Rede von OB Markurth zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Herrn Salomon Perel

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Adrian Foitzik Stadt Braunschweig

Von Oberbürgermeister Ulrich Markurth

Ansprache des Herrn Oberbürgermeister Ulrich Markurth

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wir haben uns hier zusammengefunden, um eine Persönlichkeit mit der höchsten Ehrung auszuzeichnen, die von der Stadt Braunschweig verliehen werden kann. Eine Persönlichkeit, der unsere Stadt viel zu verdanken hat.

Auf Beschluss des Rates vom 14. Juli wurde Herrn Salomon Perel in Würdigung seiner besonderen Verdienste um die Stadt Braunschweig das Ehrenbürgerrecht zuerkannt. Leider ist es Herrn Perel aufgrund der Corona-Pandemie nicht möglich heute persönlich dabei zu sein. Deshalb haben wir eine Premiere – so freue ich mich, dass die neuen Medien eine gemeinsame Zeremonie zulassen und Herr Perel heute über das Internet bei uns sein kann. Dies ermöglicht mir ihm die Ehrenbürgerurkunde virtuell zu übereichen.

Sehr geehrter Herr Perel, ich begrüße Sie ganz herzlich.

Ebenfalls begrüße ich meinen Kollegen, Herrn Bürgermeister Grinblum aus Kiryat Tivon.

Ich begrüße auch die Angehörigen und Freunde unseres Ehrenbürgers sowie unsere langjährigen Wegbegleiter in unserer Part-nerstadt: Einen herzlichen Gruß nach Kiryat Tivon – Schalom!

Hier in Braunschweig möchte ich die Enkeltochter unseres Ehrenbürgers, Frau May Perel, ganz herzlich begrüßen. Schön, dass Sie bei uns sein können!

Sehr geehrter Herr Ehrenbürger und Ministerpräsident a. D. Glogowski,

sehr geehrter Herr Ehrenbürger Borek,

sehr geehrter Herr Fritsch,

sehr geehrter Herr Landesbischof Dr. Meyns,

sehr geehrter Herr Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Fürst, sehr geehrte Frau Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Braunschweig, Wagner-Redding,

sehr geehrter Herr Vorsitzender des Rates der Muslime Braunschweig Yabas,

sehr geehrter Herr Bundestagsabgeordneter Müller,

sehr geehrte Abgeordnete des Niedersächsischen Landtags,

sehr geehrte Mitglieder des Rates der Stadt,

sehr geehrte Auszubildende des Volkswagenwerkes,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

sehr viele hier im Raum kennen die einzigartige bewegte und bewegende Lebensgeschichte von Salomon – Sally – Perel. Um deren Besonderheit zu verstehen, lassen Sie mich heute anlässlich seiner Ehrung etwas weiter ausholen und diese Geschichte noch einmal erzählen:

1925 wurde Sally Perel in Peine als Sohn eines Rabbiners geboren. Um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen, entschloss sich die Familie Mitte der 30er Jahre zur Flucht nach Łódź – in die vermeintliche Sicherheit. Nach dem deutschen Über-fall auf Polen wurde auch Łódź von deutschen Truppen besetzt. Um ihm das Überleben zu ermöglichen, schickten die Eltern den damals 14-jährigen Sally gemeinsam mit seinem älteren Bruder in den von der Sowjetunion annektierten Teil Polens.

Als die Eltern ihn und seinen Bruder in den Osten schickten, gaben sie ihnen Folgendes mit auf den Weg. Seine Mutter sagte: „Du sollst leben. Ihr sollt leben.“ – sein Vater: „Vergiß nie, wer Du bist.“ Zwei Schlüsselsätze, die bestimmend für Sally Perels Lebenslauf wurden.

Vergessen, wer er ist, hat Sally Perel nie. Auch wenn er gezwungen war, seine eigentliche Identität mehrere Jahre zu verbergen – so lange, bis seine neue Identität wie eine zweite Haut mit ihm verwachsen war.

Als die Wehrmacht 1941 in Polen einfällt, wird Sally Perel von deutschen Soldaten festgenommen. Er ist so geistesgegenwärtig, seine Papiere zu beseitigen. Blitzschnell legte er sich eine neue Identität als Volksdeutscher Josef „Jupp“ Perjell zurecht. Damit rettet er sein Leben.

Nachdem „Jupp“, Josef Perjell, der Wehrmacht eine Zeitlang als Übersetzer gedient hatte, wurde der noch Minderjährige zur Be-rufsausbildung hinter die Front geschickt. Er kam nach Braunschweig, in das Volkswagen-Vorwerk. In diesem NS-Prestigeprojekt wurde der Facharbeiternachwuchs ausgebildet. „Jupp“ Perjell absolvierte eine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Während dieser Zeit lebte er im Lehrlingswohnheim an der Gifhorner Straße.

