Ausstellung bis zum 10. September 2023 im Braunschweigischen Landesmuseum Hinter Aegidien
Die wunderbar gestaltete Jugendstil-Ausstellung ist nicht nur sehr sehenswert und erkenntnisfördernd, sie ist auch spannend, klug und von den Ausstellungsmacherinnen mit Herzblut kuratiert.
Die Bezeichnung Jugendstil geht zurück auf die Ende 1895 in München gegründete illustrierte Kulturzeitschrift Jugend, mit ihren eleganten und frechen Titelseiten.
Diese Kunstrichtung (die auch Art Noveau oder Fin de Siècle genannt wird) war eine Gegenbewegung junger Künstler und Kunsthandwerker zum rückwärtsgewandten Historismus, aber auch zur als seelenlos verstandenen Industrialisierung.
Bald wurde sie zu einer spielerisch kommerziellen, in vielen Bereichen reklamefokussierten und vor allem die bürgerliche Gesellschaft ansprechenden Kunstrichtung, die dann praktisch unmittelbar mit Beginn des 1. Weltkriegs endete.
Die Ausstellung des Braunschweigischen Landesmuseums erzählt uns durch seine 150 ganz unterschiedlichen Objekte aus Museen, Stiftungen und von Privatpersonen kleine und große, aber immer wichtige Geschichten und sie verbindet das Leben, den Alltag der Menschen mit der Kunst.
Bei der Beschäftigung mit den Objekten kann man es tatsächlich spüren: der Jugendstil ist ein Ausdruck der Kraft, der Phantasien und des Fortschritts in der erwachten bürgerlichen Welt.
Diese Welt des Jugendstil war aber natürlich auch die Hochzeit des europäischen Kolonalismus und die geschichtliche Periode, in der Deutschland zur drittgrößten Kolonialmacht der Welt wurde.
Es gibt in dieser Zeit unglaubliche technologische Sprünge, wie die die Entwicklung des Automobils oder die Elektrifizierung.
Und plötzlich sind sie da – tolle Frauen, starke Frauen, die durch ihre Kreativät, ihre schöpferische und technische Intelligenz mutig ihre Rechte einfordern und gleichberechtigte Mitglieder der (bürgerlichen) Gesellschaft sein wollen.
So ist der Jugendstil auch eine emanzipatorische Kunstbewegung. Im Jugendstil tragen Frauen Hosenanzüge, fahren Fahrrad und Auto. Sie rauchen und sind erotisch selbstbewusst. Aber sie werden sehr oft als gefährliche, schillernde Wesen, als märchenhafte Feen oder furchterregende Furien dargestellt, als bezaubernde Göttinen oder als elegante, konsumierende Werbefiguren.
Doch in der Realität sind sie immer noch das Gegenteil von Gleichberechtigt und müssen sich auch die kleinste Selbständigkeit mühsam erkämpfen.
So führt uns die Ausstellung ernsthaft, aber auch spielerisch hinein in diese Zeit, in der sich die Anfänge unserer heutigen Massengesellschaft entwickeln – und in der die Stellung der Frauen tatsächlich anfing, sich zu verändern.
Hier liegt dann auch der zweite Schwerpunkt – in der kuratorisch-inhaltlichen Einordnung der gezeigten Objekte in den sozial-historischen Kontext und in der Beleuchtung der realen Lebensumstände von Frauen, die um 1900 nach gesellschaftlicher und politischer Teilhabe verlangten.
Wir bewundern die Werke berühmter Künstler wie Gustav Klimt oder Alfred Mucha (seine Büste “La Nature”), wir sehen klassische Jugendstil-Plakate und historische Fotos, kombiniert mit sehr alltagsnahen Objekten – wie beispielsweise einem schicken Nachttopf-Set von Villeroy & Boch oder einem eleganten Damenfahrrad von 1914, das ausschaut, als könne damit sofort losgeradelt werden. Übrigens lebte auch die Kaiserin Sisi in der Blütezeit des Jugendstil (ermordet 1898).
Wir schauen, wir genießen die Ausstellung und finden etwas ganz Besonderes: den gerade aufwendig restaurierten, originalen Jugendstil-Windfang aus dem Wolfenbütteler Fotoatelier von Adolf Herbst in der Langen Herzogstraße.
Es waren die Frauen aus dem wohlhabend und selbstbewusst werdenden Bürgertum, aus der damals entstehenden Mittelschicht, die schließlich begannen, ihre Rechte einzufordern.
Eine “eigene” Ausstellungs-Abteilung im Erdgeschoß: “Von Beruf Künstlerin”, widmet sich einigen dieser bemerkenswerten Persönlichkeiten.
Berühmtheiten wie Theater-Superstar Sarah Bernhardt oder die Braunschweigerin Ricarda Huch, einflußreiche Schriftstellerin und Intellektuelle und eine der ersten promovierten Frauen (Geschichte) überhaupt, sind darunter. Auch weniger berühmte, aber sehr außergewöhnliche und auf ihrem Gebiet herausragende Persönlichkeiten wie die Braunschweiger Fotografin Käthe Buchler können hier entdeckt werden.
In der Ausstellung finden sich zahlreiche digitale und analoge “Mitmach/Medien-Stationen”, die bespielsweise zum Quizzen und Bewerten von Frauendarstellungen im Jugendstil animieren oder die Lebensumstände von Frauen, ihre Forderungen nach Studium, Wahlrecht und gesetzlicher Gleichstellung beleuchten.
Während der Laufzeit der Ausstellung werden unterschiedliche Führungen angeboten, man kann mit dem Fahrrad auf die Spur des Jugensstils in Braunschweig erkunden, kluge Vorträge hören oder ganz unterschiedliche Veranstaltungen mit und ohne Musik besuchen oder an Gesprächsrunden teilnehmen.
Genauere Infos gibt es auf der Website: www.3landesmuseen.de oder Wochentags von 10-17 Uhr unter 0531/1225