Ordnungsdezernent tritt als Nachfolge-Kandidat von Ulrich Markurth an – ein Plan ist noch nicht da
Nach dem gestern verkündeten Amtsende von Oberbürgermeister Ulrich Markurth legte die SPD heute in einer Videokonferenz ihren Vorschlag für einen Nachfolger vor. Der bisherige Braunschweiger Ordnungsdezernent und promovierte Jurist Dr. Thorsten Kornblum (39) soll als Markurths Nachfolger ins Rennen um die Kommunalwahl im September gehen.
„Wenn die SPD einen Staffelstab übergibt möchte sie, dass der Träger als Sieger durchs Ziel geht“, kündigte Braunschweigs SPD-Chef Dr. Christos Pantazis dessen Web-Auftritt an. Die GenossInnen hatten Kornblum zuvor einstimmig in allen Gremien der Partei zum OB-Kandidaten gewählt.
Bereits Anfang Januar schickte die CDU Braunschweig den parteiunabhängigen Kaspar Haller für die Oberbürgermeisterwahl ins Rennen. Mit dem aus Lingen/Emsland stammenden Kornblum, der als Dezernent in Münster und Referent des Niedersächsischen Innenministers Pistorius Karriere machte, setzt nun auch die SPD auf einen eher unbekannten Fachmann aus der zweiten Reihe der Parteinomenklatur. Schon mit 30 Jahren war Kornblum Regierungsrat in der Niedersächsischen Finanzverwaltung.
Die SPD wolle mit der Nominierung des 39-jährigen Kornblum „einen Generationswechsel“ einleiten, erklärte dazu der SPD-Landtagsabgeordnete und Ratsfraktionsvorsitzende Christoph Bratmann. Spekulationen bürgerlicher Medien, er selbst strebe nach dem Amt, waren ohnehin obsolet. Aufbauen will Bratmann lieber „Gesichter in der SPD. Aufgrund der Situation ist aber nichts nachgewachsen“.
Mit Kornblum verfehlt die SPD die Hälfte ihres selbstgesteckten Ziels, „jünger und weiblicher“ zu werden. Eine der beiden Braunschweiger Mandatsträgerinnen ist Ministerin (Carola Reimann). Die andere Landtagsabgeordnete (Annette Schütze). Beide sind in ihren Ämtern unabkömmlich, weil sonst die selbstauferlegte Frauenquote der SPD kaputtgeht. Weitere Frauen mit halbwegs genügender fachlicher Verwaltungserfahrung können die 1600 Braunschweiger Genoss/-innen zur Zeit nicht aufbieten.
So wird es wieder ein Mann, der für die SPD ins Rennen geht; genauer: ein Fachmann. „Ich kann Verwaltung und werde durchstarten“ beschrieb Kornblum seine Kernkompetenz. Bildung, Schulen und Kitas, die Sportvereine, das Klinikum und der Einzelhandel in der Innenstadt lägen ihm besonders am Herzen. Dazu der ÖPNV, die Schaffung bezahlbaren Wohnraums und solide Stadtfinanzen. Und sonst? Natürlich „die Digitalisierung. Ich werde die Digitalisierung als Oberbürgermeister zur Chefsache machen, besonders in Schulen und Kitas.“
Da wolle er „eine Schippe drauflegen“ auf das, was Markurth gemacht habe. Obwohl der natürlich schon alles richtig gemacht habe. Und ein paar Dauerbrenner sind auch im Programm: „Innenstadt stärken“, „Klimaneutralität bis 2030“, „Herauslösung der Braunschweigischen Landessparkasse aus der NORD/LB“ und „Klinikum Braunschweig stärken“.
Erst auf Nachfrage erwähnt Kornblum das Thema Kultur im Schnelldurchlauf: „Ob freie Szene oder Theater, das ist natürlich ganz besonders wertvoll für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Da brauche die Stadt eine starke Stimme im Land und man müsse sich „genau angucken, was derzeit an Scherben entsteht. Für diese Strukturen müssen wir passgenaue Hilfen entwickeln.“ Heißt zu gut deutsch: Ein Plan ist noch nicht da.
