Das Amtsgericht Wolfenbüttel von den 30er bis zu den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts

0
Amtsgericht Wolfenbüttel Foto: Dieter Kertscher/Wolfenbüttel

Mit einem Exkurs zum Amtsgericht Seesen. Ein Beitrag zur Stadtgeschichte von Wolfenbüttel.

Von Arnulf Heinemann

Mehr als 6000 Strafverfahren fanden zwischen 1933 und 1945 am Amtsgericht Wolfenbüttel statt. Es ging um Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung, um Eigentumsdelikte und politische Delikte. Angeklagt waren Frauen und Männer aus der Region, aber während des Zweiten Weltkrieges auch Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus Europa. Es gab Einstellungen von Verfahren sowie Freisprüche, aber auch Strafbefehle und Strafurteile mit Haftstrafen ab wenigen Tagen bis zu mehr als einem Jahr Haft.

Mit diesen Verfahren hat sich nach seiner Pensionierung im Jahr 2017 der frühere Lehrer und ehemalige Mitarbeiter der Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel Arnulf Heinemann beschäftigt. Das Ergebnis seiner Recherche ist als Broschüre im Selbstverlag erschienen und für 14 Euro im Wolfenbütteler Buchhandel erhältlich. Heinemann hat in seiner Zeit in der Gedenkstätte zum Thema Justiz zahlreiche Seminare und viele Fortbildungen für Lehrer veranstaltet.

„Der frühere Richter am OLG Braunschweig Dr. Helmut Kramer aus Wolfenbüttel hat sich mit der vorliegenden Arbeit befasst. Er lobte sie, „da mit ihr die regionale Justizgeschichte in der NS-Zeit weiter erforscht wurde und diese Arbeit viele neue Aspekte zeigt.“

Heinemann arbeitet heute in der Erwachsenenbildung in Göttingen. Bei dem folgenden Auszug handelt es sich um die Einleitung aus seiner Arbeit.

Das Amtsgericht Wolfenbüttel von den dreißiger bis zu den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts

Das AG Wolfenbüttel in der Literatur

Über das Amtsgericht Wolfenbüttel und seine Strafurteile während der NS-Zeit ist bis heute fast nichts bekannt. In seinem 2018 erschienenen Buch „Fahnenwechsel“ berichtet der Braunschweiger Historiker Markus Gröchtemeier als erster über Urteile des AG vom 8. August 1933, die gegen knapp fünf Wochen zuvor verhaftete und ebenso lange der Folter ausgesetzte fünf Wolfenbütteler Kommunisten gefällt worden sind. In einem Schnellverfahren wurden diese in der AOK-Folterstätte in Braunschweig wegen des Besitzes von Flugblättern und der Zeitschrift Die Rote Fahne auf Grund des § 4 der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ vom Februar 1933 zu Haftstrafen zwischen drei und neun Monaten verurteilt. Diese fünf und ca. 25 weitere Verurteilte wurden in die Strafanstalt Wolfenbüttel gebracht.

In seinem bereits 1984 erschienenen Buch „Die Kalte Amnestie“ erwähnt Jörg Friedrich einen Amtsgerichtsrat Kolhoff aus Wolfenbüttel, der 1943 als Beisitzer am Sondergericht Zichenau am Todesurteil gegen einen polnischen Arbeiter wegen Schwarzschlachtens beteiligt war. Friedrich zitiert aus dem Urteil: „Der Angeklagte wird wegen Kriegswirtschaftsverbrechens, begangen durch Schwarzschlachtung von zwei Schweinen, zum Tode verurteilt. Das beschlagnahmte Fleisch wird eingezogen.“

Wer sich mit der Strafjustiz in der NS-Zeit auskennt, den verwundern die genannten Urteile nicht; bestätigen sie doch die bei Hans-Ulrich Ludewig und Dieter Küssner beschriebenen Hunderte von Urteilen des Sondergerichts Braunschweig gegen Deutsche und Ausländer, die vor allem mit Blick auf die fürchterlichen Todesurteile bewusst als Justizverbrechen bezeichnet werden. Insoweit überrascht auch das Urteil gegen den polnischen Zwangsarbeiter Ciszewski aus dem Jahre 1941 wegen des vermeintlichen Diebstahls von nur 20 Mark zu einer zweimonatigen Haftstrafe nicht. Da der Zwangsarbeiter nach der „Polenstrafrechtsverordnung“ bestraft wurde und entsprechend der „Polenvollzugsordnung“ im Urteil als Haftort das Straflager genannt wurde, zeigt sich hier die doppelte Ungleichbehandlung von Polen und damit ebenfalls ein Justizverbrechen. In der Gefangenenpersonalakte des Verurteilten befindet sich allerdings folgendes Schreiben des Amtsrichters Hesse an die Anstaltsleitung der Strafanstalt Wolfenbüttel:

8.1.41 An das Strafgefängnis, hier

In der Strafsache gegen den polnischen Arbeiter Josef C. wegen Diebstahl ist der Angeklagte heute freigesprochen und der Haftbefehl aufgehoben worden. C. ist aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Dieses Schreiben ist in zweifacher Hinsicht auffallend: Es erreichte die Haftanstalt am Tage der geplanten Entlassung des Polen, also an dem Tag, der dem Richter Hesse aus den Akten bekannt war. Es wäre also überhaupt nicht notwendig gewesen, dieses Schreiben zu verfassen. Der Zwangsarbeiter wäre sowieso entlassen worden. Handelte Hesse aus menschlichen Überlegungen heraus oder folgte er einer nicht bekannten, bürokratischen Vorschrift? Festgehalten werden muss auf jeden Fall, dass dieses Verhalten zumindest nicht zu erwarten war, zumal es sich beim Inhaftierten „nur“ um einen polnischen Zwangsarbeiter handelte. Es ist allgemein bekannt, wie die Nazis über die angeblichen Untermenschen gedacht haben und wie sie behandelt wurden.

Im Kern geht es um die Frage, inwieweit sich die Strafjustiz am AG Wolfenbüttel mit der Spruchpraxis eines Sondergerichtes vergleichen lässt. Und: Was ist überhaupt Strafjustiz an einem AG? Erwähnt sei noch, dass Zivilgerichtsurteile mit politisch-ideologischem Bezug aus dem Wolfenbütteler Gericht nicht bekannt sind.

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.