CDU wirbt mit Rassismus

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Foto: Ines Richlick

Von Ines Richlick

Dieses ethnische Minderheiten stigmatisierende und den institutionellen Rassismus fördernde Wahlplakat der CDU fand ich an einem Braunschweiger Baum genau einen Tag nach der informativen Veranstaltung über die verheerenden Folgen des rassistischen Konstrukts der sogenannten „Clankriminalität“.

Das öffentlich vermittelte Bild

Der Soziologe Mohammed Ali Chahrour von der Neuköllner Initiative „Kein Generalverdacht“ beleuchtete dabei die Hintergründe und Auswirkungen der restriktiven Maßnahmen zur angeblichen Kriminalitätsbekämpfung, die unter Grundrechtsverletzungen durch pauschale Verdächtigungen und Kriminalisierung und begleitet durch rassistische Diskurse nach aufheizenden Medienberichten zur Verdrängung aus ganzen Wohngebieten führe.

„Clans“ würden zum Feind und Schreckgespenst stilisiert und medienwirksam inszenierte Razzien als Erziehungsmaßnahme für Menschen mit bestimmten ethnischen Backgrounds durchgeführt. „Der Diskurs lenkt Wutbürger von ihrer Wut auf die Politik ab und die Politik von ihrem eigenen Versagen.“, so der Soziologe. Es gebe jedoch zwei verschiedene Narrative: Das eine Narrativ erkläre über tradierte Werte und kulturhistorische Stereotype ethnische Minderheiten als kriminalitätsaffin. Das andere Narrativ erkläre die Welt basierend auf der sozialen Wirklichkeit der Menschen.

Weiter fragt Chahrour: „Wenn man Menschen über Jahrzehnte soziale Teilhabe verweigert, marginalisiert und ihre Chance auf Selbstverwirklichung nimmt, ist es nicht etwas fragwürdig oder heuchlerisch, Jahre später ihre Tradition und Werte dafür verantwortlich zu machen, dass ein Bruchteil kriminell wird, und diesen Bruchteil so in den Fokus zu nehmen, bis die große Masse völlig in den Hintergrund gerät? Ist die Praxis der Kettenduldung archaisch oder arabisch, sind Beschäftigungsverbote kulturell zu begründen oder nahöstlich?“

Fragwürdige Definition

Die Strafverteidigerin Levi Sauer machte deutlich, dass es einen juristischen Begriff der sogenannten „Clan-Kriminalität“ schlichtweg nicht gebe, sondern dieser, nicht unstreitig und nicht einheitlich definiert, lediglich konstruierten Lagebildern des Bundes- und der Landeskriminalämter zugrunde liege. Dabei werde der Begriff der „Organisierten Kriminalität“, kurz OK, je nach Bundesland um diverse stigmatisierende, pauschal verdächtigende Marker, sog. „Clan-Indikatoren“, erweitert, die die ins Visier genommenen Gruppen ethnischer Minderheiten und ihr vermeintlich kriminelles Verhalten identifizieren sollen, obwohl die Lagebilder das nicht hergäben.

Beispiele:

  • abgeschottete Subkultur mit gemeinsamer Abstammung
  • hierarchisch und patriarchal
  • Tatbegehung aufgrund und durch familiäre und ethnische Herkunft
  • mangelnde Integrationsbereitschaft
  • fehlende Akzeptanz der deutschen Rechts- und Werteordnung
  • Missachtung staatlicher Strukturen
  • Aufbau einer Paralleljustiz
  • Provokation und Eskalation und hohe Gewaltbereitschaft
  • Ausnutzung gruppenimmanenter Potenziale“

In einem weiteren Schritt würden diese Definitionen für die praktische Arbeit der Polizei, z. B. für sog. „Kontrolleinsätze“ zur Einordnung und Berichterstattung vereinfacht:

Das Bundeskriminalamt bestimme die Zuordnung zur sog. „Clan-Kriminalität“ z. B. einfach pauschal nach Nationalität und Herkunft sowie Namen (türkeistämmig ohne türkische Staatsbürgerschaft).

