Die ARD-Korrespondentin Sophie von der Tann bringt es in zwei Minuten auf den Punkt: die israelische Regierung verfolge den öffentlichen Plan zur Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen und betreibe die illegale Annexion des Westjordanlandes. Wenn die deutsche Regierung wirklich das Völkerrecht ernst nehme, müsse sie dieser Gewalt-Politik entgegentreten. Sie gebe aber nur Lippenbekenntnisse zum Völkerrecht ab und stelle die internationale Rechtsordnung aktiv in Frage, indem der Kanzler sogar den mit einem Internationalen Haftbefehl belegten israelischen Regierungschef Netanjahu nach Deutschland einlade.
Mehr als zwei Millionen auf weniger als zehn Kilometern im Quadrat zusammengepfercht
Schon bisher hat die israelische Regierung den Gazastreifen in großen Teilen verwüstet, die Zahl der Getöteten – in der Mehrheit Frauen und Kinder – wird ständig vergrößert, über 50.000 Tote sind gezählt, nach einer jüngst veröffentlichten Studie dürften es etwa doppelt so viele sein. 70 Prozent der Fläche von 365 Quadratkilometern (etwa die Größe Bremens) sind von der israelischen Armee „gesäubert“, Palästinenser dürfen sich dort nicht mehr aufhalten und sind auf einer Fläche von weniger als 10 Kilometern im Quadrat zusammengepfercht. Die Bevölkerung soll offensichtlich ausgehungert werden: seit dem 2. März erreicht keine einzige Hilfslieferung mehr das Gebiet, nach Angabe des Nahostexperten Michael Lüders sind 500.000 Menschen direkt vom Hungertod bedroht.
Erst gestern wurde das Europäische Krankenhaus in Chan Junis geschlossen, nachdem es am Dienstag durch einen Bombenangriff schwer beschädigt worden war. Leistungen wie Krebsbehandlung, Neurochirurgie und Behandlung von Herzkrankheiten können nun im gesamten Gazastreifen nicht mehr erbracht werden (BZ, 17. Mai). Dem Hilfswerk UNWRA wird von der israelischen Regierung die Arbeit verboten.
Für Lüders ist klar: die israelische Regierung verfolgt nun das Ziel, die palästinensische Bevölkerung zu vertreiben; sollen sie doch Unterschlupf bei anderen arabischen Staaten suchen! In diesen Tagen setzt Israel nun zu einer neuen Militäroffensive gegen Gaza an. Der Menschenrechtsbeauftragte der UNO, Volker Türk, gibt dazu folgende Einschätzung:
„Es sieht nach einem Vorstoß für eine dauerhafte Bevölkerungsverschiebung in
Gaza aus, der das Völkerrecht missachtet und einer ethnischen Säuberung
gleichkommt.“ Die Bombardements hätten bereits zu weiteren Vertreibungen
geführt. (tagesschau.de, 17.5.)
Schon warten Gruppen der israelischen Siedlerbewegung darauf, dass sie nach „Räumung“ des Gebietes neue Siedlungen in Gaza errichten können. Nach Aussage der Aktivistin Ajelet Schlissel warten sie nur auf den „richtigen Moment“. Das israelische Kabinett hat beschlossen, den Gazastreifen Schritt für Schritt zu besetzen und die Palästinenser zunächst in den Süden zu vertreiben. Dabei lässt der Finanzminister Smotrich keinen Zweifel am Endziel:
„Wir werden Gaza besetzen, um zu bleiben. Es wird kein Rein- und wieder
Rausgehen geben.“ (tagesschau.de, 6.5.)
Die Tatsachen liegen offen zutage, auch über unsere Medien erfahren wir genug über die Entwicklung. Wir sehen die Trümmerlandschaften, wir lesen, dass die Hälfte der palästinensischen Kinder lieber tot wäre als weiterzuleben, wir sehen die Leichensäcke nach einem der unzähligen Bombenangriffe, wir hören die Opfer beklagenden Stimmen, die inzwischen eher müde und kraftlos klingen als zornig und wütend.
Deutsche Waffen gegen Gaza: Können wir damit leben?
Es gibt nicht viele, die das richtig finden. Dass Israel das Recht auf Verteidigung hat, befürworten die allermeisten. Aber so gewissenlos das Völkerrecht missachten, auf Kosten der Existenz von erheblichen Teilen eines ganzen Volkes? Ohne Rücksicht auf die wehrlosesten Teile dieses Volkes? Und mit dem Ziel, diesem Volk endgültig das angestammte Land zu rauben? Und hat nicht Sophie von der Tann Recht, wenn sie sagt, wir Deutschen hätten eine besondere Verantwortung für die Einhaltung des Völkerrechts, gleich, von welcher Seite es verletzt und bedroht wird?
