In einer Pressemitteilung wird groß angekündigt, dass der erste Höhepunkt des Kulturprojekts 1913/2013 feststeht: Die Gurre-Lieder von Arnold Schoenberg werden in Berlin aufgeführt. Klingt erst einmal gut, ist es das aber auch?
Erinnern wir uns kurz an den Anlass für diese Aufführung: Braunschweig möchte feiern, und weil es 2013 keinen echten Grund dazu gibt, kam jemand auf die Idee, den 100. Hochzeitszeittag von Victoria Luise zu feiern. Dass diese Hochzeit gar nicht in Braunschweig, sondern in Berlin stattfand, wurde erst einmal ignoriert. Ebenso dass Luise eine starke Cognac-Trinkerin und Reval-Raucherin war, die sich ihre „Autobiografie“ von einem rechtsradikalen Verleger schreiben ließ und eher in die Reihe der Braunschweiger Originale passt.
Nach vielen Protesten wurde das Konzept der Veranstaltung nun erweitert und trägt den sperrigen Titel: „1913/2013 – Braunschweig zwischen Monarchie und Moderne“, oft mit dem Zusatz: die Welfen/Hohenzollernhochzeit (sic!). Oder irgendwie so ähnlich. Wie beim Konzept konnte man sich noch nicht auf einen richtigen Titel einigen.
Nun wird der große Höhepunkt angepriesen: Das Staatstheater spielt die Gurre-Lieder von Arnold Schoenberg in Berlin. Das beweist Humor in vielfacher Hinsicht.
Schoenberg war gebürtiger Wiener und hatte mit der Welfen-/Hohenzollernhochzeit nichts am Hut. Für ein Kulturprojekt mit dem Titel 1913/2013 ist er genau der richtige Komponist, er litt an Triskaidekaphobie, das heißt, er fürchtete sich vor der Zahl 13. Er wurde an einem 13. geboren, sein Todestag fiel auf einen Freitag den 13. Und der Missbrauch seiner Gurre-Lieder für hoheitlichen Popanz fällt ins Jahr 2013.
Die Ironie geht allerdings noch weiter: Schoenberg emigrierte 1933 in die USA, weil er seinen Beruf aufgrund der rassistischen Gesetzgebung der Nationalsozialisten nicht mehr ausüben durfte. In den USA nannte er sich fortan Schoenberg mit oe. Braunschweig hat heute den Oberbürgermeister Gert Hoffmann, der früher in der NPD tätig war und auch einem Kulturschaffenden die Lebensgrundlage entzogen hat, nämlich Hartmut El Kurdi. Und genau dieser Oberbürgermeister möchte nun seine Amtszeit mit einer Aufführung von Schönbergs Gurre-Liedern krönen. Schoenberg hätte vermutlich aus dieser Aufführung ein Skandalkonzert 2013 gemacht.
Der eigentliche Skandal ist jedoch ein weiterer:
Finanziert wird das Konzert von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Der Skandal: Politiker, Landesbischöfe, Ministerpräsidenten, Bürgermeister und Vertreter der Hohenzollern und Welfen werden also von Stiftungsgeldern eingeladen. Allesamt Personen, die eigentlich genug Geld haben müssten, um sich eine Konzertkarte zu kaufen. Die regionale Kulturszene bekommt hingegen fast nichts. Ein Kulturschaffender aus der Region bringt es auf den Punkt: „Vor zehn Jahren haben uns die Politiker erzählt, dass sie kein Geld mehr haben und wir uns für Projekte an Stiftungen wenden sollen. Und heute erzählen uns die Stiftungen, dass sie auch kein Geld mehr haben, weil das Geld für große politische Projekte verwendet wird.“
Zum Glück beweist das Staatsorchester wieder Humor. Schon zur Eröffnung von der Schlossfassadenteilrekonstruktion wollte das Staatsorchester Les Préludes von Franz Liszt spielen, bekannt aus der Deutschen Wochenschau. Und auch die Wahl der Gurre-Lieder hat einen humoristischen Hintergrund. Wie mir ein Mitglied vom Staatsorchester erzählte, muss man bei den Gurre-Liedern nur zwischen den Zeilen lesen. Der dritte Teil steht in der Tradition der Schauerromantik. In diesem gespenstischen Nachspiel ruft König Hoffmann seine toten Mannen (Luise & Ernst August) aus ihren Gräbern. Als rastlose, unerlöste Tote reiten sie nachts in wilder Jagd um das Braunschweiger Schloss, bis der Tag graut und sie wieder im Todesschlaf versinken. Alles mündet in den grandiosen, vom achtstimmigen gemischten Chor intonierten Schlusschor „Seht die Sonne“. Dieser strahlende Sonnenaufgang bildet den optimistischen Abschluss dieser Kantate (Namen und Orte von der Red. verändert). Da hofft man doch auf bessere Zeiten …
Seht die Sonne!
Farbenfroh am Himmelssaum
östlich grüßt ihr Morgentraum!
Lächelnd kommt sie aufgestiegen
aus den Fluten der Nacht,
lässt von lichter Stirne fliegen
Strahlenlockenpracht.
Sonnige Grüße,
Lord Schadt