Der Name „Roselies“ und seine Bedeutung

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„Du bist wie eine Blume, So hold und schön und rein; Ich schau Dich an und Wehmut, Schleicht mir ins Herz hinein.“ (Heine) – Das Wort „Roselies“ vereint den Wohlklang eines weiblichen Vornamens mit der Schönheit und dem Duft einer hoch geschätzten Blume. Es strahlt zivile, friedliche Sinnlichkeit aus. Eine so benannte militärische Anlage suggeriert, dass die Einrichtung nur dazu dienen kann, Krieg zu vermeiden und Frieden zu erhalten oder zu sichern. Und wenn die militärische Einrichtung am Ende dann noch in eine zivile verwandelt wird: Schwerter zu Pflugscharen, Kasernen zu Wohngebieten – aus der Roselies-Kaserne werden Roselies-Siedlung, Roselies-Kita usw. … findet der Klang des Namens gewissermaßen seine zivile Erfüllung in dem, was er benennt – schön!

Einem Vortrag von Dietrich Küssner vom 19. März dieses Jahres über die Verwicklungen der Kirche in den 1. Weltkrieg ließ sich aber (S. 5 des Vortrages) entnehmen, dass der Name „Roselies“ ein Ortsname in Belgien ist, der nicht nur mit Krieg, sondern auch mit Kriegsverbrechen im 1. Weltkrieg verbunden ist.

 

Das „Vaterländische Kriegsgedenkbuch“ über „Die Braunschweiger im Weltkriege 1914-1918“ gibt zwei Zeitleisten mit einem Überblick  über die „Kriegsereignisse“ (S.24) und den „Vormarsch und die Stellungen des Regiments 92“ (S. 64) im August 1914. Auf der einen Zeitleiste wird für den 21. August die Teilnahme der Braunschweiger Regimenter am „Gefecht bei Tamines und Roselies“ festgehalten, auf der anderen werden für den 22. August als Orte des Gefechts ebenfalls „Roselies, Tamines“ genannt. Die Orte liegen zwischen Namur und Charleroi nah beieinander an der Sambre, Tamines an der westlichen, Roselies an der östlichen Seite einer Flusswindung.

Anders als Roselies ist Tamines für die dort von deutschen Soldaten an Zivilisten verübten Kriegsverbrechen bekannt. Dies wohl weniger, weil die Ereignisse in Roselies und benachbarten Orten grundsätzlich anders abgelaufen waren als in Tamines, sondern weil die Vorgänge in Tamines exemplarisch dokumentiert und vor der Weltöffentlichkeit angeprangert wurden.

Franzosen und Engländer nutzten Übertreibung und Dämonisierung der Kriegsereignisse unbestritten auch als verzerrende propagandistische Mittel gegen den deutschen Feind. Doch kann über diese Kriegsverbrechen dennoch eine vergleichsweise sehr hohe Gewissheit herrschen, weil eben nicht nur die Gegner der Deutschen, sondern auch sie selbst in Tagebüchern und Briefen detailliert darüber berichteten. Auch die Zahlen getöteter Zivilisten stimmen wesentlich mit denen überein, die ihnen von den Gegnern vorgeworfen wurden. Ein Standardwerk von John Horne und Alan Kramer  („Deutsche Kriegsgreuel 1914 – Die umstrittene Wahrheit“ (2004); siehe die Rezension in DIE ZEIT von Volker Ullrich) versucht Mythos und Wahrheit so gut es geht zu unterscheiden. Ein vorbereitender Aufsatz von Kramer zu diesem Buch ist im Internet veröffentlicht: „Greueltaten“ – Zum Problem der deutschen Kriegsverbrechen in Belgien und Frankreich 1914. (aus: Hirschfeld / Krumeich / Renz (Hrsg., 1993), Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch …)

Die Deutschen Eroberer hatten besondere Angst vor so genannten „Franktireurs“, wörtlich übersetzt: Freischütze, d. h. Freischärler, Partisanen oder Guerillas, – heute würden sie aus gegnerischer Sicht vermutlich „Terroristen“ genannt, Zivilisten, die keinem offiziellen militärischem Verband angehörten. Belgien war ein neutrales Land und die Belgier fühlten sich von den Deutschen völkerwidrig erobert. Streit unter Historikern gab es im Nachhinein vor allem über die Frage, wie umfangreich tatsächlich auch belgische Zivilisten mit Waffengewalt in die Kämpfe eingriffen. Jeder belgische Zivilist war für die deutschen Eroberer letztlich verdächtig, ein Franktireur zu sein und die Franzosen zu unterstützen, von denen sich die Belgier gegen die angreifenden Deutschen verteidigt fühlten.

