„Klimaneutralität gibt es nur auf dem Papier“

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Totholzbiotope aus denen artenreiche Wälder entstehen können. Flächig abgestorbene Fichten am Oderteich (Harz). Foto: Hans-Georg Dempewolf

Klimaneutralität ist heutzutage in aller Munde. Zahlreiche Unternehmen, Investoren, Städte und Regionen haben sich dabei ehrgeizige Ziele gesteckt und wollen innerhalb kurzer Zeit klimaneutral werden. Die braunschweiger SPD postuliert so z.B. in ihrem Klimapapier ein „klimaneutrales Braunschweig bis 2030“ (siehe dazu auch unseren Beitrag). Bis zu diesem Datum sollen auch alle Bundesbehörden klimaneutral sein, erklärt das Bundesumweltministerium ganz stolz auf seiner Webseite. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verkündet sogar, schon seit Dezember 2019 „in der Bilanz klimaneutral“ zu sein.

Wie einfach so etwas zu bewerkstelligen ist, beschreibt der Ökonomieprofessor Helge Peukert sehr kurzweilig und informativ in seiner Recherche „Klimaneutralität: Ein dreister Ökobluff“. Er zeigt dort, wie ein Mensch selbst mit großem CO2-Fußabdruck sich ganz seriös für nur 12 Euro im Jahr klimaneutral rechnen kann.

Da fällt es denn wohl auch allen beteiligten Befürwortern des geplanten interkommunalen Gewerbegebiets an der A2/A39 nicht weiter schwer, selbst diese großflächige Naturzerstörung „wegzukompensieren“. Jedenfalls scheint das Vorhaben in Bezug auf schon gesteckte Klimaziele niemanden zu stören.

Ganz so ehrgeizige Ziele wie die braunschweiger SPD hat das Klimasekretariat der Vereinten Nationen nicht. Im Juni 2020 hat es die internationale Kampagne „Race to Zero“ ausgerufen. Das Ziel: die CO2-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null zu senken, also Klimaneutralität zu erreichen… Doch was heißt Klimaneutralität? Netto-Null meint ja eben nicht null Emissionen, sondern nur den Ausgleich von Emissionen durch „negative Emissionen“, durch Zertifikatehandel und Kompensation. Ist dieser Ansatz der „Klimaneutralität“ dann überhaupt ein taugliches Klimaschutz-Instrument? Auch Eva Rechsteiner in „der Freitag“ hat da gehörige Zweifel (hgd):

der Freitag:Frau Rechsteiner, die Begriffe „klimaneutral“ und „Klimaneutralität“ sind seit einiger Zeit allgegenwärtig. Man kann klimaneutral bei Shell tanken, klimaneutrale Milch im Supermarkt kaufen, und fast täglich bekennt sich ein weiterer Staat, ein Unternehmen oder eine Stadt dazu, in wenigen Jahrzehnten klimaneutral zu werden. Wird Klimapolitik jetzt endlich ernst genommen?

Eva Rechsteiner: Nein, das sind nur Versprechungen für eine ferne Zukunft. Wenn die EU und China in 30 beziehungsweise 40 Jahren wirklich keine CO2-Emissionen mehr ausstoßen möchten, müssten sie jetzt schon ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen ergreifen. Das passiert aber nicht.

Also wäre es besser, die Klimaneutralität oder die „Netto-Null-Emission“ schon bis 2025 beziehungsweise bis 2035 zu erreichen, wie das die neuen klimapolitischen Bewegungen Extinction Rebellion beziehungsweise Fridays for Future fordern?

Die Forderungen nach vorgezogenen Zielen sind gut, da sie den Druck auf die Politik erhöhen, reichen aber auch nicht. Denn das Problem ist das Ziel Klimaneutralität an sich. Es baut darauf auf, dass Treibhausgase Priorität haben vor Biodiversität, sauberer Luft und Wasser, Lärmschutz und Gesundheit. Andere Indikatoren wie Geschlechtergerechtigkeit und Ressourcenschonung werden zu „co-benefits“ heruntergestuft. Weiter

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