Das Land Berlin verteile nicht einsehbare Marker für „Clans“ bzw. „Clanumfelder“, verzichte aber auf konkrete Namenslisten.

Das Land Nordrhein-Westfalen frage ab:

  1. Welche Familienstrukturen treten auf?
  2. Welche Nationalitäten? (arabisch-türkisch-stämmige Großfamilien)
  3. Welcher Familienname? (Liste mit 111 Nachnamen)

Das bedeute, dass Menschen mit falschem Nachnamen und falscher Herkunft unter Generalverdacht fielen. Sie würden dadurch zum Teil eines kriminellen Clans gemacht und automatisch tatverdächtigt.

Die Kriminologin Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl versteige sich in der Broschüre für die Polizei Essen/Mühlheim a. d. Ruhr gar auf die Definition „Der umstrittene Clanbegriff umfasst in erster Linie arabisch-stämmige Familiengefüge, deren Mitglieder überproportional häufig in strafrechtlich relevante Erscheinung treten. […] Im Nachfolgenden handelt es sich um eine notwendige Kollektivbetrachtung […].“, um dann zu schlussfolgern: „Auf eine stetige Abgrenzung zwischen Clanmitgliedern, die kriminell in Erscheinung getreten und solchen, die es nicht sind, muss an dieser Stelle verzichtet werden.“ Soll heißen: Wer aufgrund der Namenszuordnung gelabelt ist, soll unter Missachtung aller rechtsstaatlichen Grundsätze automatisch einer Täterschaft überführt sein.

Die Realität

In Berlin seien laut der Juristin Levi Sauer in 2020 überwiegend Verkehrsverstöße unter dem Marker der „Clan-Kriminalität“ zur Anzeige gebracht worden, darunter 1091 Strafanzeigen und 5631 Ordnungswidrigkeits-Anzeigen.

In Nordrhein-Westfalen seien es vorwiegend Verkehrsverstöße, Maßnahmen nach Jugendschutzgesetz, Verstöße gegen die Abführung der Tabaksteuer, die Hygieneregeln, das Nichtraucherschutzgesetz oder die Gaststättenverordnung. Zu den „clantypischen Verhaltensweisen“ zähle dort z. B. die Nutzung des KFZ-Gewerbes. In NRW habe es in 2018 im Bereich der verfolgten Familien hingegen kein einziges OK-Verfahren gegeben!

Nicht polizeiliche Ermittlungen bestimmten das Bild der sog. „Clan-Kriminalität“, sondern das Bild von Hundertschaften, die in Shisha-Bars ausrücken, um einen vorab definierten Feind aufzuschrecken. Schuldig gesprochen werde nicht mehr, wer eine Straftat nachgewiesen bekommen kann, sondern wer mit bestimmten Menschen verwandt ist, gesprochen hat oder sonst dem Milieu zugeordnet wurde.

Say their names. Fotos: Ines Richlick

Rechtswidrige Taktik der tausend Nadelstiche

Eine beliebte Bekämpfungsstrategie sei zudem seit 2016 der sog. „administrative Ansatz“, auch Verbundeinsatz genannt, oder bekannt als Taktik der tausend Nadelstiche, der allerdings ansonsten nur zur Bekämpfung schwerer oder organisierter Kriminalität genutzt werde. Er werde definiert als Verweigerung administrativer Infrastruktur und koordinierte Intervention aller Behörden. Der Staat komme also von allen Seiten und auf allen Ebenen auf die Betroffenen zu.

In der öffentlichen Wahrnehmung stünden Razzien und Festnahmen. Im nicht öffentlichen Teil nähme das Jugendamt den Familien ihre Kinder weg, in NRW auch Neugeborene. Ferner greife das Finanzamt ein. In Berlin werde sich z. B. mit der Beschlagnahme von 77 Immobilien des sog. „Remmo-Clans“ gerühmt. Gerichtlich bestätigt worden seien davon gerade einmal zwei. In NRW hätten alle im Jahre 2020 beschlagnahmten Immobilien nach gerichtlicher Entscheidung wieder herausgegeben werden müssen.

