„Verderbnis der Politik“ – Zwischenruf des Denkwerks Zukunft

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Wir erleben die Verderbnis der Politik als Aufgabe, sich um das Gemeinwohl zu kümmern. Wie symbolisch, dass ausgerechnet Großbritannien die Polis in den moderneren Begriff des Commonwealth gefasst hat! vorbei. An seiner Spitze agieren Eliten, die um ihrer persönlichen Interessen willen die Gesellschaft spalten, den Staat u.U. zerlegen, ihre Wirtschaft schädigen und den europäischen Verbund in Turbulenzen zwingen. Und das alles auch noch gegen die eigene politische Überzeugung. Nur weil Cameron Parteivorsitzender werden wollte, versprach er 2005 seinen Europaskeptikern, die Tories aus der EVP-Fraktion im Europaparlament zu führen. Weil die ihm weiter zusetzten, lieferte er ihnen 2013 das Referendum – ein Vabanquespiel. Und keine rationale Strategie, nicht einmal eine Überlegung für die Bewältigung der Situation danach, nach dem Verzocken.

Woher nimmt solch ein Egozentriker eigentlich die moralische Rechtfertigung, seinem ähnlich qualifizierten Labourgegenspieler zuzurufen, er möge um des Gemeinwohls willen zurücktreten? Auch des Primeministers Rivale Johnson hat sich nur an die Spitze der Brexiteers gestellt, um diesen aus dem Amt zu putschen und es selbst zu übernehmen. Was dann auch nicht so ernst gemeint war. Als ob Britannien und Europa den oft merkwürdig unreifen Spielereien von Oxford- und Cambridgestudenten ausgeliefert werden dürften! Der Gipfel: Solch Unausgegorenes auch noch dem Plebiszit hinzuwerfen – einem von der Fragestellung, ihrer Komplexität und ihren Folgen sichtlich überforderten Volk. Zudem wurde es mit Lügen und Emotionen überzogen. Aber wieso sollte dieses Volk klüger und gemeinwohlorientierter sein als seine politischen Eliten? Diese haben ihm die Chance eröffnet, seine Zerrissenheit zu demonstrieren, nach Regionen und Generationen. Die Schotten sind es leid. Und die Jüngeren werden zu Altenfressern, sind aber selbst zu desinteressiert und zu faul gewesen, sich am Referendum zu beteiligen. Egozentrik aller Orten, Abgründe der Demokratie, Verderbnis der Politik. – Nur in Großbritannien? In dieser Zuspitzung ja. Aber der Tendenz nach eher nein.

Heinrich Oberreuter ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Universität Paussau und ehemaliger Direktor der Akademie für Politische Bildung, Tutzing

  

 

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