Braunschweiger Quellen beschreiben Verbrechen auch von Braunschweiger Kriegsteilnehmern in Roselies, wie sie für Tamines und einige andere Orte in Belgien umfassend dokumentiert und der Weltöffentlichkeit präsentiert wurden. Im „Vaterländischem Kriegsgedenkbuch“ finden sich entsprechende Berichte. Auf S. 22 von „Aus dem Tagebuch eines 92ers“, aus dem auch Küssner zitiert, sieht man eine Reihe ausgebrannter Häuser. „Strafgericht“ ist der Untertitel. Zur Strafe wegen der Unterstützung oder auch nur vermeintlichen Unterstützung ihrer französischen Verteidiger wurden ihre Häuser niedergebrannt. Aus den Berichten geht das Folgende hervor (S. 25): Nachts überquerte man die Sambre

und marschierte auf Roselies. Das Vorhutbatallion […] war bereits bis zur Mitte des Dorfes vorgedrungen, als vorn bei der Spitze eine Gewehrsalve abgefeuert wurde, welcher ein intensives Einzelfeuer aus allen Häusern folgte. Es war dies zwischen 3 und 4 Uhr morgens und noch stockdunkel.

Über das gleiche Ereignis berichtet eine weitere Quelle im „Kriegsgedenkbuch“. Aus dem Tagebuch des seit dem 8./9. September 1914 vermissten Johannes Neumeyer, Sohn des Braunschweiger Buchhändlers, heißt es (S. 60):

In Roselies ging eine Spitze vor. Am Eingang des Dorfes sah unser Hauptmann Leute, die er mit „Halt! wer da?“ anrief. Antwort erhielt er zunächst mit „Hurra“, jedoch hörte er kurz darauf französische Laute, die er mit einem Pistolenschuss erwiderte. Sofort entstand eine fürchterliche Panik.

Man war im französischsprachigen Belgien. Im Gebiet hielten sich neben den Dorfbewohnern auch französische Militärs auf. Aus dem Bericht geht nicht hervor, ob und wer da sofort aus den Häusern schoss, oder wieweit es sich dabei nicht um „friendly fire“ handelte, um Schüsse der eigenen Soldaten auf den kaum erkennbaren Feind. Denn es sei schließlich noch stockdunkel gewesen, der Freund war unter diesen Bedingungen also nur schwer vom Feind zu unterscheiden. Neumeyer berichtet weiter (S. 60):

Also glücklich ging es denn doch noch durch. Die Rache war groß. Das ganze Dorf wurde von uns in Brand gesteckt, aber kein Gehöft blieb verschont. Das hatte nun bis Mittag gedauert. Die Bataillone versammelten sich hinter Roselies.

Der erste Bericht – in ihm wurde das Niederbrennen des Dorfes nicht „Rache“ sondern „Strafgericht“ genannt – schilderte die Situation in Rosalies wie folgt:

Das zweite Bataillon war sofort in einen heftigen Straßenkampf verwickelt, alle Häuser mussten gewaltsam erbrochen werden, es entspann sich im Innern derselben ein wütender Kampf mit Kolben und Bajonett und da man mancher Hausbesatzungen nicht habhaft werden konnte, so griff man zu dem einzig wirksamen Mittel in solchem Falle, man zündete die Häuser an. Bald stand die Dorfstraße an vielen Stellen in Flammen, und das Regiment war im Besitz derselben und damit des nördlichen Dorfteiles.

