden Solisten die explosive Musik Giuseppe Verdis bestens zu Gehör. Die elektronische Verstärkung ist gut ausgesteuert und ermöglicht ein optimales Klangerlebnis auf allen Plätzen. Ein Höhepunkt ist der Gefangenenchor, den der Chor äußerst zart im Piano beginnt und dann ins Forte steigert. Der weltweit aktive und renommierte Dirigent Srba Dinic balanciert seine Musiker geschickt zwischen lyrischen Passagen und dramatischen Ausbrüchen. Das Staatsorchester folgt seinem Chef von einer Gefühlswallung zur anderen. Einfühlsam hält Dinic die Fäden in der Hand und führt Orchester, Chor und Solisten mustergültig. Das Staatstheater Braunschweig kann bei den Solisten auf ein junges Hausensemble und international bekannte Gäste setzen. Als Abigaille überzeugt Yulianna Bawarska. Sie verfügt über einen lyrisch-dramatischen Sopran, mit dem sie auch imponierende Tonsprünge bewältigt. Sie überzeugt auch in den höchsten und dramatischsten Passagen der machtgeilen Abigaille.

Ebenfalls Gast am Staatstheater Braunschweig ist der Bariton Ivan Krutikov, der nicht nur ein hervorragender Sänger, sondern auch ein guter Darsteller ist. Aus dem Ensemble des Staatstheaters singt Kwonsoo Jeon mit lyrischem aber durchschlagskräftigem Tenor Ismaele. Er ist ein zurückhaltender Gefährte Dorothea Spilgers, die die Fenena singt und darstellt. Ein Pluspunkt dieser Aufführung ist Dorothea Spilger als Fenena, die einerseits eine Leidende glaubhaft darstellt und andererseits über eine ausgesprochen schöne Stimme verfügt. Die attraktive Sängerin gehört seit Beginn dieser Spielzeit zum Ensemble des Staatstheaters Braunschweig. Ein gesangliches Highlight der Nabucco Premiere war die von Dorothea Spilger bravourös dargebotene Arie der Fenena. Sie überzeugt mit herrlich weich und lyrisch gesungenen Tönen, die nichts an Innigkeit vermissen lassen. Von dieser Sängerdarstellerin wird man sicher noch viel in Braunschweig sehen und hören. Mit gerade einmal 30 Jahren kann sie auf eine beeindruckende Karriere zurückblicken, die sie an die Opernhäuser von Lyon, Prag, Arhus und die berühmte Mailänder Scala führte. Zudem gastierte sie am Theater Erfurt, dem Staatstheater am Gärtnerplatz in München und bei den Festspielen in Erl sowie Wexford. Dorothea Spilger ist vielfache Preisträgerin von nationalen und internationalen Opernwettbewerben. Jisang Ryu ist seit dem letzten Jahr in Braunschweig engagiert und singt mit schwarzem Bass und großer Stimmgewalt eindrucksvoll die Rolle des Zaccaria, dem er leider schauspielerisch kaum Gewicht verleiht. Als Baalpriester fällt gesanglich Rainer Mesecke dahinter deutlich ab. Sein Bass ist nicht gefestigt genug und seine stimmliche Darstellung wirkt mitunter unstet. In kleinen Rollen bewähren sich Tenor Michal Prosynski (Abdallo) und Jelena Bankovic (Anna) bestens.

Klaus Christian Schreiber inszeniert Nabucco zum Gefallen des Publikums, und setzt die Oper nicht mit zeitgenössischem Inszenierungsschabernack in den Sand. So wünschen sich große Teile des Publikums ein Musiktheater-Event, das Lust auf mehr macht.

Regie und Bühnenbild sowie Kostüme ergänzten sich kongenial. Das würdigte bei der Premiere auch das Publikum und schloss Regisseur und Kostüm-/Bühnenbildnerin Corinna Gassauer in den begeisterten Applaus ein. Im kommenden Jahr steht mit Giacomo Puccinis Oper, Madama Butterfly, ein ähnlich beliebtes Werk auf dem Arena-Spielplan, und im Großen Haus beginnt die Musiktheatersaison mit Faust von Charles Gounod am 18. Oktober. Später sind unter anderem Eugen Onegin und Fidelio auf dem Programm des Staatstheaters Braunschweig.

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