Dieselskandal geht weiter
Von Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament
Seit 2010 gelten Grenzwerte für Stickstoffdioxid in Europa. Die EU-Luftqualitätsrichtlinie legt fest, dass im Jahresmittel nicht mehr als 40 µg/m³ Stickstoffdioxid in der Luft gemessen werden dürfen. In vielen deutschen Städten werden diese Grenzwerte aber regelmäßig überschritten. Die Europäische Kommission hat Deutschland deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Der Gerichtshof sprach heute (3. Juni 2021) sein Urteil in dem Vertragsverletzungsverfahren, das in 2015 eröffnet wurde. Er stellt fest, dass Deutschland anhaltend und systematisch gegen EU-Recht verstößt. Die Bundesregierung muss nun dafür sorgen, dass die Luft in Deutschland sauber wird. Ansonsten drohen Strafzahlungen für jeden Tag, an dem die Luft weiterhin zu schlecht ist.
Dieselfahrzeuge im Straßenverkehr und die Verbrennung von Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfällen in Heizungsanlagen sind die Hauptquellen von Stickstoffdioxid. Städte sind deshalb besonders durch diese Verschmutzung betroffen. 20% der städtischen verkehrsnahen Luftmessstationen registrierten 2019 Überschreitungen des Stickstoffdioxid-Grenzwertes. Die Deutsche Umwelthilfe hat im April den fortgesetzten Einsatz von Abschalteinrichtungen in Millionen von Dieselfahrzeugen in Deutschland und Europa aufgedeckt. Stickstoffdioxid verursacht unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atemwegsinfekte, Atemnot, Husten und Bronchitis. Da es die Schleimhaut des gesamten Atemwegs angreift, leiden besonders Menschen mit Allergien darunter. In Deutschland sterben mehr als 70.000 Menschen jedes Jahr an den Folgen schlechter Luft.
Das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesregierung zeigt schon jetzt Wirkung. Im Jahr 2017, das Jahr, in dem die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erhoben wurde, verstießen 65 deutsche Städte gegen die Stickstoffdioxid-Grenzwerte. In einigen Städten war die Belastung im Jahresschnitt doppelt so hoch wie erlaubt. In 2018 waren es 57 Städte, in 2919 25. In 2020 war die Stickstoffdioxidbelastung, auch wegen des geringeren Verkehrsaufkommens durch die Coronamaßnahmen, in nur 6 Städten zu hoch. Alle EU-Mitgliedstaaten sind dazu verpflichtet, im Falle von Überschreitungen der Grenzwerte Luftreinhalte- und Aktionspläne aufzustellen. In Deutschland legen die jeweiligen Bundesländer die für diese Planung zuständigen Stellen fest.
Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europäischen Parlament, erklärt:
„Heute ist ein guter Tag für saubere Luft und das Vertrauen in die Rechtsgemeinschaft der EU. Der Europäische Gerichtshof setzt das Recht auf saubere Luft um. Nach zehn Jahren kontinuierlichen Rechtsbruchs wurde die Bundesregierung endlich für ihre Untätigkeit verurteilt. Das Urteil zwingt die Bundesregierung, endlich die EU-Regeln einzuhalten. Die Bürgerinnen und Bürger müssen besser vor Luftverschmutzung geschützt werden. Denn die vielen tausenden Toten und Kranken durch verschmutze Luft sind die Konsequenz jahrelanger Duldung von Umweltkriminalität durch die Bundesregierung.
Der fossile Straßenverkehr ist weiter ein großes Problem für viele Städte. Der Dieselskandal geht leider immer noch weiter. Um die Verkehrswende endlich voran zu bringen, darf Verkehrsminister Scheuer sich nicht länger schützend vor die Automobilindustrie stellen. Alle illegalen Dieselfahrzeuge müssen jetzt von der Straße und die Hersteller müssen die Kosten für die Beseitigung der Abschaltvorrichtungen übernehmen.
Die Verbesserung der Luftqualität in Deutschland seit Eröffnung des Verfahrens zeigt die Wirkung der Vertragsverletzungsverfahren. Doch die EU-Kommission hat zu lange gezögert. In Zukunft muss die EU-Kommission schneller auf Vertragsverletzungen reagieren. Um auch nach der Corona-Pandemie saubere Luft zu gewährleisten, muss die EU-Kommission endlich rechtliche Schritte gegen die Bundesregierung einleiten, um den illegalen Einsatz von Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen zu stoppen. Auch bei weiteren Luftschadstoffen bricht die Bundesregierung seit Jahren EU-Recht. Das nächste Vertragsverletzungsverfahren steht Deutschland schon ins Haus wegen hoher Emissionen von schädlichem Ammoniak aus der Massentierhaltung.“