Die Ausbildung im VW-Vorwerk ging dabei weit über eine normale Berufsausbildung hinaus. Die Lehrlinge galten als künftige Facharbeiterelite. Ziel war es, einen „neuen deutschen Facharbeiter“ im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie zu erziehen. Auch „Jupp“ musste – wie alle Lehrlinge – Mitglied der Hitlerjugend werden. Mehrere Jahre gelang es ihm, in dieses streng reglementierte Leben einzutauchen und seine jüdische Identität zu verbergen. Er überlebte, getarnt durch die Uniform der Hitlerjugend und den falschen Namen.

Die Angst war sein ständiger Begleiter: Angst, entdeckt und entlarvt zu werden – mit tödlichen Konsequenzen. Sally Perel schaffte es, diese Rolle durchzuhalten und den Auftrag seiner Mutter zu erfüllen: „Du sollst leben.“ Auf diese Weise ist seine dramatische Le-bensgeschichte untrennbar mit Braunschweig verbunden. Wie er später erfährt, haben seine Eltern und seine Schwester den Holo-caust nicht überlebt. 1948 verlässt Sally Perel Deutschland, um in den gerade gegründeten Staat Israel auszuwandern und das Land mit aufzubauen.

Rund vierzig Jahre später gelingt es ihm, die Vergangenheit aufzuarbeiten, die er tief in sich verschlossen hatte, die zugleich aber wie eine Last auf seinen Schultern lag. Nach einer Herz-Operation begann er, seine Erinnerungen aufzuschreiben. 1985 kommt er zu einem ersten Besuch zurück in seine Heimatstadt Peine und nach Braunschweig. Er trifft frühere Mitlehrlinge und seinen ehemaligen Lehrlingsausbilder bei Volkswagen wieder.

Sein Buch „Ich war Hitlerjunge Salomon“ erscheint 1992 in deutscher Übersetzung. Zuvor hatte die Regisseurin Agnieszka Holland seine Erinnerungen sehr erfolgreich verfilmt. Der Film erhielt mehrere internationale Preise. Seither ist Sally Perel deutschlandweit zu Lesungen, Vorträgen, Filmvorführungen unterwegs. Sein großes Anliegen ist es, jungen Menschen von seiner Geschichte zu erzählen, sie zu sensibilisieren, damit sie nicht blind und kritiklos falschen Idealen hinterherlaufen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren: Ich sehe einen Menschen mit einem großen Herzen. Einen Menschen, der seine Er-fahrungen, seine Lebensgeschichte nutzt, um Versöhnung und Frieden zu stiften. Seit Jahren gehört Salomon Perel der israelischen Friedensbewegung an. Seine Haltung, „Hass durch Liebe zu überwinden“, ist bewundernswert.

Mit dem Film und mit seinem Buch begann sein einzigartiger Einsatz: Seit nunmehr dreißig Jahren, in denen andere sich längst zur Ruhe gesetzt haben, ist Sally Perel unermüdlich unterwegs, um seinen selbstgewählten Auftrag zu erfüllen. In und für Braunschweig ist sein Engagement besonders groß und vielfältig: Ich erinnere an die zahlreichen Lesungen in Schulen und bei Großveranstaltungen, beispielsweise im C1-Kino, oder seine bewegenden Worte bei Demonstrationen.

Eng ist seine Beziehung zum Volkswagenwerk Braunschweig und zu den dortigen Auszubildenden. Werkleitung und Betriebsrat von Volkswagen Braunschweig haben 2013 den Sally-Perel-Preis ins Leben gerufen, dessen Schirmherr ich bin. Mit dem Preis werden Initiativen junger Menschen ausgezeichnet, die sich für einen respektvollen Umgang miteinander sowie gegen Rassismus und Ge-walt einsetzen. Und natürlich gehört Herr Perel der Jury an und nimmt an der Preisverleihung teil.

Durch seine besondere Persönlichkeit – verbunden mit einer großen Authentizität und seinem bewundernswerten Engagement für Gemeinsinn, Toleranz und Akzeptanz – hinterlässt er einen bleibenden, einen prägenden Eindruck. Um sein Wirken zu würdigen, haben wir zum Schuljahr 2018/2019 die Integrierte Gesamtschule Volkmarode in „Sally-Perel-Gesamtschule“ umbenannt.

