Hartz IV – Tricksen beim Kleinrechnen des Existenzminimums

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Foto: DGB/Bartolomiej Pietrzyk

Von Jan Raabe

Sozialleistungen sollten nicht nur das absolute Existenzminimum enthalten. Die Bundesrepublik bezeichnet sich als sozialen Rechtsstaat, die Wirtschaft wird soziale Marktwirtschaft genannt. Sozial bedeutet hier: arme Menschen müssen nicht in Gefängnissen oder Zeltlagern leben, und erhalten nicht nur Wasser und Brot.

Ein Existenzminimum ist schwer festzulegen. Würde es nur aus Wasser und Brot bestehen, würde man davon krank werden. Also wurde in der Anfangszeit Einkommen und Verbrauch der ärmsten zwanzig Prozent der Bevölkerung in Deutschland zum Maßstab genommen. Und dann ging irgendwann das Tricksen los.

Im Jahr 2011 wurde die Bezugsgruppe von der Regierung unter Angela Merkel von den ärmsten 20 auf die ärmsten 15 Prozent der Bevölkerung verkleinert. Eine ärmere Bezugsgruppe bedeutet einen niedrigeren Durchschnitt und senkt so den Hartz-Satz im Jahr 2018 um 13 Euro. [1]

Scham und Unkenntnis

Für den nächste Kürzungs-Trick belässt das Ministerium von Olaf Scholz die „verdeckten Armen“ in der Statistik.

„Verdeckte Arme“ sind Personen, die Anrecht auf Unterstützung hätten, es aber nicht beantragen, weil sie sich schämen oder weil sie es einfach nicht wissen – viele RentnerInnen zum Beispiel, aber auch ArbeitnehmerInnen mit Migrationshintergrund. Dadurch wird der Hartz IV-Satz nochmals um 12,- Euro gesenkt. [1]

Das Arbeitsministerium ‚begründet‘ das mit einem wissenschaftlichen Aufsatz aus dem IAB.

Das IAB ist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dass für die Bundesagentur für Arbeit wissenschaftlich forscht und im Jahr 2013 feststellte [2], dass es schwierig ist, die verdeckte Armut zu erfassen, aber Korrekturrechnungen mit Modellen möglich seien.

Das Arbeitsministerium bleibt bei der Feststellung der Schwierigkeit einfach stehen und lässt die Korrekturrechnungen weg, was den Hartz-Satz so nochmals senkt. [3]

Aber diese beiden Kürzungen sind noch klein im Verhältnis zum dritten Schritt in der Trick-Rechnung. Eis oder Pommes für die Kinder, Weihnachtsbaum oder Schnittblumen, Tierfutter oder chemische Reinigung, Gaststätten oder Übernachtungen – vom Ministerium wird alles abgezogen, was irgendwie nicht zur minimalen Existenz zählt. [3] Einer der größeren Posten dabei: Benzin und Diesel. Von den 632,- Euro für einen Einpersonenhaushalt werden so in diesem Jahr nochmal fast ein Drittel, nämlich 197,- Euro abgesägt. [3]

25 Milliarden bei den Ärmeren gespart?

Prof. Stefan Sell, der bekannte Sozialforscher von der der Universität Koblenz, vermutet eine Kombination von Motiven, um den Hartz-Satz bei 400,- Euro festzunageln.

Neben den enormen Einsparungen von 10 Milliarden Euro im Sozialhaushalt beeinflussen die niedrigen Sätze auch die Steuern bei niedrigen Löhnen: Der Freibetrag für Einkommensteuer lag (2018) bei 9000,- Euro. Würde man den Hartz-Satz an reale Bedarfe anpassen, müsste der Freibetrag auf 11.000,- Euro steigen. Dann müsste das Finanzamt auf nochmal etwa 15 Milliarden Euro Einkommensteuer verzichten. Durch den niedrigen Hartz-Satz sammelt die Regierung bei weniger reichen Bürgern also insgesamt 25 Milliarden Euro extra ein. [1]

Was beabsichtigt Scholz‘ Bürokratie mit der vielen Arbeit, die sie sich mit der Statistik machen? Es kostet Zeit, Arbeit und Geld, diese ‚Sparmaßnahmen‘ heraus zu puzzeln. Werden die negativen Auswirkungen nicht erkannt?

Z.B. wird bei den ärmeren 15 Prozent der Haushalte der Verbrauch von Alkohol abgezogen, dann wird der Alkohol-Anteil herausgerechnet, und dann der Flüssigkeitsanteil in Mineralwasserpreisen wieder dazu gerechnet. Dieses Verfahren ist wohl – anders als die eigentlich notwendige Korrekturrechnung der „verdeckten Armut“ – wohl nicht ‚zu kompliziert‘?

Das Verfahren zur Bedarfsermittlung, wie es seit Jahren praktiziert wird, trägt überhaupt nicht zur Auflösung von Armut bei. Das Hartz IV-System zementiert Armut, wie es der DGB völlig zu Recht feststellt. Es ist nicht nur ungerecht, Hartz IV in dieser Form erschwert die soziale Integration benachteiligter Bevölkerungsteile, und stört damit auch eine positive Wirtschaftsentwicklung in Deutschland insgesamt.

Quellen:

1. MONITOR vom 17.05.2018 Hartz IV: Wie die Bundesregierung die Regelsätze niedrig rechnet https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/hartz-vier-114.html

2. Bruckmeier, Kerstin; Pauser, Johannes; Riphahn, Regina T.; Walwei, Ulrich; Wiemers, Juergen: Mikroanalytische Untersuchung zur Abgrenzung und Struktur von Referenzgruppen für die Ermittlung von Regelbedarfen auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 – Simulationsrechnungen für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Endbericht, 17. Juni 2013, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Nürnberg

3. DGB – 20. Aug 2020 https://www.dgb.de/themen/++co++ebbc85c2-dae8-11ea-9e25-001a4a160123

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