Anatol Lieven: Friedensgespräche Ukraine- Russland: Durchbruch oder Sackgasse?

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Foto: pixabay

Vorbemerkung der Redaktion: Der britische Wissenschaftler Anatol Lieven hat auf der Seite des amerikanischen Quincy Institute for Responsible Statecraft den folgenden Artikel zu den für heute anvisierten Friedensverhandlungen in Istanbul verfasst (Original auf der Seite „Responsible Statecraft“, auch auf Telepolis veröffentlicht). Er entwickelt einen realistischen Blick auf den Verhandlungsprozess – im Gegensatz zu manchen von europäischen Politikern aufgestellten Ultimaten und unrealistischen Wunsch-Vorstellungen (General Kujat hat in der Martinikirche drei Wörter zu deren Einschätzung genannt: inkompetent, ignorant, ideologisch). Lieven skizziert eine Reihe von Bedingungen für den Frieden, die seiner Meinung nach beide Seiten unzufrieden zurücklassen würden, sie aber hoffentlich daran hindern würden, zum Krieg zurückzukehren. Er hält die Beteiligung der USA am Prozess für unerlässlich. Dass der Prozess eine längere Zeit in Anspruch nehmen wird, in der auch die Kampfhandlungen fortgeführt werden, zeigen seiner Ansicht nach viele andere Beispiele von Friedensverhandlungen. a.m.

Anatol Lieven:

Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die ukrainische Regierung noch vor drei Monaten die Idee von Gesprächen mit der Putin-Administration als illegal zurückwies und einen vorherigen Rückzug Russlands aus allen besetzten Gebieten der Ukraine als Vorbedingung für Verhandlungen forderte.

Putins Ablehnung des persönlichen Treffens mit Selenskyj ist zwar enttäuschend, aber kein entscheidender Rückschlag. In Friedensgesprächen wird nur äußerst selten wirklicher Fortschritt bei Treffen der führenden Persönlichkeiten selbst erzielt. Die Russen haben durchaus Grund, dies als Manöver Selenskyjs zu sehen, um Trumps Gunst zu gewinnen, statt als ernsthaften Vorschlag.

Normalerweise müssen vor einem Treffen der Staatsoberhäupter lange und detaillierte Verhandlungen zwischen Beamten stattfinden, um die Grundlage für eine Einigung zu schaffen. Hoffentlich wird das von Moskau vorgeschlagene Treffen von Beamten in Istanbul diesen Prozess voranbringen, während ein öffentliches Schreiduell zwischen Putin und Selenskyj ihn zurückwerfen könnte.

Umfassende Einigung muss das Ziel sein

Die ukrainische und die europäische Regierung haben erklärt, dass die Ablehnung eines 30-tägigen Waffenstillstands durch Moskau zeige, dass Putin „kein Interesse an Frieden“ habe. Doch diese Aussage ist unehrlich. Die Fähigkeit Russlands, wenn auch langsam, auf dem Schlachtfeld vorzurücken, ist Moskaus Hauptdruckmittel in den Verhandlungen.

Es wird dieses Mittel nicht aufgeben, solange keine substanzielle Vereinbarung erreicht wurde. Ebenso würden westliche Länder aus demselben Grund niemals Russlands Forderung nach einem vollständigen und dauerhaften Ende der militärischen Lieferungen an die Ukraine als Vorbedingung für einen Waffenstillstand zustimmen.

Wir müssen akzeptieren, dass während die Gespräche fortgesetzt werden, auch die Kämpfe weitergehen. Das sollte Ansporn sein, so schnell wie möglich zu einer umfassenden Einigung zu gelangen.

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