Große Teile der Weltbevölkerung – vor allem die des globalen Südens – sehen das Unrecht genauso wie wir, sie sind wütend und fordern ein entschiedenes internationales Eingreifen gegen die israelischen Gewaltpolitik. Auch in Europa gibt es Staaten, die für das Recht der Palästinenser Partei ergreifen, etwa Norwegen, Irland, Slowenien oder Spanien, die Palästina als Staat anerkennen (Frankreich hat es für die nahe Zukunft vor). Und Deutschland? Die deutsche Regierung verhindert nicht nur eine klare Kritik an der israelischen Regierung, sie unterstützt deren Politik sogar. Ein Beispiel: die Niederlande fordern, dass das Assoziierungsabkommen der EU mit Israel ausgesetzt wird, wonach Israel seine Waren ohne Zölle im EU-Gebiet verkaufen kann. Ein Schritt, der schmerzlich wäre für die israelische Regierung und der deshalb Wirkung entfalten könnte. Die deutsche Regierung ist dagegen.
Deutsche Waffen für Israel – das muss aufhören!
Vor allem aber: Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant für Israel! Mit deutschen Waffen und deutscher Ausrüstung greift die israelische Armee in Gaza an, ebenso im Libanon und in Syrien. Damit sind wir mitverantwortlich. Sicher haben wir aufgrund unserer Geschichte eine besondere Verantwortung für die Existenz und die Sicherheit Israels. Aber diese besondere Verantwortung gilt für die Rechte aller Menschen und aller bedrohten Völker – hier also für das geschundene Volk der Palästinenser. Das Wort „Nie wieder ist jetzt!“ gilt daher auch hier.
Ein sofortiger Stopp dieser Waffenlieferungen wäre das entscheidende Zeichen an die israelische Regierung, endlich einzuhalten. Ebenso die Bereitschaft, endlich die Haltung aufzugeben, die eine gemeinsame Ablehnung der gegenwärtigen Politik Israels durch die Staaten der EU unmöglich macht. Ein Kanzler Merz, der bewusst den Internationalen Strafbefehl gegen Ministerpräsident Netanjahu missachtet, arbeitet jedenfalls in die Gegenrichtung. Aber vertritt er damit das deutsche Volk?
Die moralische Empörung unserer Alpha-Journalisten gegenüber Russlands Kriegshandlungen in der Ukraine kann gar nicht deutlich genug ausfallen, die Rufe nach internationalen Tribunalen gar nicht laut genug, aber für Gaza nur lauwarmes Mitleid und schwache Mahnungen gegenüber der israelischen Regierung, was für eine schändliche Doppelmoral! Der Solidaritätsbonus für Israel ist für mich aufgebraucht.
Israels Regierung will nun die Versorgungsblockade vorübergehend ein bisschen lockern
nach Aussage von Ministerpräsident Netanyahu soll damit erreicht werden, dass die Militäraktion („neue Offensive“) ungestört verlaufen könne. Finanzminister Smotrich beeilt sich, Kritiker von rechts zu beruhigen: Man werde in den nächsten Tagen „kleine Lieferungen“ an die palästinensische Bevölkerung zulassen, „ein Pita und einen Teller Essen, das war´s dann auch schon“, so wörtlich. Die Armee werde dessen ungeachtet rücksichtslos vorgehen: „Alles, was vom Gazastreifen übrig bleibt, wird dem Erdboden gleichgemacht, einfach weil dort alles zu einer einzigen großen Terrorstadt geworden ist“. Netanjahus Kommentar dazu auf „X“: „Gut gemacht.“ (alle Informationen und Zitate aus: FAZ,20. Mai 2025)
Eins wird allerdings deutlich: durch internationalen Druck kann die israelische Regierung durchaus von ihrer derzeitigen Gewaltpolitik abgehalten werden. Netanyahu selbst spricht von internationalem Druck, der ihn dazu bringe, die Versorgungsblockade zu lockern. Die deutsche Regierung, die EU und vor allem die USA könnten dem Schrecken ein Ende machen – wenn sie es wollen.
Spiegel-Online meldet gerade, der ehemalige General Yair Golan hat die israelische Kriegsführung scharf kritisiert mit den Worten „ein Land, das bei gesundem Verstand ist, tötet keine Babys“. Damit verweist er auf den von internationalen Ärzten in Gaza aufgedeckten Fall, dass mehrfach Kleinkinder mit Kopfschüssen oder gezielten Brustschüssen seziert würden, die sicherlich von israelischen Schützen stammen.
Golan wurde daraufhin wüst attackiert von allen Spitzenpolitikern. Das ist das herrschende politische System Israels heute. Und wenn man deshalb wie Golan zum schlimmsten Antisemiten erklärt wird, dann muss man dazu stehen.
Mehrheit der EU-Außenminister fordert Überprüfung des Assoziationsabkommens mit Israel
Gestern trat eine „starke Mehrheit“ (Außenbeauftragte Kallas, tagesschau.de) für die Überprüfung des Abkommens ein. Das soll als Signal an die israelische Regierung verstanden werden, die humanitäre Blockade vollständig aufzuheben. Die Initiative kam vom niederländischen Außenminister Veldkamp. Die deutsche Regierung lehnt diese Initiative ab und steht damit einmal mehr auf der falschen Seite.
Die angestrebte Überprüfung liegt allerdings dann allein in Händen der EU-Kommission. Die Minister konnten sich nicht einmal auf die Festlegung einigen, dass auf diese Überprüfung dann bei negativem Ergebnis die Aussetzung des Dialogs mit Israel folgen solle. (Quelle: FAZ, 21.5.25)