IHK-Sozialtransferpreis: Privatisieren wir doch einfach den Sozialstaat!

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Warum nicht auch den Sozialstaat privatisieren? Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) beschwor vor der IHK Braunschweig die „corporate social responsibility“. Foto: Klaus Knodt

Ein Sozialstaat, der seinen sozialen Verpflichtungen nicht nachkommt, braucht Unterstützung. Da trifft es sich gut, dass auch mittelständische Unternehmen inzwischen begriffen haben, wie sie ihr Firmenimage verbessern können – „Tue Gutes und rede drüber“ lautet die Maxime im Sozialsponsoring. Die Industrie- und Handelskammer Braunschweig hat daraus einen Wettbewerb gemacht, der heuer ins 10. Jahr ging.

Jury-Präsident Harald Tenzer, Prof. Dr. Tanja Witting (Hochschule Ostfalia), Thomas Spark (Weihnachten für Alle e.V.), IHK-Präsident Helmut Streiff und Carsten Überschär (Volksbank BraWo) bei der Preisübergabe. Foto: IHK / André Pause

Deshalb (und wohl auch wegen der anstehenden Europawahl und aufgrund seiner regionalen Verwurzelung) hielt Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, die Festansprache zur diesjährigen Verleihung des „IHK-Sozialtransferpreises“ im vollbesetzten IHK-Kongresssaal. Die Spitzen der Braunschweiger Wirtschaft, ein paar Landtagsabgeordnete (keiner aus Braunschweig) und hohe Funktionsträger der regionalen Verbände und Verwaltungen waren anwesend, als Heil verkündete: „Die Sehnsucht nach Zusammenhalt der Gesellschaft ist riesengroß“ und er möchte „über Solidarität nachdenken“ (für einen Sozi in seiner Stellung eigentlich erste Amtspflicht). Daher fordere er eine „corporate social responsibility“ ein, die das Grundgesetz ja schliesslich auch mit der Eigentumsverpflichtung verlange.


Die Preisträgerinnen und Preisträger des IHK-Sozialtransferpreises 2019 mit dem Jury Vorsitzendem Harald Tenzer, Bundesminister Hubertus Heil und IHK-Präsident Helmut Streiff (von links). Foto: IHK / André Pause

Zur Beruhigung der Anwesenden strich er dann aber im gleichen Kontext die „Eigentumsgarantie des Grundgesetzes“ heraus (die da übrigens gar nicht so deutlich drinsteht) und banalisierte Enteignungs-Gedankenspiele von Kevin Kühnert: „Das muss man Juso-Bundesvorsitzenden manchmal noch erklären.“ Aufatmen im Auditorium. Und überhaupt, so lobte der Minister artig, seien die positiven Beispiele für sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft „in der Mehrheit“. Man „rede nur nicht darüber“. Fazit des Sozialministers: „Wir brauchen keinen überbordenden Sozialstaat sondern einen, auf den man sich verlassen kann.“ Der Staat habe im Wesentlichen die Aufgabe, „Solidarität zu organisieren“.

Und exakt das – wen wundert’s – tue sein Haus gerade mit dem umstrittenen „Grundrenten-Modell“, behauptet Heil. Beispielhaft führt er die Krankenhaus-Putzfrau an, die mit 10,38 Euro Stundenlohn noch 18 Jahre arbeiten muss, um dann kümmerliche 715,- Euro Rente zu erhalten. Deutlich unter dem Satz für die Sozialhilfe-Alterssicherung. Doch vor den Braunschweiger Wirtschaftsbossen zieht Heil die einfachste Lösung, nämlich die Anhebung des Mindestlohns auf ein rentenverträgliches Niveau, nicht in Betracht. „Er brüllte wie ein Löwe und endete als Bettvorleger“, hätte Karl Kraus wohl gespöttelt.

Mit ganzen 170.000 Euro haben Unternehmen aus dem Bereich der IHK Braunschweig in den vergangenen 10 Jahren soziale Projekte im Kontext des „Sozialtransferpreises“ unterstützt; 20.000 davon in 2019. „Die Region ist voll mit engagierten Unternehmen, die sich in Zusammenarbeit mit sozialen Einrichtungen für das Allgemeinwohl stark machen“, folgert daraus IHK-Präsident Helmut Streiff. Der mit 10.000 Euro dotierte Hauptpreis ging dieses Mal an das Trio „Weihnachten für alle e.V.“, Hochschule Ostfalia und die Volksbank BraWo, die sich gemeinsam im Projekt „Wunscherfüller“ engagieren. Zu Weihnachten werden arme und wohnungslose Menschen aus Braunschweig und Umgebung bei einer Weihnachtsfeier von „Spendenpaten“ mit Geschenken bedacht, die sie sich von ihrer Sozialhilfe nicht leisten können: das beginnt beim Theaterbesuch und endet bei einem behindertengerecht ausgestatteten Klapprad.

Verstanden sich offenbar gut: Arbeitsminister Hubertus Heil und IHK-Präsident Helmut Streiff. Foto: Klaus Knodt

Ein zweites ausgezeichnete Projekt wird gemeinsam von der Netzlink Informationstechnik GmbH, der Lebenshilfe Braunschweig sowie dem Gymnasium Martino Katharineum durchgeführt. „Jobcaching-Projekte für Menschen mit Handicap“ lautet der Titel. Die drei Partner haben sich mit Inklusion in der Berufsorientierung und im Bewerbungsverfahren auseinandergesetzt. Dazu wurden Materialien und Medien in leichter Sprache entwickelt, um in Zeiten des Arbeitskräftemangels Menschen mit Handicap an die Werkbänke zu kriegen (Preisgeld 6.000 Euro). Für das Projekt „Niedrigschwellige Drogenhilfe und Präventionsarbeit“ des Immobilienunternehmens TAG Wohnen & Service GmbH und des Vereins SuPer Salzgitter e. V. gab es 4000 Euro. Wohl auch dies nicht ganz uneigennützig: In prekären Wohnlagen verslumter Städte lassen sich kaum Immobilien an den Käufer oder Mieter bringen.

Als die Preisträger auf die Bühne kamen, war Hubertus Heil übrigens schon weg.

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