Wie nah sind wir dem Eskalations – Strudel?

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Krieg Foto: Pixabay

Jeder weiß: wenn man in einen Strudel gerät, kann das das Leben kosten. Ist man erst einmal in einen hineingeraten, kann man mit übermenschlicher Kraft immer weiter nach unten gezogen werden und dort jämmerlich ertrinken.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschreibt in ihrem Leitartikel „Das nukleare Risiko steigt“ (28.09.22), wie sich im Krieg um die Ukraine in den letzten Monaten ein solcher Strudel herausgebildet hat, der uns allen immer gefährlicher zu werden droht. Es drohe eine „Situation, für die es in der modernen Weltgeschichte keinen Präzedenzfall gibt“, das Risiko sei für alle Beteiligten gestiegen.

Auch wenn man vielleicht andere Schlüsse aus der gefährlichen Situation zieht als die FAZ, lohnt es sich doch, zunächst die Darstellung des Autors Niklas Busse nachzuvollziehen.

Wie hat sich der Strudel herausgebildet?

Die Strategie des Westens, das heißt im Wesentlichen: der USA, habe darin bestanden, sich auf dem Territorium eines Drittstaates mit Russland zu „duellieren“, aber genau darauf zu achten, dass die Grenzen des anderen nicht verletzt werden. „Sieben Monate lang spielte Putin dieses Spiel mit, er reagierte nicht einmal auf einzelne Angriffe auf die Krim oder in Westrussland.“ Das habe den Westen „mutiger“ gemacht und zur Lieferung schlagkräftigerer Waffen geführt, was offenbar die russischen Streitkräfte in Bedrängnis gebracht hat.

Nun aber „verwendet Putin Bidens Strategie gegen ihn“: er annektiere die besetzten Gebiete der Ukraine, erkläre sie also zu russischem Staatsgebiet. Der Westen stehe daher vor der Lage, entweder die neu gezogenen russischen Grenzen de facto zu akzeptieren oder durch die Unterstützung ukrainischer Offensive diese Grenzen zu verletzen – und damit seine bisherige Politik aufzugeben.

Putins habe zudem den Druck durch seine nuklearen Drohungen stark erhöht, was auch aus Verzweiflung geschehe. Er stehe mit dem Rücken zur Wand und versuche nun, „seinen unüberlegten Einmarsch zu retten und damit sein Überleben“. Ein nuklearer Angriff auf die NATO könne zur nuklearen Eskalation führen, „in der Russland selber untergehen könnte“ (aber nicht allein Russland!, A. M.). Das könne er nicht wollen.

So blieben ihm möglicherweise – im ungünstigsten Fall – drei Szenarien des Einsatzes von Atomwaffen: 1. Ein Einsatz gegen ukrainische Truppen in den umkämpften Gebieten; der würde allerdings das neue „russische“ Territorium treffen, was die russische Führung schwer rechtfertigen könnte; 2. Ein Einsatz gegen Ziele woanders in der Ukraine; 3. Eine eher symbolische Detonation einer Atombombe, etwa über dem schwarzen Meer.

Putins Kosten erhöhen“ und „konventioneller Gegenschlag“ der NATO

Die Führung der USA versuche nun ihrerseits, „Putins potentielle Kosten zu erhöhen“. Man habe Moskau für den Fall eines solchen Einsatzes „vor schwerwiegenden Konsequenzen gewarnt“, und zwar über direkte persönliche Kontakte. Man erwäge offenbar für diesen Fall einen „konventionellen Gegenschlag“ auf russische Truppen in der Ukraine – wohlgemerkt nun seitens der USA bzw. der NATO, das heißt, man träte damit auch offiziell in den Krieg mit Russland ein, wenn auch (noch) nicht mit atomaren Waffen! Putin würde dadurch vor die Entscheidung gestellt, in den Krieg mit den USA und der NATO einzutreten. Den fürchte er zwar zu Recht, aber … und dann folgt der oben zitierte Satz: das wäre eine Situation, die es nie zuvor gegeben hat, für die es kein Beispiel und kein Vorbild gibt. Man könnte auch sagen: niemand weiß, wie das ausgeht! Vor allem, ob dann nicht auch die Grenze zum atomaren Schlagabtausch – zumindest in Europa – überschritten würde. Der Strudel der Eskalation wäre dann höllisch perfekt.

