Plädoyer für eine verlässliche, verbindliche und beherzte Energieeffizienz-Politik

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Offener Brief an die Bundesregierung und die Mitglieder des Umwelt- und des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages / 19.1.2012

http://images.zeit.de/wirtschaft/2012-01/Offener-Brief-Effizienz.pdf

 Die Lücke zwischen ehrgeizigen Energie-Einsparzielen und politischer Wirklichkeit muss geschlossen werden.

Klima- und Ressourcenschutz sind, das zeigen übereinstimmend globale und nationale Energieszenarien, ohne eine deutlich forcierte Energieeffizienzpolitik und ohne eine erheblich wirksamere Energieeinsparung nicht erreichbar. Daher sind die Energieeffizienzziele der deutschen Bundesregierung in ihrem Energiekonzept sachgerecht und ambitioniert formuliert worden.

Doch zwischen diesen Zielen und der tatsächlichen Politik klafft eine Lücke, die größer zu werden droht. Dies zeigt aktuell die Diskussion über den Entwurf einer neuen europäischen Effizienzrichtlinie. Die Entwicklung der energiewirtschaftlichen Indikatoren bestätigt: es hat bisher keine Effizienzrevolution gegeben. Dabei zeigen zahlreiche Studien die ökologischen, aber genauso die volks- und betriebswirtschaftlichen Vorteile von Energieeffizienz und Energieeinsparung auf. Nationale und regionale Wirtschaftskreisläufe werden angekurbelt, Bauhandwerk, Architekten, Planer, die Finanz- und Versicherungswirtschaft sowie Elektrohandwerk, Heizungsbauer, aber auch der deutsche mittelständische Elektroanlagen- und Maschinenbau sowie die chemische Industrie werden durch eine beherzte Effizienzprogrammatik gestärkt: Regionale und nationale Wertschöpfung statt globaler Energieabhängigkeit und Kapitalabfluss.

Die unbestrittenen gesamtwirtschaftlichen Vorteile einer Energieeffizienzpolitik sind reduzierte Energieimporte, netto zusätzliche Arbeitsplätze sowie eine geringere Anfälligkeit gegenüber steigenden Energiepreisen. Gerade Effizienztechniken könnten sich angesichts dessen zum Exportschlager entwickeln. Der Welthandelsanteil Deutschlands an Effizienzprodukten betrug in den letzten Jahren rund 17 Prozent.

Über volkswirtschaftliche Vorteile hinaus trägt Energieeffizienz vielfach zu mehr sozialer Gerechtigkeit bei, z.B. durch geringere Energiekosten sozial schwacher Haushalte, aber auch zu Komfortsteigerungen, mehr Lebensqualität und Gesundheit. Das Potenzial ist vorhanden, und die Maßnahmen sind für die Energienutzer wie auch für die Gesellschaft zumeist hoch wirtschaftlich. Und doch führen verschiedene Hemmnisse dazu, dass wichtige Potenziale unerschlossen bleiben.

Nicht nur Elektromobilität, Kraftwerksneu- und Netzausbau, derzeit mit viel Geld und Aufmerksamkeit bedacht, sind Energiewendethemen. Vielmehr ist die Senkung des Energiebedarfs unabdingbare Voraussetzung dafür, dass der Restenergiebedarf schneller und kostengünstiger aus erneuerbaren Energien gedeckt werden kann.

Doch so scheinbar einmütig die Bundesregierung die Energieproduktivität erhöhen und den Energiebedarf senken will, so zwiespältig sind die konkreten Signale, die überall dort ausgesendet werden, wo es wirkungsvolle Instrumente zu entwickeln gilt. Eine erfolgreiche Effizienzpolitik kann nicht allein auf den marktwirtschaftlichen Selbstlauf setzen, sondern muss als große Innovationsaufgabe verstanden werden und auf alle Wirkungsmechanismen setzen: auf Förderung, Motivation, Information und Fortbildung, aber auch auf ordnungsrechtliche Instrumente, Marktüberwachung und Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Dieses Gleichgewicht fehlt dem heutigen Instrumentenmix.

Wir, die Unterzeichner dieses Appells, fordern daher die politischen Entscheidungsträger auf, die Bremsen zu lösen und in allen Handlungsfeldern eine Energieeinsparpolitik zu gestalten, die den selbst gesetzten ambitionierten Regierungszielen gerecht wird.

