„Mehr Verantwortung übernehmen“. Eine Meinungsumfrage und was dahinter steht

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Am 20. Mai 2014 veröffentlichte die Braunschweiger Zeitung das Ergebnis einer Meinungsumfrage zur Außenpolitik der Bundesregierung. Ihr zufolge bejaht wenig mehr als ein Drittel der Bundesbürger eine Außenpolitik, die „mehr Verantwortung“ übernimmt. Vor zwanzig Jahren waren es noch über 60 Prozent gewesen. Offensichtlich eine Folge des Afghanistan-Krieges, in dem auch deutsche Soldaten  getötet, verletzt oder traumatisiert wurden. Doch Außenminister Steinmeier möchte das nicht so sehen und fordert einen „Dialog“ mit der Bevölkerung, um ihre Bereitschaft zu „mehr Verantwortung“ zu verbessern.. Worum geht es?

Vor einigen Monaten veröffentlichte die Stiftung „Wissenschaft und Politik“ unter Federführung von Herfried Münkler eine Studie mit dem Titel „Neue Macht Neue Verantwortung“, die auch im Internet nachzulesen ist. Die erwähnte Meinungsumfrage sollte offenbar prüfen, inwieweit die deutsche Bevölkerung bereit ist, nach den neuen Tönen, die hier angeschlagen werden, mitzutanzen.

Der 47-seitige Text beginnt mit lapidaren Aussagesätzen: „Deutschland war noch nie so wohlhabend, so sicher und so frei wie heute. Es hat – keineswegs durch eigenes Zutun – mehr Macht und Einfluss als jedes demokratische Deutschland vor ihm. Damit wächst ihm auch Verantwortung zu.“ Abgesehen von der Scheinlogik dieser Herleitung: Trifft diese Analyse überhaupt zu? Deutschland ist in sozialer Hinsicht ein tief gespaltener Staat, die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich laut OECD nirgends in Europa so rasch wie hier. Was die Sicherheit betrifft: Die Verfasser der Studie weisen schon im folgenden Absatz auf die veränderten Weltumstände hin,. welche die bisherige Ordnung ins Wanken bringen. Vor allem der Prozess der europäischen Einigung stecke in der Krise.

Aus dieser Unsicherheit folgt der nächste Aussagesatz, der nun schon appellativen Charakter trägt: „Auf diese Veränderung muss Deutschland reagieren.“ Ein unsichtbarer Zeigefinger richtet sich auf Deutschland, denn es ist stärker vernetzt und globalisiert als die anderen europäischen Staaten und daher (angeblich) besonders anfällig. „Bekenntnisse zur existierenden internationalen Ordnung reichen nicht mehr aus“, wird mit mahnender Stimme verkündet. Außerdem: „Außerdem: „Seine Unternehmen operieren auf allen Kontinenten.“ Dass  dies so bleibe, müsse das Ziel der deutschen Außenpolitik sein. Die Konsequenz: „Gefragt sind mehr Gestaltungswillen, Ideen und Initiativen.“

Man fragt sich: Wer spricht hier eigentlich? Einer „wissenschaftlichen“ Studie stünde eine bescheidenere, vor allem analytischere Sprache an, nicht dieser imperativische Tonfall. Wer ist der Adressat? Wahrscheinlich der deutsche Michel, der auf seine „Verantwortung“ hingewiesen werden soll. Verantwortung vor wem? Vor der Weltgeschichte? Oder sind es doch handfeste Mächte, welche ein stärkeres, gern auch militärisches Engagement der Bundesrepublik wünschen, das sie mit dem Terminus „Verantwortung“ ethisch verbrämen?

 

 Die USA sind dabei, sich aus dem atlantischen Raum zurückzuziehen. Bei seinem zweiten Amtsantritt sprach Obama vom beginnenden „pazifischen“ Zeitalter. Sie sind nun stärker mit China beschäftigt und überlassen vieles den Europäern. Der politischen „Elite“ in Berlin kommt dieses Machtvakuum offensichtlich sehr gelegen. Nicht umsonst sind wir stärkste Wirtschaftsmacht Europas. Vorbei sind die Zeiten, in denen Außenminister Westerwelle sich in politischer Zurückhaltung übte. Gauck stößt ins Horn, und Steinmeier und von der Leyen marschieren. Die Studie ist von der Großen Koalition sicherlich noch vor der Ukraine-Krise initiiert worden, doch diese gibt erst den richtigen Rahmen für neue Führungsstärke.

Vielleicht wird die Friedensbewegung Westerwelle noch einmal ein Denkmal setzen müssen.  

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