Symbolische Schlüsselübergabe an Sally Perel durch Schulleiter Christian Düwel. Die Gesamtschule Volkmarode heißt danach „Sally Perel Gesamtschule“. Foto: Uwe Meier

Sehr geehrter Herr Perel: Mit Ihrer Lebensgeschichte haben Sie im Lauf der Jahrzehnte mehrere tausend Jugendliche tief bewegt. Sie haben ihnen Ihr Leben und Überleben nahegebracht und so gegen das Vergessen gearbeitet. Das kann man ohne jede Übertreibung feststellen. In einem Zeitungsinterview 2005 sagten Sie einmal: „Ich hätte damals nicht geglaubt, dass heute wieder Jungen mit Hakenkreuzen marschieren.“ Und: „Wer nicht kritisch ist, wird zum Roboter.“

Ich bin fest überzeugt, dass Sie durch Ihre Aufklärungsarbeit viele Jugendliche, die anfällig für rechtes Gedankengut waren, von diesem Weg abgebracht haben. Aus Berichten weiß ich, wie beeindruckt Jugendliche von der Herzlichkeit und Güte sind, die Sie, sehr geehrter Herr Perel, ausstrahlen und davon, dass Sie ihnen auf Augenhöhe begegnen. Sie berühren die Jugendlichen, Sie er-reichen ihre Herzen. „Die deutsche Jugend ist nicht schuldig. Schuld ist nicht erblich.“ – das sind Ihre Worte. Aber die jungen Leute sind dafür verantwortlich, dass so etwas nicht wieder geschieht.

Es hat sich gelohnt und es lohnt sich weiterhin, um die Herzen der Jugendlichen zu kämpfen, damit sie für die Werte eintreten, die unsere Demokratie ausmachen. Mit Ihrer Persönlichkeit hinterlassen Sie Spuren – nicht nur bei jungen Menschen. Und Ihr Engagement lässt nicht nach: 2017 hielten Sie die Festrede zur Verleihung des „Gemeinsam-Preises“ der Braunschweiger Zeitung. In diesem Jahr waren Sie Schirmherr der 850 Kilometer langen Radgedenkfahrt der „brunswick wheelers“ nach Auschwitz zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers.

Sehr geehrter Herr Perel: Wir brauchen in unserer Welt und in unserer Zeit Menschen wie Sie: Menschen, die authentisch von der Vergangenheit berichten. Menschen, die trotz oder gerade wegen des eigenen schweren Schicksals ohne Hass sind. Die bereit sind, nicht nachzutragen, sondern zu verzeihen und damit Gutes für die Zukunft zu bewirken.

Denn: „Die Zukunft hat eine lange Vergangenheit.“ – so sagt es der Talmud und so steht es an der Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße. Dieses Zitat haben wir zur Leitlinie unserer städtischen Erinnerungskultur gewählt.

Ihre Arbeit – junge Menschen aufzuklären und für die Annäherung aller Kulturen und Völker, für Toleranz und Akzeptanz und gegen Hass zu sensibilisieren – ist ein Dienst am Frieden, dessen Bedeutung nicht hoch genug zu schätzen ist. Denn: „Auf drei Dingen be-ruht die Welt: auf Recht, auf Wahrheit und auf Frieden“ – auch dies ein Zitat aus dem Talmud.

Gerade 2020 – 75 Jahre nach Kriegsende – kommt der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Sie, sehr geehrter Herr Perel, eine be-sondere Bedeutung zu. Bedauerlicherweise mussten im Zuge der Corona-Pandemie auch in Braunschweig alle geplanten Veranstaltungen zum Kriegsende am 8. Mai abgesagt werden. Vor diesem Hintergrund verstehe ich die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Herrn Perel als ein Symbol des Gedenkens, das die Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes wachhalten soll.

Auch wenn uns bewusst ist, dass die Verleihung der Ehrenbürgerwürde niemals eine Wiedergutmachung sein kann, sehen wir darin dennoch ein Zeichen der Versöhnung. Sie setzt ein Zeichen, das Mut macht, sich gegen Antisemitismus und Rechtspopulismus in der Gesellschaft zu behaupten. Wir bekennen uns dazu, dass wir uns der Geschichte immer neu stellen und sorgfältig mit unseren Werten umgehen. Unser Grundgesetz ist der Gegenentwurf zu einem Staat, der Menschen systematisch vernichtet hat.

Zum Selbstverständnis unserer Stadt gehört es, dass jüdisches Leben und die jüdische Kultur einen festen Platz in Braunschweig haben. Auch das wollen wir durch diese Auszeichnung unterstreichen.

Sehr geehrter Herr Perel, seit langem sind Sie Braunschweig tief verbunden. Für Ihr Engagement und Ihre Verdienste um Braun-schweig und um die Jugend unserer Stadt hat der Rat Sie mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet. Ich bin stolz darauf, dass Sie Ehrenbürger dieser, unserer Stadt sind. Es ist uns eine Ehre, Herr Perel – Sie sind uns eine Ehre!

Meine sehr geehrten Damen und Herren: Ich verneige mich vor Herrn Salomon „Sally“ Perel.

Sehr geehrter Herr Perel,

ich darf Ihnen jetzt – mit Unterstützung meines Kollegen, Herrn Bürgermeister Grinblum – die Ehrenbürgerurkunde überreichen.

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