Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen – Ein deutsches Lebensbild

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Buchbesprechung

Ein Roman mit autobiografischen Zügen, Geschichte aus Kriegs- und Nachkriegszeit sowie politisch Vorder- und Hintergründigem: Das wird in Wolfgang Bittners neuem Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ fein verwoben zu einem Gesamtbild, an das sich viele noch erinnern. Auch ich.

Das Buch irritiert mich etwas. Was ist erlebte Wahrheit, also biografisch und was ist erdacht oder empfunden? Ist es überhaupt wichtig das zu wissen? Für mich wohl schon, sonst wäre ich nicht irritiert. Im Grunde ist es aber unwichtig. So wie Bittner die Jahresspanne von 42 bis 55 beschreibt, so war es. Der Roman ist handlungsstark erzählt.

Das bürgerliche Zuhause in Gleiwitz, die behütete Welt, wird detailliert beschrieben. So wie es ein Kind wahrnimmt – auch in den Konflikten unter den Erwachsenen. Es nimmt die dräuende Gefahr wahr. Die Gespräche der Großeltern untereinander, der Volksempfänger und die Geschehnisse auf der Straße weisen immer wieder auf die unheilvoll anrückende Gefahr hin. Vom Vater im Krieg hört man viel zu selten. Die Sorgen der Mutter um ihren geliebten Mann im Feld nimmt man wahr. Die Mutter und die Großeltern sind vorsichtig. Die Nazis im Ort sind erbarmungslos. Die Menschen verschwinden einfach.

Zwei Erzählstränge tun sich zunächst auf, die so lange das Buch durchziehen, solange der Krieg noch nicht in Gleiwitz angekommen ist. Das Blutbad Stalingrad und der Rückzug werden im Volksempfänger nur indirekt erwähnt. Man erahnt das unendliche Leid der Soldaten und die Kriegswende, trotz aller Goebbels-Propaganda. Doch der Krieg ist noch weit weg. Aber der kommt näher und näher; damit ändert sich die bürgerliche Idylle. Bis die russischen Soldaten im Haus stehen und ihr Unwesen treiben.

Die heile Welt ist Vergangenheit, sie war einmal. Nichts hat mehr seine Ordnung. Schon gar nicht die Flucht. Noch nicht mal in einem ordentlichen Zug fährt man gen Westen – aber man wird immerhin gefahren. Auf dem Zugdach wird geflüchtet und in Berlin kennen einen die Verwandten nicht mehr. Man wollte dort kurz unterschlüpfen. Rette sich wer kann, auch in die miesesten zusammengefallenen Keller. Fast unbeteiligt werden die Fluchtsituationen aus Sicht des Kindes erzählt. Hauptsache die Mutter ist da! Sie ist der Anker. Die weiß immer Auswege, auch wie man den Vater finden könnte: Über den Suchdienst. Der liegt im Lazarett. Wenigsten überlebt, wenn auch schwer verwundet. Überhaupt ein Wunder, dass er überlebte!

Doch nun geht`s aufwärts. Statt Krieg gibt es sibirischkalte Winter und Steckrüben. Zur kulturellen Erbauung allerdings ein Diskussionszirkel in den Flüchtlingsbaracken. Und es gab endlose Abenteuer. Gemeinsam mit den anderen Flüchlingsjungen aus dem Barackenlager und gegen die einheimischen Jungs.

Die Nachkriegs-Lektüre des Buches ist eine Reise in die Vergangenheit, auch in meine Kindheit– in die Nachkriegszeit mit den vielen Eindrücken, die nicht einzuordnen waren. Es gab an meinem Wohnort die Engländer, die nett waren. Die schenkten mir Schokolade. Es gab Barackenlager und viel arme Menschen, die aus meiner kindlichen Sicht alles Flüchtlinge waren.

Bittner beschreibt die Flüchtlingsproblematik aus Sicht eines betroffenen Kindes, das aus Gleiwitz kam und die geliebten Großeltern zurücklassen musste. Ich erinnere mich aus Sicht eines „Eingeborenen“ und wunderte mich seinerzeit über die vielen Personen in unserem Haus, die alle arm waren. Flüchtling stand für mich für den Begriff „Armut“ und „Traurigkeit“.

Bittners Roman geht über die Erzählung der Kriegs- und Nachkriegszeit hinaus. Er beschreibt auch die ersten Jahre der politischen Nachkriegszeit hin zur Bonner Republik. Kritisch betrachtet er die Zeit der frühen Fünfziger in der Konrad Adenauer die Westintegration betrieb und all den Nazis, auch denen in Führungspositionen, Absolution erteilte, um sie wieder in Kultur, Wissenschaft, Justiz und Politik aufzunehmen. Die Politik der Kontinuitäten, der Reinwaschungen, der Ausreden war nun angesagt. Im Grunde bis heute.

Der Roman ist ein hoch politisches und aktuelles Buch. Denn den Krieg, die Vertreibung, die Flucht, die Vergewaltigungen, die Lügen der Verbrecher im bürgerlichen Gewand, die Elendsquartiere und die Integration der Verbrecher in die bürgerliche Gesellschaft gibt es immer noch. Es hat sich nichts geändert. Derzeit nur die kriegerischen Ereignisse unter anderen geografischen Koordinaten.

Wolfgang Bittner

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