Im Städtischen Museum am Löwenwall ist die jahrzehntelang verstreute Universitätssammlung in einer wunderbar kuratierten Gesamtschau bis zum 8. Juni 2025 erstmals wieder zu sehen.
– Tausendmal berührt – Tausendmal is nix passiert –
Der Refrain dieses populären Oldie-Songs würde gut zur “Entdeckungsgeschichte” dieser Bilder in der aktuellen Ausstellung des Städtischen Museums passen.
Jahrzehntelang führten die Kunstwerke aus der Lehrsammlung Straßner ein verstreutes Bilderleben in allen möglichen Büros der Technischen Universität, wurden vielleicht sogar manchmal nach der Pensionierung mit nach Haus genommen, ein Teil wurde immerhin im Treppenhaus der Universitätsbibliothek ausgestellt, andere Konvolute lagerten in Kellern oder Abstellräumen, manches wurde auch gezielt gestohlen.

Sie waren halt einfach da, diese Bilder (oder manchmal dann eben auch nicht mehr). Sie hingen an irgendeiner Wand. Wurden tausendmal gesehen, waren Teil der Deko. Niemand war sich klar über die künstlerischen Tiefe, über die Schönheit dieser Sammlung, über ihre verborgene Wertigkeit.
Und dann hat es ZOOM gemacht.

Dr. Laura Breede, Kuratorin und in gewisser Weise Neuschöpferin der Sammlung, hatte daran den entscheidenden Anteil:
„Seit fast zwei Jahren arbeite ich daran, die Sammlungsgenese und -historie zu ergründen und recherchiere zu den einzelnen Sammlungsstücken.
In dieser Ausstellung wird nicht nur die Geschichte der Sammlung thematisiert und der Sammlungsinitiator Straßner und seine Biographie kritisch beleuchtet.


Vor allem stehen natürlich die gesammelten Werke im Vordergrund und werden im Kontext der Kunstdiskurse der Nachkriegszeit eingeordnet.“
Die Ausstellung zeigt, welche Schätze hier verborgen waren, macht Abenteuer möglich. Kunstabenteuer, Sehabenteuer, Entdeckungsabenteuer, lustvolles Versinken in Bilderwelten.
Farbflimmern: Zwischen Kolorismus und geometrischer Abstraktion/Sehnsuchtsorte und (Alp)Traumlandschaften/Urbane Strukturen: Zwischen Präzision und Pop/Wider den Gegenstand:Licht und Abstraktion/Real, Irreal, Surreal: Zwischen Phantasie und Politik/Figurationen in Transformation und Auflösung.
Mit diesen 6 thematischen Kapiteln animiert Kuratorin Dr. Laura Breede BesucherIn zum Flanieren durch “ihre” außergewöhnliche Ausstellung.
Und sie arrangiert für uns Begegnungen. Begegnungen zwischen Kunstwerken, die auf den ersten Blick total gegensätzlich wirken, dann aber doch unerwartete Gemeinsamkeiten offenbaren. Begegnungen mit Kunstwerken, die immer auch Entdeckungen sind, ob als singuläres Werk oder als Teil eines thematischen Kapitels.

Entdecken wir beispielsweise Rolf Nesch. Seine dreidimensionalen Drucke mit Motiven von San Marco sind phantastisch intensiv, ausdrucksstark, gehören zu den “Eye Catchers” dieser Ausstellung.
Der in Stuttgart geborene Maler und Grafiker studierte 1919 bei Oskar Kokoschka in Dresden, wurde 1946 norwegischer Staatsbürger und ist dort nach Edvard Munch der wohl bekannteste Künstler des Landes.
Manchmal gibt es nichts Spannenderes als ein Portrait. Das Gesicht, die Farben, die Augen. Entdecken wir Rudolf Levy, dessen magisch-intensives “Bildnis Lilo” auch auf dem Titel des Ausstellungskatalogs (unbedingt kaufenswert) zu sehen ist.
Oder entdecken wir Willem Grimm, seine Obsession für maskierte verkleidete Menschen, seine Holzschnitte und sein Gemälde “Rummelpott”, bunt, spooky und vielleicht auch ein bißchen ironisch.
Entdecken wir den von Ernst Straßner bewunderten Münchner Maler-Klassiker Hans Purrmann, wie er in seinen Mittelmeer-Motiven mit Licht, Form und Farbe spielt.
Entdecken wir Maria Caspar-Filser . Vor 100 Jahren wurde sie in Bayern die erste deutsche Professorin für bildende Künste, dann verfemt während der Nazi-Zeit. Ihr schönes, wild-nachdenkliches Tulpenstilleben hing jahrezehntelang in Aufenthaltsräumen und Professorenbüros.
Entdecken wir die mathematisch-geometrische Kunst von Lothar Quinte. In seiner Farbseriografie “Sonnenzyklus” geht es ihm um Licht und Abstraktion. Perfekte Kunst wider den Gegenstand.


Natürlich können wir auch auch Ernst Straßner entdecken, den Braunschweiger Künstler, Professor und Initiator dieser Sammlung, mit seinen Landschaften, Menschenbildern, Strandszenen.
Insgesamt gibt es in der Ausstellung 104 Gemälde und Druckgrafiken renommierter Künstlerinnen und Künstler zu sehen, zu entdecken, zu genießen.
Darunter Werke von Aristide Maillol, Ida Kerkovius, Lovis Corinth, Hans Purrmann, Max Pechstein, Gerhard Marcks, Horst Antes, Walter Dexel, Gerd Winner, Axel Dick, Rupprecht Geiger, Peter Nagel.

Begleitend zur Schau wirft die Ausstellung auch Fragen zu Herkunft und Verbleib einzelner Werke auf und beleuchtet die unterschiedlichen Phasen der Sammlung kritisch.

Das Projekt möchte also nicht nur die künstlerische Vielschichtigkeit der Sammlung präsentieren, sondern auch eine transparente Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte vorantreiben.
Vor allem aber ist mit diesem Projekt eine sehr außergewöhnliche Braunschweiger Kunstausstellung voller schöner und spannender Glücks- und Entdeckungsmomente gelungen.
Der schön gestaltete und informative Katalog ist erschienen im Sandstein Verlag, Dresden.
https://www.braunschweig.de/kultur/museen/staedtisches-museum/artikelpool-temporaer/ausgehoben.php