Wo sind sie geblieben, die Zivilisten von Roselies? – nachdem sich die Franzosen geschlagen zurückgezogen hatten.

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Als wir dann auch auf das Südufer bei Termiés [sic! – gemeint ist aber Tergnée; K.E.] über die Sambre gingen, bot sich uns ein schrecklicher Anblick. Eine Unmenge Verwundeter von uns begegneten uns. An der Brücke saßen in einem kleinen Garten an die 200 gefangene Einwohner, die sich am Kampf beteiligt hatten,

wird vom 46. Feldartillerie-Regiment für den Nachmittag des 22. August berichtet. Das Regiment unterstützte das Braunschweiger 92er Regiment bei der Einnahme von Roselies (Die Braunschweiger im Weltkriege, S. 76). Mittags hatten die 46er noch das 77er Heideregiment bei der Einnahme von Tamines mit Artilleriefeuer unterstützt.

Anders als für die sogenannten „Märtyrerstädte“, finden wir zu Roselies nicht leicht Informationen darüber, was mit den Einwohnern geschah, die den Straßen- und Häuserkampf überlebt hatten, nachdem die Franzosen zurückgeschlagen waren. Während für Tamines nahezu vollständig und auch namentlich dokumentiert ist, welche Zivilisten während der Kämpfe und vor allem auch danach umkamen, erschossen wurden, verbrannten, gibt es für Roselies kaum Informationen – bekannt ist vor allem Abbé Joseph Pollart.

Nach gängiger Praxis der deutschen Invasionstruppen wurden Zivilisten hingerichtet, die sich an Kampfhandlungen gegen die Deutschen beteiligt hatten. Dafür konnte auch schon der Besitz von Waffen oder Munition reichen, sonstige Behinderungen des deutschen Vormarsches oder auch nur belgien- oder frankreichfreundliche Bekundungen.

Waren 200 Einwohner, die sich am Kampf beteiligt hatten und also schuldig waren, an einem Ort zusammengetrieben, deutete das auf die Möglichkeit einer Massenhinrichtung. Gerade weil angesichts der Zivilisten auf deren Beteiligung am Kampfe ausdrücklich hingewiesen wird, wird damit von den 46-Infanteristen auch schon eine entsprechende Erwartung ausgedrückt.

 

Die Brücke über die Sambre bei Tergnée war gerade einmal ca. 2 km vom Zentrum von Roselies entfernt (die rot über dem „o“ von „Roselies“ hervorgehoben Straße auf der Karte ist nach Abbé Jos. Pollart benannt).

Über den Kompagnieführer der 8/92er, Hauptmann von Suckow, wird zu den Straßenkämpfen in Roselies berichtet (S. 20):

In voller Ruhe erteilte er seine Befehle, obwohl er durch zwei Streifschüsse an beiden Armen verwundet war. Vermutlich hatte er die Schüsse aus einem Jagdgewehr erhalten, die von einem belgischen Zivilisten abgegeben waren.

Die Deutschen Soldaten hatten erhebliche Verluste im Kampf um Roselies erlitten, es gab 109 Tote. Doch die Franzosen hatten noch sehr viel höhere Verluste, von Sobbe schreibt (S. 54) von über 250 Toten. Wie die Deutschen setzten sich auch die Franzosen nur ungern ungeschützt feindlichem Beschuss aus und verschanzten sich daher gern in Häusern. Auch in Roselies hatten sie Häuser besetzt, bevor sie sich geschlagen zurückzogen. Daher ist die Vermutung, dass Hauptmann von Suckow gerade von Zivilisten an den Armen getroffen wurde und nicht von französischen Sodaten, nicht unbedingt plausibel. Die Annahme gibt aber der Erwartung einer „Bestrafung“ der Zivilisten zusätzlichen Nachdruck. Und da zudem unbekannt war, welcher Zivilist genau auf den Hauptmann geschossen hat, ist dies ein zusätzlicher, besonderer Hinweis auf einen Grund für die Verhängung einer Kollektivstrafe.

Eine ähnliche Zusammentreibung der Einwohner wird aus Pont-de-Loup berichtet. Der Ort ist auch nur ca. 2 km Luftlinie von Roselies entfernt. Oberleutnant Kuhlmann, Kompagnieführer im 78er Reserveregiment, schreibt, nachdem Pont-de-Loup in schweren Häuserkämpfen erobert war (Die Braunschweiger im Weltkriege, S. 34):

Ich kriegte die Gefangenen; Weiber und Kinder wurden auf einem Platz, die Kerle auf einem anderen zusammengetrieben. Die Kerle wurden durchsucht, sie mussten daher mit erhobenen Händen stehen. Eingenähte Patronen und Dolchmesser fanden wir.

