Gründe für die Einrichtung des Lagers
Im Schandelaher Raum liegt Ölschiefer dicht an der Oberfläche und ist dadurch leicht abbaubar. Im Sommer 1943 beschloss die braunschweigische NSDAP Führung gemeinsam mit Vertretern der Technischen Hochschule Braunschweig die Gründung der Steinöl GmbH, später getarnt als Kalk- und Zementwerke Schandelah. Ziel war der Aufbau einer Versuchsanlage zur Gewinnung von Öl aus Ölschiefer.
Im Mai 1944 begann die SS den Aufbau des Lagers zu organisieren und Arbeitskräfte aus dem KZ Neuengamme herbei zu schaffen. Für jede Arbeitskraft erhielt die SS reichlich Geld. Im Oktober waren es bereits 700 Gefangene, im Dezember knapp 800. Schwere körperliche Arbeit, schlechte Verpflegung, kaum Winterbekleidung und kaum Heizmaterial kennzeichneten die schreckliche Situation im Lager. Die Baracken des Lagers waren für 512 Gefangene vorgesehen. Der Krankenstand betrug oft bis zu 20 Prozent. Probleme bereitete die Wasserversorgung. Es musste in großen Fässern von einem Bauern in Schandelah geholt werden. Im Januar 1945 begann dann der Versuchsbetrieb.
Das Ende der Nazi-Herrschaft und die Auflösung des Lagers
Die Front bewegte sich unaufhaltsam immer näher auf den Braunschweiger Raum zu. Am 12. April 1945 wurde Braunschweig kampflos an amerikanische Truppen übergeben.
Seit dem 1. April wussten die Gefangenen vom Vormarsch der Alliierten und fragten sich, wie lange sie noch im Lager bleiben müssten. Sie hatten große Angst um ihr Leben. Würde die SS sie in die Hände der Alliierten übergeben oder vorher noch erschießen? Am 5. April kamen noch 498 Evakuierte aus dem KZ Porta bei Minden. Die ca. 1300 Gefangenen mussten nun zu zweit in einem Bett schlafen. Am Samstag, dem 7. April, standen Viehwaggons zur Evakuierung bereit, aber es gab keine Lokomotive.
Am Ostersonntag, 8. April, versuchten die von der SS eingesetzten Gefangenen Bewacher (Kapos) zu fliehen, was ihnen nicht gelang. Im Lager herrschte eine allgemeine Unruhe und die eingesetzten deutschen Arbeitskräfte verließen ihre Arbeitsplätze. Die Befreier waren weniger als 50 km entfernt. Nun machten sich auch die ersten SS-Bewacher aus dem Staube.
Am Ostermontag (9. April) lässt Lagerleiter Friedrich Ebsen zum Appell versammeln und verkündete: „So, wenn ihr ruhig bleibt, wenn ihr kein Durcheinander veranstaltet, wenn ihr nicht rebelliert, dann bleiben wir hier, und wir übergeben euch den Amerikanern“. Die Freude unter den Gefangenen war groß, ihre Hoffnung aufs Überleben greifbar.
Diese Freude erwies sich aber als verfrüht. Aus dem Hauptlager in Neuengamme kam der Befehl, das Lager zu räumen. Ziel war das KZ-Lager Wöbbelin, bei Ludwigslust. Nun herrschte allseits große Verwirrung.
Am Morgen des 10. April kam beim Appell die Durchsage, dass das Lager geräumt wird. Die Kranken wurden mit der Kleinbahn zum Bahnhof Schandelah gefahren, alle anderen mussten unter SS-Bewachung mit Hunden in Fünferreihen durch Felder und Wiesen nach Schandelah gehen, wo sie gegen 14 Uhr ankamen. Sie trugen die gestreifte Lagerkleidung, konnten bei Glück ein bis zwei Decken mitnehmen und bekamen eine letzte Ration zu essen, die die meisten vor Hunger sofort aufaßen.
Lagerleiter Ebsen kam mit dem Verbrennen der Dokumente nicht so schnell hinterher und berichtete 1947 im Schandelaher Kriegsverbrecherprozess: „Was an Dokumenten noch nicht verbrannt worden war, wurde mitgenommen“.
Auf dem Bahnhof Schandelah standen 36 Waggons für sie bereit. Sie hörten in der Ferne Kanonen und Maschinengewehrfeuer, aber die Hoffnung, von den Amerikanern befreit zu werden, erfüllte sich nicht. Gegen 17 Uhr fuhr der Zug ab. Nun begann für die Gefangenen ein wahres Martyrium.
Während der Fahrt mussten die Gefangenen wegen der Flugzeugangriffe mehrmals aus dem Zug aussteigen. In Wittenberge wurde die Elbe überquert und der Zug kam auf ein Abstellgleis. Nach drei Tagen, am 13. April, erreichte der Zug das Lager Reiherhorst, nur 500 Meter vom KZ Wöbbelin entfernt. Hier kamen sie nochmals auf ein Abstellgleis, in einem Tannenwald und mussten zwei Nächte in den Waggons verbringen, ehe sie endlich am 15. April Wöbbelin erreichten.
Die Zustände in diesem Lager waren grauenvoll, die Todesrate extrem hoch. Dort starben insgesamt ca. 1.000 Menschen, viele verhungerten, die Sanitäranlagen waren verheerend und es herrschte eine extrem unmenschliche Behandlung.
„Das ganze Kommando von Schandelah, ungefähr 1300 Menschen, musste in eine Baracke, die maximal 250 unterbringen konnte. Es gab keine Tische, keine Stühle und keine Betten mehr“, berichtete einer der Überlebenden später. Erst mit der Befreiung durch die 82. US-Luftlandedivision der United States Army am 2. Mai findet der Schrecken sein Ende.