Aktueller Handlungsbedarf im Strom- und Wärmesektor besteht bei verschiedenen Politikinstrumenten:

Die wichtigsten Effizienzimpulse kommen aus Brüssel. Derzeit wird der Entwurf einer europäischen Effizienzrichtlinie diskutiert, die eine Reihe wichtiger zukünftiger Anforderungen an die Mitgliedstaaten enthält. Zentrale Idee ist, mit marktwirtschaftlichen und die Marktentwicklung unterstützenden Instrumenten die Umsetzung von rentablen Energieeffizienz-Investitionen und -Dienstleistungen zu beschleunigen. Ein Kernstück der Richtlinie ist der Auftrag an die Energieversorger, im Rahmen von Artikel 6 Effizienzmaßnahmen zu ergreifen, die jährlich Energie in Höhe von 1,5 % ihres Energieabsatzes einsparen, und damit neue Geschäftsfelder zu eröffnen. Dabei sollten die Mitgliedsstaaten die Wahl erhalten, alternativ dazu einen Energieeffizienzfonds als unabhängige Organisationseinheit einzurichten, der Maßnahmen im gleichen Umfang durchführt. Ein weiteres Kernelement der Richtlinie ist die Vorgabe an die Mitgliedsstaaten, Ziele für eine Beschränkung des absoluten Energieverbrauchs zu setzen. Hier kann Deutschland mit den von der Bundesregierung beschlossenen Zielen eine Vorreiterrolle einnehmen. Die Richtlinie fordert weiterhin die ehrgeizige Sanierung öffentlicher Gebäude als Aushängeschild staatlicher Verantwortung; Vorgaben bezüglich der Wärmenutzung in Kraftwerken und Industrieanlagen, und die Einführung von Wärme- und Kälteplänen als Planungsinstrument für den zukünftigen Wärmemarkt. Besondere Bedeutung hat die Effizienzrichtlinie auch deshalb, weil sie für alle Mitgliedsstaaten einen einheitlichen Rechtsrahmen schafft. So werden Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Markt verhindert. Die Position Deutschlands hat auch eine wichtige Signalwirkung für viele andere Mitgliedsstaaten. Gerade bei diesem richtungsweisenden Instrument zur Erhöhung der europäischen Energieeffizienz darf Deutschland nicht als Bremser auftreten! Es gilt daher, dieses Schlüsselinstrument für mehr Energieeffizienz auf europäischer Ebene nicht zu verwässern, sondern alle Bestandteile engagiert zu unterstützen und auf nationaler Ebene durch ein umfassendes Energieeffizienzgesetz konsequent umzusetzen.

Die steuerliche Absetzbarkeit der Kosten ehrgeiziger Gebäude-Sanierungen ist ein wirkungsvolles Instrument zur Beschleunigung der energetischen Sanierung. Derzeit verhindern aber föderale Querelen eine zügige Umsetzung dieser Maßnahme. Hier gerät ein wichtiges Politikinstrument unter die Räder von Partikularinteressen. Wir mahnen an, dieses Instrument der steuerlichen Abschreibung in weiterentwickelter Form1 zügig zu verabschieden.

Die Energieeinsparverordnung (EnEV) ist das wichtigste Instrument für energieeffiziente Gebäude. Doch obwohl die Energieszenarien des Energiekonzepts von rasch sinkenden Energieverbrauchsniveaus ausgehen, gibt es offenbar keine ernsthaften Pläne einer Verschärfung der Anforderungen für Neubauten und den Gebäudebestand. Damit werden große Chancen vertan: heute gebaute oder sanierte Gebäude werden bereits in 20 bis 30 Jahren zum Sanierungsfall. Wir fordern, die Verschärfung der EnEV unter Berücksichtigung der weiter steigenden Energiepreise und mit Blick auf die erforderlichen zukünftigen Reduktionen energiebedingter CO2-Emissionen voranzutreiben und die Idee des „Sanierungsfahrplans“ rasch zu konkretisieren. Hierzu müssen auch eine verstärkte Förderung (Anreize, Qualifizierungsmaßnahmen) und Kontrolle der Umsetzung von Vorgaben der EnEV gehören.

 1. Vorschlag: Absetzbarkeit nur bei Sanierungen auf hohe Energiestandards; Zulassung von Einzelmaßnahmen, wenn ein Energieberater einen „Sanierungsfahrplan“ vorlegt; progressionsunabhängige Gestaltung im Rahmen des §35 für Eigennutzer bzw. §82a ESTDV für Vermieter.