Der Autor kritisiert am Schluss seines Artikels die „erstaunlich leichtfertige Debatte über die Lieferung von Kampfpanzern“. Die europäische und vor allem viele deutsche Medien wie eine Reihe von Politikern haben sich in den letzten Tagen bedenkenlos dafür ausgesprochen, auch dann deutsche Panzer zu liefern, wenn kein anderer Staat dies tue; bekanntlich tun auch die USA dies nicht. Niklas Busse meint nun, dass diese Forderungen im Vertrauen auf Bidens Strategie erhoben würden. Die aber wäre im entwickelten Szenario nicht mehr gültig. Busse stellt deshalb kühl und nüchtern fest, dass „Amerika nicht den Kopf für Alleingänge der Verbündeten“ hinhalten werde. Und kein Präsident werde „das (nukleare) Schicksal seiner Nation in die Hände von Europäern legen“! Man kann das durchaus unterschiedlich interpretieren. Ist es nur auf Alleingänge allzu forscher Europäer gemünzt? Oder ist gemeint, dass die USA im Falle eines atomaren Schlagabtausches zusehen würden, diesen auf Europa zu beschränken?

Busse schließt seine Überlegungen – angesichts des dargestellten sich aufbauenden Eskalationsstrudels – unerwartet mit der Bemerkung ab, der Westen könne der Ukraine nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Geschlossenheit „weiterhin am besten helfen“.

Kommentar:

Keine Frage, der Strudel der Eskalation ist keine Naturgewalt, er ist menschengemacht. Führende Akteure dabei sind Russland und die USA. Aber die Schuldfrage würde so gut wie bedeutungslos, wenn Europa und vielleicht die Welt von diesem Strudel erfasst und hinabgezogen würde. Jede und jeder, die die Gefahren des Strudels kennen, haben nur die Option, sich so gut wie möglich vom Strudel fernzuhalten. Das geht hier leider nicht individuell, sondern müsste von der eigenen Regierung geleistet werden. Etwa, indem sie in der NATO darauf besteht, jeden weiteren Schritt mitzubestimmen. Das setzt die Bereitschaft voraus, eskalierendes Verhalten im eigenen Lager zu kritisieren und zu blockieren. Und mit voller Kraft alle Möglichkeiten auszuloten, die Eskalation wenigstens zu begrenzen. Die Alternative wäre, darauf zu vertrauen, dass die USA schon das Richtige tun werden und die europäischen Interessen ebenso wichtig nehmen wie die eigenen.

Der Autor Niklas Busse scheint auch keine Lösungsidee zu haben. Immerhin hat er den Eskalationsmechanismus, der jetzt droht, mit einer Klarheit aufgezeigt, die sich deutlich von den emotional aufgeheizten Rufen nach immer mehr Waffen abhebt. Die Geschlossenheit des Westens, die er fordert, kann aber sowohl in bedingungsloser Gefolgschaft bestehen als auch durch die gemeinsame Suche nach einem Ausweg hergestellt werden. Dafür bleibt offenbar nicht mehr viel Zeit.

1 Kommentar

  1. Es ist eine Situation wie die Kubakrise, als Russland Atomraketen dort aufstellte, in voller Akzeptanz von Fidel Castro, der sozusagen sein Recht herausnahm, seine Zugehörigkeit zum Warschauer Pakt zu realisieren, so wie die Ukraine beantragte (als ziemlich Letzte des „Sicherheitsgürtels von Russland“) zur Nato zu gehören. Die Krise ist da und wir können alle in ihr untergehen. Deshalb ist unsere Führung auch völlig verrückt und die Demo am Samstag Mittag auch so wichtig: Kein Euro für Krieg und Zerstörung! Das Geld wird dringend für Klima, planetare Grenzen und Soziales angesicht Millionen Verhungernder gebraucht. https://helmutkaess.de/wp-content/uploads/2022/09/aktionstag1-10-2022V4-3-1.pdf Wir müssen unsere Haut retten, und die unsinnigen Militärausgaben stoppen (die Nato investiert schon jetzt das zwanzigfache für die Rüstung gegenüber Russland)
    Das ist alles so krank! Eine aktuelle Erklärung der Ukrainischen Friedensbewegung spricht die Sprache des gesunden Menschenverstands, der dringend gebraucht wird:   https://wp.me/paI27O-46C

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