Zur Vermischung von präventiven und repressiven Befugnissen im Rahmen des „administrativen Ansatzes“ werde die sog. „Clankriminalität“ als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt. Das träfe allerdings bei Kleinstmengen unverzollten Tabaks, Falschparken oder baurechtlichen Mängeln schlichtweg nicht zu. Allerdings könne nur so das präventive Gefahrenabwehrrecht das mit hohen Hürden verbundene Strafrecht aushebeln, so die Juristin weiter. Wer einer tatverdächtigen Person also ihre Rechte nehmen wolle, der nehme das Gefahrenabwehrrecht. Durch diesen nicht legitimierten und rechtswidrigen Ansatz würden Rundum-Maßnahmen etabliert, um Personen zu treffen, denen explizit keine Straftaten nachgewiesen werden können.

Ein weiteres Konzept zur Bekämpfung der sog. „Clan-Kriminalität“ sei die Festlegung sog. kriminalitätsbelasteten oder gefährlichen Orte – entwickelt zur Bekämpfung von OK. Dies seien Orte, an denen vermeintlich schwere Kriminalität verabredet, vorbereitet oder verübt werden. Durch das Ausrufen dieser Orte stünden der Polizei weitreichende Befugnisse zu, wie z. B. anlasslose Kontrollen, die bekanntermaßen zu Racial Profiling führten. Diese Orte seien nur grob umrissen und nicht öffentlich bekannt.

Expansion auf weitere gesellschaftliche und öffentliche Bereiche

Mohammed Ali Chahrour beschrieb ferner die Ausweitung des „Clankonzeptes“ auf weitere ethnische Minderheiten, vor allem südosteuropäische Gruppen. Der Clanbegriff finde jetzt auch Verwendung in anderen Diskursen, außerhalb von OK, protzigen Autos oder Vereinnahmung des öffentlichen Raums. Im Zuge der gesellschaftlich angespannten Situation durch die Corona-Pandemie und die „Lockdowns light“ seien in den letzten 1,5 Jahren sog. „Clanhochzeiten“, „Clantrauerfeiern“ oder religiöse Feste der „Clans“ in der Berichterstattung immer wieder Anlass für öffentliche Debatten gewesen; angeblich mit berechtigtem Anliegen (Infektionsschutz). Diese würden dabei oft ohne Belege zu Superspreader-Events hochstilisiert, so der Soziologe. Beispiele:

So behaupte z. B. die „Bild“ am 5.3.2021, RKI-Chef Wieler hätte gesagt, dass über 50, wenn nicht gar 90 % aller Corona-Intensiv-Patienten einen Migrationshintergrund hätten. In Wirklichkeit würden diese Daten überhaupt nicht erfasst. Am 27.4.2021 habe die FAZ über eine „Clanbeerdigung“ mit der Tendenz geschrieben, man möchte Regelbrüche von „Clans“ in allen Lebenslagen nachweisen. Es gibt jedoch keinerlei Belege über ein Infektionsgeschehen bei dieser Trauerfeier unter freiem Himmel, die von Polizist:innen bewacht wurde.

Im Göttingen habe die Stadtverwaltung am 6.7.2020 behauptet, dass es zu mehreren Corona-Ausbrüchen wegen einer Rom:nja-Familie in der Stadt gekommen sei. Diese hätten das muslimische Zuckerfest gefeiert, bei dem es zu Infektionen gekommen sei. Die Familien hätten widersprochen und erklärt, dass sie des Öfteren vor Testzentren weggeschickt worden seien, weil sie symptomfrei seien. Sie hätten zudem das Zuckerfest nicht privat gefeiert, sondern in kleinem Kreis in der Moschee unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln. Daraus habe sich eine wüste Hetze gegen Rom:nja-Familien in den sozialen Medien ergeben. In der kulturrassistischen Vorgehensweise durch diese „Clanrhetorik“ würden schnell ganze Gesellschaftsschichten zu Kriminellen und Regelbrechern erklärt werden. Die sog. „Clans“ seien vermeintlich gefährlich für den Rechtsstaat und neuerdings auch für die öffentliche Gesundheit. Die „Clankriminalität“ impliziere nunmehr nicht nur die Ok, sondern auch andere gesellschaftliche Bereiche. „Wenn wir von Rassismus als Virus sprechen, welcher dort angreift, wo die Immunantwort am schwächsten ist, also wo gesellschaftliche Ressourcen und Kapital am wenigsten vorhanden sind, wundert es auch nicht, dass der Begriff der sog. „Clans“ ab 2020 auch immer stärker südosteuropäische Minderheiten wie Sinti:ze und Rom:nja betrifft.“, so Chahrour.

