Im Kleinen Haus droht Kult-Potenzial

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Machen einfach gute Laune: Cino Djavid, Larissa Semke, Vanessa Czapla, Gertrud Kohl, Heiner Take in „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Come Back“ im Kleinen Haus. Fotos: SgtPeppers_HP2_204@björn_hickmann

Im Kleinen Haus droht Kult-Potenzial: Das Ensemble zeigt seine Talentvielfalt bei „Sgt. Pepper’s“

Als die Beatles vor 52 Jahren mit ihrem seinerzeit skurril-schrillen Konzeptalbum „Sgt. Pepper’s“ Musikgeschichte schrieben, erahnte Niemand die Auswirkungen. Pink Floyd, Frank Zappa, The Who und später sogar Prince traten in ihre künstlerischen Fussstapfen. Die gefeierten Fab Four aus Liverpool selbst beendeten hingegen ihr bisheriges Dasein als erste Boygroup der Welt und stiessen die Tore weit auf für nie gehörte (oder unerhörte) Dimensionen in der Popmusik. Gleichzeitig rollten sie den psychedelischen Klangteppich aus für die Generation der Jugendrevolte, die späteren Hippies und die Drogenkultur. Ganz schön viel, was man mit 140 Gramm schwarzem Vinyl anrichten kann.

Aus den Pilzköpfen wurden Psylo-Esser, und das Bühnenbild (Nicole Hoesli) im Staatstheater Braunschweig nimmt die Doppeldeutigkeit treffsicher auf: Vier überdimensionale Pilze beherrschen das linke Bühnendrittel, rechts erstrahlt ein künstlicher Regenbogen in Neonfarben über einem Berggipfel. Dazwischen liegt allerlei Musikgerät von der Ukulele bis zum Susaphon. Von der Decke schwebt eine Verstärkerbox herab, aus der, unterlegt mit Krächzen und Knistern, John Lennon’s Off-Monologe aus den Abbey Road Studios zu hören sind.

Völlig losgelöst: Heiner Take, Larissa Semke, Saskia Taeger, Robert Prinzler, im Hintergrund Gertrud Kohl und Vanessa Czapla. Foto: Sgt. Peppers_HP2_294@björn_hickmann

Ganz langsam nähern sich die neun Akteure dem Stück. Mal tauchen sie mit einer Erdbeer- (Strawberry-)Torte in der Hand aus einer Bodenluke auf (Cino Djavid), mal rutschen sie auf dem Hosenboden den Berg herab (Larissa Semke) oder kullern schlicht auf die Bühne (Vanessa Czapla). Mit zunächst zaghaften Stimmchen trällern die AkteurInnen Refrain-Fetzen aus „With a little help from my Friends“, bis der Chor plötzlich Fahrt aufnimmt und unvermittelt „Lucy in the Sky“ anstimmt: Andachtsvoll huldigt die Gruppe dabei dem Pilz-Ensemble wie christlich Gläubige dem Kreuz.

Erst nach 24 Minuten fallen die ersten Worte, unerhört für ein Sprechtheater-Stück. Weit gefehlt hat, wer nun Dialoge erwartet: Heiner Take rezitiert eine Liedzeile auf Englisch, Hippie-Mädchen Larissa Semke monologisiert als erste Urmutter der Grünen über Tropfen im Ozean, Cino Djavid sinniert über den Suizid („Vergiss die Schlinge nicht. Gutes Gelingen!“) und Tobias Beyer steigert sich in eine Schimpfkanonade auf alle vermeintlichen Stereotypen dieser Welt. Da wird das Stück ganz schnell modern und Social Network-kritisch.

Überhaupt entfaltet sich die Magie des ganzen Theaterabends (Regie: Markus Heinzelmann und Bo Wiget) erst zögerlich, dann immer rasanter aus Wortfetzen, Klangfetzen, Assoziationsfetzen und schliesslich kompletten Songs, die irgendwo schon in den Köpfen der ZuschauerInnen hintergründig schlummern. Dabei ist die Un-Stringenz erlaubt: Gertrud Kohl erklimmt wie eine kleine Lucy den höchsten der vier Bühnenpilze, kommt nicht mehr allein herunter, und piepst wie ein Mäuschen weinerlich „Help! I need Somebody…“. Und Tobias Beyer hisst tapfer mit dem Stones-Klassiker “Satisfaction” die Fahne der musikalischen Opposition. „Sgt. Peppers“ ist eben kein verkitschtes Musical für nostalgische Beatles-Fans.

Agieren in einem psychedelischen Bühnenbild: Gertrud Kohl, Saskia Taeger, Vanessa Czapla, Larissa Semke, Bo Wiget, Tobias Beyer. Foto: SgtPeppers_HP2_129@björn_hickmann

Beeindruckend die Spielfreude der neun Akteure (Robert Prinzler sogar als überdimensionaler Sänger auf der Videowand, Bo Wiget in der blauen Lennon-Uniformjacke und virtuos am Klavier). Sakia Taeger deklamiert „All You need is Yesterday“, schnappt sich dann überraschend den E-Bass und transformiert daraus in Sekunden ein brüllendes „Helter Skelter“ (vom Weißen Album).

Die grandiosen Einzelleistungen aller neun Akteure machen aus dem Stück ein sinnliches Erlebnis und bergen Überraschungen. Dass Heiner Take auch ein überragender Musiker ist, wissen die TheatergängerInnen seit „And the Stars look very different…“. Dass Vanessa Czapla am Schlagzeug einen Ringo Starr ersetzen kann, Gertrud Kohl versiert E-Bass spielt und Cino Djavid und Robert Prinzler mit virtuosen Gesangsstimmen aufwarten, ist bisher eher unbekannt. Im Stück dürfen sich alle Beteiligte musikalisch entfesseln und offenbaren ihre überraschende Talentvielfalt. Ob gewollt oder Zufall: Dieser Abend bringt das Ensemble dem Publikum sympathisch näher.

Die Inszenierung verdichtet „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Come Back“ zu einem rasanten Stück, das Kult-Potenzial besitzt – auch für Menschen, die die Beatles nie mochten oder erst nach Prince aufgewachsen sind.

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