Nur auf ein Eis….

0

Es war warm in Braunschweig. Die Stimmung in den Straßen und auf den Plätzen war gelöst, und ich hatte Appetit auf ein Eis. Ganz in der Nähe gab es ein gehobenes türkisches Delikatessengeschäft mit einem Eis-Straßenverkauf. Während ich langsam auf das Geschäft zuschlenderte, fragte ich mich plötzlich, ob der Ladenbesitzer beim türkischen Verfassungsreferendum wohl für Erdogan gestimmt hat. Immerhin haben viele Deutschtürken für die Abschaffung der türkischen Demokratie und für den Autokraten Erdogan gestimmt. Ich beschloss zu fragen.

Nach der Abgabe meiner Bestellung (Schoko/Vanille) fragte ich die junge Frau, die mich bediente, ob sie gewählt habe. Sie verneinte, und ich fragte weiter, warum nicht. Sie sagte leise: „Mein Vater wollte das nicht“. Das kurze Gespräch war damit beendet.

Beim Eisessen machte ich mir so meine Gedanken, warum ich überhaupt beim Türken, den ich nicht kenne, einkaufe. Warum soll ich bei jemanden einkaufen, der möglicherweise kein Demokrat ist, und dem vor allem die Menschenrechte und die Charta der Vereinten Nationen wurscht sind. Warum beim Türken kaufen, der durch sein Wahlkreuz einen Despoten an die Macht wählt, der die Demokratie zerstört, indem er einfach die Opposition einsperrt, der zigausende Menschen in Einzelhaft nimmt? Alles ohne Gerichtsverfahren. Mit Untersuchungshaft über fünf und zukünftig sieben Jahre. Warum wird so einer, zumal in Deutschland, gewählt? Irgendwie konnte ich mein Eis nicht mehr genießen. Es lief mir geschmolzen an den Fingern runter.

Während ich mit dem Rad nach Hause fuhr kam mir die Bewegung und das Buch „Shopping for a better world“ in den Sinn. Es handelt davon, wie Konsumenten durch bewusstes Konsumverhalten politischen Druck ausüben können. Die Initiatorinnen dieser noch aktiven Bewegung SA 8000, Alice Tepper Marlin, lernte ich später in den USA kennen und mit der Juristin der Bewegung, der US-amerikanische Anwältin für Arbeiterrechte, Dorianne Beyer, saß ich ehrenamtlich viele Jahre im Standardkomitee, des „Sustainable Agriculture Network“ (San Jose – Costa Rica) und der „Rainforest Alliance“ (New York). Oft habe ich mich mit Dorianne über Kaufboykotts unterhalten. Ein schwieriges Thema, zumal auch das Verhalten des eigenen Landes (hier USA und Deutschland) oft Anlass zum Boykott geben kann.

Trotzdem: Ich habe mich entschlossen in Zukunft nur noch bei Türken zu kaufen, von denen ich weiß, dass sie überzeugte Demokraten sind und Erdogan ablehnen. Ein Türkeiurlaub kommt selbstverständlich nicht infrage, auch wenn ich weiß, dass die türkische Reviera gegen die Verfassungsänderung und damit gegen Erdogan gestimmt hat.

Bestärkt wird mein zukünftiges Verhalten durch einen öffentlichen Brief von Dilek Mayatürk Yücel an ihren inhaftierten Mann. In diesem Brief schreibt FrauYücel über ihre Gefühle und den Besuchen bei ihrem Mann, Deniz Yücel, der noch immer in Isolationshaft sitzt. In der Türkei sind fast alle JournalistInnen in Haft oder im Ausland, die nicht konform gehen mit Erdogan. Das Problem ist u. a., dass es nicht möglich ist, gegen diese Rechtsverstöße zu klagen.

Das ist in Deutschland zum Glück anders. Wir können uns durch die Instanzen klagen, sofern wir dazu Lust, Zeit und Geld haben. Ein solcher Prozessmarathon steht nun vielleicht an. Denn es wird gegen die Sperrung der Internetplattform „linksunten.indymedia.org“ durch das Inneministerium“ geklagt. Lesen Sie dazu das Interview: „Dann driften wir in Richtung Diktatur“ mit einem Aktivisten des Netzwerks.

Möchten Sie den Artikel kommentieren

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.