Am 6.12.2020 habe z. B. die „BILD“ nach Schüssen in Charlottenburg getitelt: „Schüsse in Berlin: Wieder Streit unter Clans!“ Die Nachricht sei schnell von anderen Medien übernommen worden. Am Ende habe sich ein Verdächtiger gestellt – aber kein arabischstämmiger Berliner, sondern jemand aus dem rechten Milieu. Die Liste rassistisch motivierter Berichterstattung lässt sich fortsetzen, s. Aufzeichnung der Veranstaltung.

Stimmenfang der CDU mittels Rassismus

Obwohl all diese Zusammenhänge und die verheerenden Folgen der systematischen Verfolgung für die Betroffenen lange bekannt sind, zündelt die CDU unter Ausblendung des extrem rechten Terroranschlags von Hanau am 19.2.2020 mit 9 Toten weiter und gießt auf Stimmenfang am rechten Rand mit ihrem politischen Kampfbegriff ganz bewusst noch kräftig Öl ins Feuer.

Veranstaltungsreihe

Fortsetzung der 3-teiligen Veranstaltungsreihe in Kooperation der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), Berlin, der Initiative „Kein Generalverdacht“ und des Komitees für Grundrechte und Demokratie:

  • Freitag, 20. August 2021, 19 Uhr: Einschätzungen aus Betroffenenperspektive
  • Mittwoch, 1. September 2021, 19 Uhr: Podium mit soziologischen, juristischen und sozialen Perspektive

2 Kommentare

  1. Danke für den Artikel. Dieser Aspekt ist mit vollkommen neu, und ich werde mich weiter dahingehend informieren. Der Staat scheint derzeit Verfahren nach § 129 StGB großzügig anzuwenden. Das „Zentrum für politische Schönheit“, bekannt geworden durch den Nachbau des Berliner Holocaust-Denkmals auf Bernd (oder Björn ??? 🙂 Höckes Nachbargrundstück, ist übrigens auch betroffen, es wird gegen den Verein nach § 129 StGB ermittelt. Alles in allem eine beängstigende Entwicklung.

  2. Nu ja, rassistische Tendenzen in der Polizei, in den Behörden gibt es natürlich und in der Bild sowieso.

    Im Fall der Remmo und Abu Chaker Clans wurde ja viel mehr viele Jahre weg geschaut, weil die bedenken als Neid und/oder Rassismus angetan wurden.

    Das klingt jetzt aber in diesem Bericht so, als wär das alles frei erfunden. Beim Remmo- und Abu-Chaker-Clan sind die mafiösen Strukturen aber durchaus ziemlich zweifelsfrei bekannt. Dieser schlechte Rapper hat nicht seinen Kumpel Abu Chaker wegen Bedrohung seiner Familie angezeigt, weil das den CD-Verkäufen förderlich wäre, im Gegenteil. Und einige aus der Familie Remmo haben doch das grüne Gewölbe ausgeraubt. Schön blöd, mit so spektakulären Aktionen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen ehrlich gesagt, die Camorra und N’drangheta is da ja inzwischen schlauer.

    Al Capone hat man auch als einziges die Steuerhinterziehung nachweisen können, sonst nichts, dennoch besteht kein Zweifel darüber, dass er ein grausamer, machtversessener Gangsterboss war. Oder war das dann nur Rassismus gegen italienisch-stämmige? 😛

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