Roselies war der erste Ort, an dem Braunschweiger in Kämpfe verwickelt wurden. Es hatte aber schon Vorbilder und ein „92er“ berichtete vom Vormasch durch das schon besetzte Gebiet nach Roselies (S. 58-59):

Wir haben Furchtbares gesehen. Dort fanden wir alle Dörfer bis auf die Grundmauern zerstört. Überall hatten Bewohner auf deutsche Soldaten geschossen, aus Kellerfenstern, von den Dächern, aus dem Dunkel der Wälder. Da war dann die schreckliche Rache über das Land gefahren, und erbarmungslos hatten die deutschen Waffen geblitzt. Wir fanden kaum noch Menschen. – Aber so muss es sein, wenn wir nicht zuviel fürchten wollen von diesem heißblütigen Menschenschlage.

Knapp 3 km Luftlinie von Roselies entfernt liegt westlich Tamines. In gleicher Entfernung liegt östlich von Roselies Pont-de-Loup. Der Braunschweiger Dr. phil. Kuhlmann berichtet über die „Schlacht bei Namur“ (Kriegsgedenkbuch, S. 34):

Wir rückten nach Pont-de-Loup hinein. Da knatterte und krachte es von oben. Die Arbeiter schossen aus den Häusern, salvenartig wurde von uns gegen die Fenster geschossen. Immer kommen Verwundete zurück, die, während sie in der Schützenlinie lagen, von den Bergwerksarbeitern mit Schrot von hinten beschossen waren. Befehl: „Das ganze Dorf wird angesteckt!“ Ich kriegte die Gefangenen; Weiber und Kinder wurden auf einem Platz, die Kerle auf einem anderen Platz zusammengetrieben. Die Kerle wurden durchsucht, sie mussten mit erhobenen Händen stehen. Eingenähte Patronen und Dolchmesser fanden wir. Inzwischen züngeln aus allen Häusern die Flammen. Von der Arbeiterhütte bis zum Fabrikbesitzerschloss brennt alles. Es wird Abend und die Truppen rücken aus dem brennenden Dorf zurück. Ich gebe die Gefangen ab und bekommen Feldwache.

Wenn feindliche, französische Soldaten sich „ergaben“, hatten sie zumindest die Chance, in Gefangenschaft zu überleben. Verdächtige feindliche Zivilisten galten als „Franktireurs“, Terroristen. Sie wurden oft gleich hingerichtet. Walter Voigt („Mit 1/92 auf dem Vormarsch auf dem Vormarsch durch Belgien und Frankreich“, Braunschweig: Appelhans, 1924) berichtet von den Kämpfen an der Sambre in und um Roselies den folgenden Vorfall (S. 49):

Zwei Zivilisten lösen sich aus der Gruppe von Menschen, während die anderen zurücktreten. Ein blonder, hoher, kräftiger Mann und ein Pfarrer mit zusammengekniffenem Gesicht und einem Jesuitenhut. Sie sind mit der Waffe in der Hand angetroffen und haben auf unsere Leute geschossen. Nun sollen sie standrechtlich erschossen werden. Zuerst kam der Geistliche dran. Er breitete die Arme aus und empfing seinen Schuss, dann kam der Blonde, ein Hüne von Kerl. Auch er breitete die Arme aus und fiel steif wie ein Brett aufs Gesicht. Wir kauen gemütlich unser requiriertes Brot und sprechen von den Verlusten, die uns betroffen.

Die Beschreibung der Hinrichtung hat den Anschein einer zur Abschreckung durchgeführten exemplarischen Exekution von Zivilisten. Der eine stark, groß und blond, der andere geistlich und fromm – niemand sollte geschont werden. Um ein Kriegsverbrechen handelt es sich in jedem Fall, auch wenn die zwei Zivilisten damals zuvor tatsächlich auf deutsche Soldaten geschossen haben sollten. Über die verworrenen Kämpfe in Roselies berichtete Voigt (S. 39) im Einklang mit den beiden anderen Berichten:

Die Spitze des am Anfang der Kolonne marschierenden II. Batallions war nämlich am Nordeingang von Roselies auf einen französischen Posten gestoßen und in der Nähe der Kirche auf stärkere feindliche Kräfte. Es entspann sich in der Dunkelheit ein lebhaftes Feuergefecht, während welchem Oberstleutnant Schollmeyer und Major Dürr leicht verwundet wurden; beide blieben jedoch bei der Truppe. Da es zwecklos gewesen wäre, in der Dunkelheit weiter vorzugehen, beschränkte man sich darauf, den gewonnenen Teil des Dorfes zu halten und die Häuser, aus denen von Franzosen und Einwohnern geschossen wurde, zu säubern, was für das II. Bataillon nicht ohne Verluste abging. Es schien eine Schar dieser zusammengetriebenen Zivilisten zu sein, die wir von unserem Platz aus sehen konnten. Etwa 150-200 Menschen reckten dort einen Wald von Händen empor und machten die flehentlichsten und verzweifelsten Gesichter; um sie herum aufgeregte, grimmig aussehende deutsche Soldaten. Wir hielten die Zivilisten für Zechenarbeiter, die aus einer Kohlegrube gekommen waren oder wieder einfahren wollten. Wir konnten uns nicht darum kümmern, Näheres zu erfahren, da sich alles in wenigen Augenblicken vor uns abspielte und wir bald aufbrachen, um dem Leibbataillon zu folgen.

Der Bericht „Aus dem Tagebuch eines 92ers“ fasst die symbolische militärische Bedeutung des Ortes Roselies wie folgt zusammen (S. 26 des Kriegsgedenkbuches):

Die zweite Armee hat am 22. August in breiter Front den Sambre-Abschnitt von Charleroy bis zu den Forts von Namur erzwungen, teilweise mit schweren Opfern, so das X. Reserve-Korps bei Charleroy und das Regiment 77 bei Tamines. Das Braunschweigische Infanterie-Regiment Nr. 92 hat seinen Teil zum Erfolge beigetragen und bewiesen, dass der altbraunschweigische Geist, der bei Quatrebras (Das Schlachtfeld von Quatrebras liegt 2 Meilen von Roselies entfernt.) sich so herrlich betätigte, in dem jetzigen Geschlecht noch fortlebt. Roselies wird als erster Gefechtstag in der Geschichte des Regiments fortleben, wenn auch manche größere Waffentat im Laufe des Krieges stattgefunden hat, die geeignet sein könnte, die ersten Zusammenstöße mit Franzosen zu verdunkeln.

Dies Fazit aus dem Vaterländischen Kriegsgedenkbuch über die Braunschweiger im Weltkriege 1914-1918 mag die Militärs 1938 dazu veranlasst haben, die in Vorbereitung auf den bald folgenden nächsten Krieg erbaute Kaserne bei Rautheim „Roselies-Kaserne“ zu nennen. Für die Errichtung eines „Ehrenhains“ ist der Name denkbar ungeeignet. Es klingt unbeholfen wohlmeinend, wenn gemäß Anhang der Verwaltungsvorlage für den Kulturausschuss vom 12. April der geplanten Gedenktafel an diesem Ehrenhain am Baugebiet Rosalies Süd folgende Widmung gegeben werden soll:

Den Braunschweiger Soldaten, die in den Kriegen der letzten 300 Jahre ihre Gesundheit und ihr Leben ließen, ohne an Kriegsverbrechen beteiligt zu sein, wird an dieser Stelle gedacht. 

Denn im belgischen Roselies und in den umliegenden Dörfern waren in den letzten Augusttagen des Jahres 1914 Kriegführung und Kriegsverbrechen, in die dort gerade auch Braunschweiger Soldaten verwickelt waren, kaum trennbar und auch kaum unterscheidbar miteinander verbunden.

(Ein Kommentar)

 


Kommentare   
 
+10 #1 Heiner Wassmuss 2014-07-16 22:19
Vielen Dank für diese umfangreiche Zusammenstellun g zum Roselies- Komplex!Interes sant und weiter zu verfolgen ist der Gedanke, den „unglückseelige n“ Namen nicht einfach zu löschen, sondern ihn umzufunktionieren.
Wie wäre es mit einer Partnerschaft Braunschweig- Roselies?
 
 

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