Der besondere Hinweis auf Waffen und Munition bei den Zivilisten gibt wiederum der Erwartung einer „Strafaktion“ gegen diese Zivilisten Ausdruck. Kuhlmann selbst ist dann allerdings bei der „Verhängung des Strafmaßes“ und der „Strafvollstreckung“ nicht mehr beteiligt, sondern berichtet:

Ich gebe die Gefangenen ab und bekomme Feldwache.

Wieder zu Roselies. Walter Voigt berichtet über entsprechende Zusammentreibungen aus Roselies:

Es schien eine Schar dieser zusammengetriebenen Zivilisten zu sein, die wir von unserem Platze aus sehen konnten. Etwa 150-200 Menschen reckten dort einen Wald von Händen empor und machten die flehentlichsten und verzweifelsten Gesichter; um sie herum aufgeregte, grimmig aussehende deutsche Soldaten. Wir hielten die Zivilisten für Zechenarbeiter, die aus einer Kohlengrube gekommen waren oder wieder einfahren wollten. Wir konnten uns nicht darum kümmern, Näheres zu erfahren, da sich alles in wenigen Augenblicken vor uns abspielte und wir auch bald aufbrachen, um dem Leibbataillon zu folgen.

Nicht nur in Tamines wurden Zivilisten zusammengetrieben, denen man vorwarf, sie hätten sich an den Kämpfen beteiligt, nachdem die Franzosen zurückgeschlagen waren. Dies wurde auch in Roselies und anderen Dörfern auf der Tamines gegenüberliegenden Seite der Sambre so gemacht. Von Tamines ist bekannt, dass die Zivilisten, zumindest ein großer Teil dieser Zivilisten, dann hingerichtet wurden. Über Roselies hat man diesbezüglich überhaupt keine Informationen. Voigt veröffentlichte seine Aufzeichnungen über die 92er im August 1924 (Vorwort): 

gelegentlich der 10-jährigen Wiederkehr des Kriegsausbruches und jener unvergesslich großartigen Tage sieghaften Vordringens in Feindesland

„Wir hielten die Zivilisten für Zechenarbeiter“, schreibt er, und deutet so darauf hin, dass er es 10 Jahre später besser wußte, auch wenn aus seiner Beschreibung hervorgeht, dass er es schon damals hätte besser wissen müssen und vermutlich auch schon besser wusste. Denn es konnte sich kaum um einen normalen Arbeitsbeginn oder um einen normalen Feierabend handeln, zu dem sich Zechenarbeiter versammelt hatten. Dagegen sprechen sowohl die „flehendlichsten und verzweifelsten Gesichter“, die Voigt wahrnahm, als auch die „aufgeregten, grimmig aussehenden deutschen Soldaten“. Voigt scheint hier davon auszugehen und wusste vielleicht auch aus späteren Gesprächen mit anderen in die Kämpfe um Roselies verwickelten Soldaten, dass mit den Zivilisten etwas ganz Schlimmes passiert sein musste, was Voigt jedenfalls schlimmer schien als individuelle „Bestrafungen“, wie die von Abbé Berlier. Denn solche individuelle Hinrichtungen von Zivilisten konnten ihn nicht aus der Fassung bringen, sie konnten ihm nicht einmal den Appetit verderben. Er kaute derweil „gemütlich sein requiriertes Brot“ (dafür gibt es auch andere Beispiele).

Hier sieht sich Voigt dagegen gehalten, zu betonen, dass er von dem, was da dann passiert war, nichts wusste, auch nichts hätte wissen können – dazu fehlte schon die Zeit – und auch nichts hätte machen können. Wir fassen unsere Frage zusammen:

Wo sind sie geblieben, die Zivilisten von Roselies, die nicht im Häuserkampf getötet wurden und wo sind die Zivilisten von umliegenden Dörfern geblieben?

Einiges deutet darauf hin, dass sie Opfer von Massenhinrichtung wie in Tamines wurden. Oder wurden sie nach Deutschland deportiert? Wurden sie zum Arbeitseinsatz in Belgien verwendet, etwa zum Ausschachten der Gräber für die getöteten französischen und deutschen Soldaten? – Oder konnten sie nach Roselies zurückkehren und nach dem Krieg vielleicht sogar mit Hilfe der deutschen Reparationszahlungen ihre niedergebrannten Häuser wieder aufbauen?

(Siehe auch den vorherigen Beitrag und die davor gebrachten Beiträge zum Thema.)

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