Für eine 4. Gesamtschule – Vortrag Prof. Martin v. Saldern am 12. September

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21.09.07 Nachtrag:
So schnell kann es gehen. Innerhalb von wenigen Tagen machen Ministerpräsident Wulff und Oberbürgermeister Hoffmann plötzlich Konzessionen. Hoffmann weist auf den Druck der Basis hin! Wir lesen es gerne, betonen aber, dass Erweiterungsbauten nicht das Ziel der Initiative sind, wir wollen keine unüberschaubar großen Schulen.

Bericht über den Vortrag:
Deutschland darf seine Bildungsreserven nicht länger verschleudern. Spätestens seit die demografische Entwicklung einen spektakulären Fachkräftemangel hervorgerufen hat, ist diese Einsicht in aller Munde. Das dreigliederige Schulsystem trägt wesentlich dazu bei, dass Kinder aus „bildungsfernen Schichten“, zu denen vor allem die Migranten gehören, meist keinen oder einen wenig qualifizierten Abschluss erlangen. Eine so frühe Selektion der Kinder (schon mit zehn Jahre) gibt es europaweit nur in Deutschland und Österreich; in allen anderen Ländern bleiben die Kinder und Jugendlichen länger zusammen, und die schwachen können von den stärkeren lernen. Vor allem aber werden sie nicht so früh entmutigt wie in unserem System, das ihnen schon im Kindesalter zu verstehen gibt, dass sie zu den überflüssigen zählen.

Im Februar hat sich eine aus Vertretern von SPD, Grünen, BIBS, Linkspartei und GEW bestehende Initiative für eine vierte Gesamtschule in Braunschweig gebildet, die mittlerweile über 2000 Unterschriften für ihr Vorhaben gesammelt hat. Wenn auch die endgültige Entscheidung über unser Schulsystem in Hannover fällt, soll doch an der Basis für Veränderungen geworben werden, zumal auch in Braunschweig wieder einmal 328 Kinder, die eine IGS besuchen wollten, aus Platzgründen abgelehnt werden mussten. Im Rathaus denkt man nicht daran, irgendwelche Konsequenzen aus dieser Tatsache zu ziehen.

Doch im beginnenden Landtagswahlkampf wird das Schulsystem eine zentrale Rolle spielen. GEW und BIBS luden daher am 12. September ins Landesmuseum am Burgplatz ein zu einem Vortrag des Lüneburger Pädagogen Professor Matthias von Saldern, eines ausgewiesenen Experten für das Thema Gesamtschule (Sachverständiger in der Enquete-Kommission des Hamburger Senats „Konsequenzen aus PISA“) und engagierten Streiters gegen das bestehende hochselektive Bildungssystem.

 

(Foto von Jutta Martens)

Von Saldern erwies sich als kenntnisreicher und temperamentvoller Redner, an dessen pointierten Formulierungen das Publikum seine Freude hatte. Als Kern des Problems nannte er das niedersächsische Gründungsverbot für Gesamtschulen, das nach seiner Einschätzung „einmalig in der Welt“ ist. Das Festhalten am dreigliedrigen System widerspreche nicht nur dem Elternwillen, sondern verletze auch die freie Entfaltung der Kinder. Er plädierte dafür, nicht betriebs-, sondern volkswirtschaftlich zu denken, d.h. nicht kurzfristig an Symptomen zu kurieren, sondern den Mut zu Veränderungen zu haben, auch wenn sie im ersten Moment teurer seien. Langfristig aber lohnten sie sich, denn sie ersparten z.B.das kostenintensive Sitzenbleiben.

Anschaulich schilderte er den Druck, der schon in der Grundschule auf Lehrern und Schülern lastet. Gute Demokraten könne man so nicht erziehen! Wie „ungerecht“ die Grundschulempfehlung sei, konnte er statistisch belegen: ein guter Haupt- oder Realschüler kann besser sein als ein schlechter Gymnasiast. Bis zu einem Drittel der Schüler hat die falsche Empfehlung. Wie brisant die Situation geworden ist, zeigen nicht nur die leer stehenden Hauptschulen (die es auch in Braunschweig gibt!), sondern auch der Boom der Privatschulen: Hier landen alle, die dem Selektionsdruck entgehen wollen (sofern der Geldbeutel der Eltern dies erlaubt).

Im zweiten Teil der Veranstaltung befragte Dr. Uwe Meier von der Initiative, der die Veranstaltung souverän moderierte, die eingeladenen Kandidaten für die Landtagswahl nach ihrer Meinung zur Gesamtschule. SPD-Kandidat Schilf erinnerte an die Arroganz des derzeitigen Kultusministers in Sachen Gesamtschule und sprach sich für grundlegende Veränderungen im Schulsystem aus Entsprechend reagierten auch Gerald Heere und Gisela Ohnesorge (Grüne und Linkspartei). FDP-Kandidat Bernschneider bewies Mut, indem er ein von der Mehrheitsmeinung seiner Partei abweichendes Votum für Reformen abgab. Die CDU hatte keine(n) Vertreter(in) geschickt.

Der Abend klang aus wie er begonnen hatte, nämlich mit einer eindrucksvollen musikalischen Darbietung einer Musikgruppe der IGS Querum, deren mitreißende Rhythmik die Zuhörer frappierte.

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