Aus dem „Sondervermögen Energie- und Klimafonds“, einem lobenswerten Kristallisationskeim für einen effektiven Klimaschutz, ist nur ein Bruchteil des eingeplanten Geldes verwendet worden. Anstelle eines Förderprogramms für neue fossile Kraftwerke sollten wirkungsvolle Programme zur Energie- und Kosteneinsparung auf der Nachfrageseite im Vordergrund stehen. Zwei wichtige Bereiche für den Fonds sind ein ehrgeiziges Top-Runner-Programm für Stromeffizienz und ein Programm zur Förderung energieeffizienter Lösungen in Industrie und Gewerbe. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Sondervermögen mit wirksamen Förderprogrammen auszugestalten, rasch und mit verlässlicher Finanzierung aufzustocken und mit einer klaren Förderlinie die entscheidenden Förderbereiche zu adressieren.

Eine Reihe von Steuern und Subventionen haben umweltschädliche Nebenwirkungen, beispielsweise die Dienstwagen-Regelung und die Steuerbefreiung des Flugverkehrs. Zugleich können Steuern auch eine wichtige lenkende und effizienzsteigernde Wirkung haben – siehe die ökologische Steuerreform 1998 bis 2002. Im Rahmen einer umfassenden ökologischen Finanzreform sollten umweltschädliche Tatbestände entfernt und zugleich die derzeit laufende Novellierung des Energie- und Stromsteuergesetzes mit klaren Effizienzzielen bei Steuernachlässen verknüpft werden.

Erzielte Einsparungen bei technischen Geräten und Prozessen werden insbesondere bei privaten Haushalten häufig durch steigende Komfortwünsche, wachsende Ansprüche und neue Technologien wieder aufgezehrt. Eine letztlich nachhaltige und innovative Energiepolitik muss daher gleichzeitig Rahmenbedingungen setzen, mögliche zu erwartende „Rebound-Effekte“ stärker zu begrenzen und angesichts einer materialistisch geprägten Gesellschaft einen verstärkten gesellschaftlichen Dialog über neue Wohlstandsmodelle und nachhaltige Konsummuster anzustoßen.

Eine gesellschaftlich erwünschte Energiewende wird gelingen, wenn diese und weitere Maßnahmen – als wirkungsvolles Bündel geschnürt – in allen Sektoren zu einer dauerhaften Senkung des Energiebedarfs und zu einer neuen Innovationsphase der Industriegesellschaft führen.

Deutschland könnte zum Effizienzvorreiter werden. Energieeffizienz- und Energieeinsparpolitik sind keine Belastung für Wirtschaft und Gesellschaft, sondern eröffnen große Chancen. Energieeffizienz und ein bewusster Umgang mit Energie müssen zu einem gesellschaftlichen „Gemeinschaftswerk“ werden!


Unterzeichner

Dr. Martin Pehnt, Markus Duscha, Dr. Lars-Arvid Brischke, ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg

Dr. Stefan Thomas, Prof. Dr. Manfred Fischedick, Prof. Dr. Peter Hennicke, Dr. Stefan Lechtenböhmer, Wuppertal

Prof. Dr.-Ing. Harald Bradke, Dr. Wolfgang Eichhammer, Barbara Schlomann, Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung, Karlsruhe

Prof. Dr. Eberhard Jochem, ETH Zürich

Prof. Dr. Wolfgang Irrek, Hochschule Ruhr West

Prof. Dr. Ortwin Renn, Universität Stuttgart

Dr. Felix Matthes, Dr. Rainer Grießhammer. Öko-Institut Berlin und Freiburg

Prof. Dr. Claudia Kemfert, DIW Berlin

Prof. Dr. Uwe Leprich, Eva Hauser, Juri Horst, Barbara Dröschel und Patrick Hoffmann, IZES Saarbrücken

Wolfgang Schulz, Bremer Energie Institut

Dr. Joachim Nitsch, Stuttgart

Carsten Petersdorff, Dr. Niklas Höhne, Daniel Becker, Dr. Corinna Kleßmann, Thomas Boermans, Ecofys Germany GmbH

R. Andreas Kraemer, Sascha Müller-Kraenner, Dr. Camilla Bausch, Matthias Duwe, Benjamin Görlach, Ecologic Institut

Dr. Hans-Joachim Ziesing, Berlin

Dieter Seifried, Öquadrat, Freiburg

Rainer Schüle, Energieagentur Regio Freiburg

Thomas Korbun, Dr. Bernd Hirschl, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) GmbH, Berlin



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Bernd Brouns

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