Polizei Wolfsburg: Beschlagnahme der Kamera eines Journalisten rechtswidrig

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2.Juni 2020: Von der Polizei eingekesselte Demonstrierende aus der Perspektive der Betroffenen. Außerhalb des Kessels: Der Journalist Jörg Bergstedt, zu diesem Zeitpunkt noch mit Kamera

Von Projektwerkstatt Saasen

Bundesverfassungsgericht: Beschlagnahme der Kamera durch die Wolfsburger Polizei verstieß gegen Pressefreiheit

2. Juni 2020 in Wolfsburg: Nach einer Demonstration, die per Auflage nur auf Geh- und Radwegen stattfinden durfte, sammelten sich knapp 20 Personen zu einer spontanen Versammlung, um gegen ein zeitgleich laufendes Gerichtsverfahren wegen der VW-Blockade im August 2019, drei erneute Verhaftungen und die Bevorzugung des Autoverkehrs zu protestieren. Mit Sprüchen wie „In Wolfsburg sind die Straßen den Autos gewidmet“ drängte ein großes Polizeiaufgebot die Demonstrant*innen von der Straße und kesselte sie auf dem Geh- und Radweg, der dadurch knapp zwei Stunden vollständig unbenutzbar war, ein.

Einen Bericht sowie eine Presseinformation zu den damaligen Ereignissen siehe hier und hier.

Mehrere Journalist*innen filmten und fotografierten die rechtswidrige Verhinderung einer Kundgebung samt anschließender, mit dem Versammlungsrecht nicht in Einklang zu bringender Personalienkontrollen und Platzverweise.

Während Mitarbeiter*innen lokaler Zeitungen brav den Anweisungen der Polizei folgten und viele rechtswidrige Handlungen nicht weiter dokumentierten, hielten zwei auswärtige Journalist*innen diese genau fest. Das missfiel der Polizeiführung. Der Journalistin Cecile Lecomte wurde ein Platzverweis erteilt. Sie wurde, zwecks Überwachung der Abreise, bis zum Bahnhof von Polizei begleitet.

Video der Journalistin Cecile Lecomte.

Der Journalist Jörg Bergstedt wurde hingegen sogar festgenommen. Die Polizei beschlagnahmte Datenträger und Kamera mit der Behauptung, das Aufnehmen von Polizeihandlungen sei eine Straftat.

Widersprüche des Journalisten beim Amts- und Landgericht bleiben erfolglos. Daraufhin reichte der so um sein Arbeitsmaterial Gebrachte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein und hatte jetzt Erfolg:

Die Staatsanwaltschaft muss die Geräte und die Daten des Journalisten herausrücken.

Das Bundesverfassungsgericht rügt in seiner Entscheidung sehr deutlich, dass die entscheidenden Gerichte das Grundrecht der Pressefreiheit nicht berücksichtigt hätten. „Die amtsgerichtlichen Beschlüsse nehmen die in Rede stehende Pressefreiheit nicht in den Blick“, geißeln die Karlsruher Richter*innen eine völlige Grundrechtsblindheit des seltsamerweise in Braunschweig abgelaufenen, erstinstanzlichen Verfahrens.*

Die zweite Ebene machte es kaum besser. Zwar heißt es in dem Beschluss: „Erstmals das Landgericht erkennt in seiner Beschwerdeentscheidung, dass die Pressefreiheit einschlägig ist.“ Doch dann würde das Landgericht Braunschweig die Geltung von Grundrechten im Verdachtsfall von Straftaten verneinen: „Es nimmt sich mit seiner Argumentation, strafprozessuale Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der möglichen Begehung einer Straftat vorgenommen würden, beeinträchtigten die Pressefreiheit (von vornherein) nicht, indes die Möglichkeit, die gebotene Abwägung durchzuführen.“ Zudem hätte „das Landgericht seine Feststellung, die Beschlagnahme der Kamera sei weiterhin erforderlich um die Straftat nach § 201 StGB beweisen zu können, nicht nachvollziehbar begründet.“

Mit der Eilentscheidung des Verfassungsgerichts – das Hauptverfahren folgt später – ist eine erste Auseinandersetzung um die Polizeiübergriffe und den Kessel vom 2. Juni entschieden. Etliche weitere Verfahren laufen. So haben fast alle Betroffenen Klagen gegen die Verhinderung einer Versammlung beim Verwaltungsgericht Braunschweig eingereicht.

Außerdem erließ die Stadt Wolfsburg Bußgeldentscheide nach der Corona-Verordnung, weil die durch den Polizeikessel zusammengedrängten Menschen eine nicht genehmigte Ansammlung dargestellt hätten. „Hier decken sich mehrere Behörden gegenseitig, um in der VW-Stadt jede kleinste Kritik am Auto zu unterdrücken“, äußerte sich Jörg Bergstedt nach dem Verfassungsgerichtsspruch.

Er hofft, durch weitere Gerichtsentscheidungen das Grundrecht auf Versammlungen auch für Wolfsburg erkämpfen zu können. „Der Protest gegen Klimawandel, Flächenverbrauch, Lärm sowie bundesweit neun Tote und 1053 Verletzte pro Tag durch den Autoverkehr muss gerade dort stattfinden dürfen, wo das Auto seine Hochburgen hat – und zwar nicht nur abgedrängt auf Fuß- und Radwege!“

*Nach wie vor nicht geklärt ist, wieso überhaupt das Amtsgericht Braunschweig sich für zuständig erklärte. Die Handlung und damit die behauptete Straftat geschahen unzweifelhaft mitten in Wolfsburg. Die Stadt verfügt über ein eigenes Amtsgericht mit Strafabteilung. Kein Gericht, auch die angerufenen höheren Instanzen, habe die Rüge der falschen Zuständigkeit aufgegriffen.

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