„Vor 90 Jahren brannten hier Fahnen und Parteimaterialien“

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Königslutter. Gebannt hörten sich gut 50 Interessierte an, was auf dem Marktplatz in Königslutter vor genau 90 Jahren geschah. Dr. Diethelm Krause-Hotopp aus Destedt hatte die Ereignisse anhand von Zeitzeugenberichten und Recherche im „Amtsblatt für Königslutter und Umgebung“ und den „Braunschweiger Neuesten Nachrichten“ aufgearbeitet. Dafür dankte ihm der Bürgermeister von Königslutter, Alexander Hoppe, in seinem Grußwort. „Wir dürfen diesen Teil unserer Geschichte nicht in Vergessenheit geraten lassen“, mahnte er und verwies auf das ehemalige KZ Schandelah-Wohld, die Toten liegen auf dem Friedhof in Scheppau und an die Rieseberg Morde am 4. Juli 1933. Er kündigte an, dass die Stadt Königslutter im Mai an die Bücherverbrennung vor 90 Jahren erinnern und eine Tafel aufstellen werde.

Die Zeitzeugen Heinz-Bruno Krieger, damals 13 Jahre alt, und Günter Wiemann, damals 10 Jahre alt, erinnerten sich in ihren Aufzeichnungen an die Vorgänge am 21. März 1933 auf dem Marktplatz. So wichtig Augenzeugenberichte auch sind, müssen
sie doch durch Quellen abgesichert werden. Dies konnte Krause-Hotopp nun durch die Auswertung der beiden Zeitungen ergänzen.
Der 21. März 1933 ist als Tag von Potsdam in die Geschichte eingegangen, der Diener Hitlers vor Reichspräsident von Hindenburg. Der am 5. März gewählte Reichstag, in dem die NSDAP nur durch Unterstützung der Deutsch Nationalen Volkspartei (DNVP) die Mehrheit hatte, war an diesem Tag in Potsdam zusammengekommen.

Am 23. März stimmte nur die SPD (die Mandate der KPD waren bereits annulliert worden) gegen das Ermächtigungsgesetz, mit dem die Verfassung außer Kraft gesetzt wurde. Alle bürgerlichen Parteien wie z.B. Zentrum, Bayrische Volkspartei, Bauernpartei, Staatspartei stimmten dafür und sorgten somit für eine 2/3 Mehrheit und damit für das Ende der Demokratie.

Am 21. März 1933 zog ein gewaltiger Fackelzug drei Stunden durch Königslutter. In großen Annoncen war zur Teilnahme aufgerufen worden. An der Spitze marschierten der Stahlhelm-Spielmannszug und das Städtische Orchester. „Sämtliche nationalen Vereine und Organisationen der Stadt nahmen daran teil. …[Auf dem Marktplatz] hieltder Führer der NSDAP-Ortsgruppe Königslutter, Herr Lehrer Keunecke, eine Ansprache, in der er die Bedeutung des Tages schilderte. Als Zeichen dafür, dass nun der Marxismus endgültig ausgerottet werden soll, wurden mehrere marxistische Fahnen auf dem Marktplatze verbrannt“, ist im Amtsblatt vom 23. März zu lesen. Und die Braunschweiger Neuesten Nachrichten schrieben am 24. März: „Während die Festzugsteilnehmer das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied sangen, wurden auf dem Marktplatz die schwarzrotgoldenen Fahnen der hiesigen Schulen und anderer Organisationen verbrannt.“

In Braunschweig wurde am 9. März 1933 das Volksfreundehaus von der SS gestürmt und Druckschriften, Bücher etc. auf dem Ackerhof verbrannt. In Königslutter wurde am Abend des 15. März 1933 das Arbeiterheim „Freiheit“ „von hiesigen „SA- und SS-Leuten und der Hitlerjugend besetzt“. Hier hatten sich 1932 mehrere Arbeitervereine und Organisationen eine Tagungsstätte errichtet. Das Amtsblatt berichtete am 17. März, die Braunschweiger Neuesten Nachrichten am 18. März über diese Aktion. „Beim Gesange des Horst-Wessel-Liedes wurde auf dem Dache des Gebäudes eine Hakenkreuzfahne gehisst.“

Es ist sehr wahrscheinlich, zumal Günter Wiemann die Besetzung des SPD-Büros in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes an diesem Abend erwähnt, dass neben Fahnen auch Parteimaterialien und Bücher verbrannt wurden, wie Tage zuvor in Braunschweig.

„‘Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren‘, sagte einst Bundespräsident Weizsäcker. In diesem Sinne sollten wir gegenwärtig und auch in Zukunft wachsam sein gegen rechtspopulistische und rechtsradikale Tendenzen in unserer Gesellschaft. Unsere Demokratie muss immer wieder verteidigt werden, sie ist nicht selbstverständlich. Aus der Weimarer Republik habe ich gelernt, wie schnell damals die Demokratie auf legalem Wege beseitigt worden ist. Deshalb lassen sie uns aus der Geschichte lernen: seien wir wachsen und verteidigen unsere Demokratie gegen ihre Feinde“, mit diesen Worten wurde der Vortrag beendet.

Die Mahn- und Erinnerungstafel wurde anschließend am Haus von Frank und Petra Wulke am Marktplatz von Frank Wulke und dem Stadtarchivar Thomas Markwardt der Öffentlichkeit präsentiert. Ulrich Kleinfeldt sorgte mit seinem Saxophon für einfühlsame musikalische Umrahmung.

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