KOMMENTAR ZUM THEMA:
von Klaus Knodt
Schöner, fremder Mann
Nach dem unbekannten Zählkandidaten der CDU meint offenbar auch die SPD, ihren Hauptverwaltungsbeamten aus der zweiten Reihe rekrutieren zu dürfen. Nun glänzte Markurth nicht, sondern bezauberte; er regierte nicht, sondern er verführte. Er war kein Populist, sondern populär: als Teil des Braunschweiger Volkes in seinen Vereinen, Schulen, Nachbarschaften, Behörden und sogar Kneipen. Keiner „zum Anfassen“, sondern einer zum Händeschütteln.
Ob sein designierter Nachfolger Kornblum diese Erwartungen erfüllen kann, bleibt fraglich. Eine aalglatte Biographie unter der Führhand eines niedersächsischen Innenministers ist kein Ausweis von Originalität und Kreativität. Dass der Ordnungspolitiker Kornblum ausgerechnet in der Video-Wahlkonferenz vor Braunschweigs Journalist/-innen an das Theater erinnert werden muss, ist ein Zeichen seiner merkantilen Fokussierung: Erst die Kohle, dann die Körperpflege, dann die Kultur.
Kornblums Kandidatur spiegelt aber auch das Dilemma der Braunschweiger SPD: Sie hat zwar eine Quote, aber keine Frauen für ministeriable Ämter. Sie hat eine rumorende Jugendorganisation, aber keine charismatischen Nachkommen. Sie hat ein große Anzahl eitler Karrierist/-innen, die sich tarifbezahlt im Vorzimmer der Macht einnisten, aber keine Verantwortung übernehmen möchten. Die SPD hat keine Anführer/-innen mehr. So macht den Job halt ein schöner, fremder Mann.
Ich vermute mal, dass Herr Kornblum in der SPD Mitglied ist. Nirgends steht das in den Unterlagen, die der Presse zugänglich sind.
Wahrscheinlich ist er in die SPD eingetreten, nachdem ihm zugesichert wurde, hier in Braunschweig OB-Kandidat der SPD zu werden. Also vor etwa 18 Monaten. Wahrscheinlich wäre er ja auch in eine andere Partei eingetreten, wenn die ihn rechtzeitig gefragt hätte. Aber egal. Ist eh alles beliebig. Nur „Genosse“ muss man sich erarbeiten. Das ist im Zeitalter der Beliebigkeit – hauptsache die Kohle stimmt – nicht ganz trivial. Stallgeruch bekommt man nicht indem man mal kurz durch den parteipolitischen Stall läuft. Da muss man den Stall schon mal ausgemistet haben. Mit all seinen Folgen.
http://www.spd-hiltrup.de/Aktuelles/1849/dr-thorsten-kornblum-verlaesst-muenster/index.html
Eine kurze Recherche bei Google ergab folgenden Treffer: Herr Kornblum ist offenbar seit mindestens 2004 SPD-Mitglied, hatte also in den letzten 17 Jahren genügend Zeit, den einen oder anderen sozialdemokratischen Stall auszumisten. Trotzdem könnte er auch damals schon aus Karrieregründen Genosse geworden sein.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich teile die treffende Kritik des Kommentators an Herrn Kornblum weitgehend (bis auf den Teil mit der Körperpflege). Nur sollte man ihn auf Feldern attackieren, auf denen er offene Flanken für Kritik bietet. Davon gibt es sicher einige. Eine (zu) kurze Parteimitgliedschaft in der SPD gehört offenbar nicht dazu.
Als Autor des Artikels habe ich keine Mutmassungen über die Dauer der Parteizugehörigkeit von Dr. Kornblum angestellt. Und zwar schlicht, weil ich es nicht weiss – und nicht wissen kann, denn ein Parteibuch ist Privatsache – und daher als seriöser Journalist nicht behaupten darf. Was Leserbriefschreiber dann zu dem Thema vermuten, liegt nicht in meiner Verantwortung.
Ist Herr Kornblum nicht der, der als Ordnungsdezernent u. a. dafür die Verantwortung trägt, dass die AfD hier in BS ihre rechtsextremen Parteitage machen kann und die Neonazis unbehelligt regelmäßig ihre faschistischen Aufmärsche, während die Polizei die Gegenkundgebungen der Antifaschist:innen gängelt, kesselt, die Leute kriminalisiert und körperlich und seelisch diskriminiert usw.?
Liebe Genoss:innen, das kann ja heiter werden…
Herr Kornblum ist der SPD beigetreten als er 15 Jahre alt war und seitdem immer Mitglied gewesen.