Ein Himmelskonzert als Kammerspiel

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– Zur Aufführung von Stockhausens Helikopter Streichquartett in Braunschweig

Die Ankündigung
Ein Konzert der technischen Superlative: „Vier Helikopter plus Piloten und Tontechnikern, vier Kameras mit vier Sendern in den den Helikoptern und Bodenpersonal, ein Streichquartett, ein Auditorium mit vier Fernsehwänden und vier Lautsprechersäulen und ein Klangregisseur mit Mischpult garantieren ein einzigartiges Klangerlebnis.“ So die reißerische Ankündigung der Veranstalter. Und das alles „vor der imposanten Kulisse des Flughafens Braunschweig-Wolfsburg.“ Dazu die Betonung der Schwierigkeiten, die es kostet, die 4 Streicher zu synchronisieren und die Musik aus den Helikoptern hin zum Mischpult zu senden. So eine Ankündigung erinnert fatal an eine Außenwette von „Wetten-Das“. Entsprechend groß meine Befürchtungen im Vorfeld, nichts als ein Spektakel geboten zu bekommen, bei dem die Meisterung technischer Probleme im Vordergrund stehen würde, die dann zu allem überfluß auch noch zu avantgardistischer Verknüpfung von Mensch, Maschine und Musik hochstilisiert würde.

Das Konzert

Nach einer Einführung von Musikdirektor Weller zum Verhältnis von Mensch zu Maschine werden die 4 Streicher vorgestellt, die kurz darauf zu den im Vorfeld stehenden Helikoptern gehen. Bald nach dem Start der Hubschrauber wird die Tür des Hangars

gehen. Bald nach dem Start der Hubschrauber wird die Tür des Hangars verschlossen, in dem das Publikum Platz genommen hat. Was sich draussen abspielt, ist den Konzertbesuchern nun nur noch auf den Bildschirmen nachvollziehbar.

Was auf den Bildschirmen zu sehen ist, erinnert auf den ersten Blick fast an eine konventionelle Konzertsituation: 4 Musiker in Großaufnahme, von starren Kameras abfilmt und auf 4 großen Bildschirmen wiedergegeben, die dicht nebeneinander in einer Reihe aufgestellt sind, fast so, wie sich ein Streichquartett auch leibhaftig nebeneinander setzen würde.

Sichtbar ist, dass die abgefilmten Musiker –jeder für sich- in einem lichtdurchfluteten engen Gehäuse sitzen. Vom Umstand jedoch, dass es sich hier um die Kabinen von fliegenden Helikoptern handelt, ist kaum etwas mitzukriegen. Keine spektakulären Schwenke der Kameras aus der Kabine in die Tiefe oder die Weite der Landschaft –wie sollte es auch, da Stockhausen ausdrücklich fest installierte Kameras wünschte.

Nur an den Bildrändern wechselt sich der Himmel ab und an mit diffusen Landschafts-fragmenten ab, -ein Eindruck, der gerade hinreichend ist, um dem Betrachter immer wieder ins Bewußtsein zu rücken, dass sich die 4 Gehäuse der Musiker jeweils –jedes für sich und unabhängig von den anderen- in einem nicht näher verortbaren Irgendwo bewegen.

Vier voneinander in ihren Kapseln isolierte Musiker also, örtlich einander nicht zuortbar und somit offensichtlich nicht in unmittelbarer Sicht- und Hörweite: das Gegenteil also der üblichen Konzertsituation, in der die diese Kommunikationmöglichkeiten so notwendig wie selbstverständlich sind.

Seinen musikalischen Beitrag sendet also jeder der Musiker –unfähig, den anderen unmittelbar wahrzunehmen- ins Ungewisse, ohne eine vergewissernde Rückmeldung zu erhalten. ( Die Musiker sind tatsächlich nur über ein ihnen gemeinsam übermitteltes Taktmaß in indirekter Kommunikation miteinander.) Nur dem Zuschauer vor den Bildschirmen –den Musikern gegenüber in einer priviligierten Situation wie ein Versuchsleiter gegenüber seinen Labortieren- vereinen sich die Einzelbeiträge zu einem wundersamerweise stimmigen Ganzen.

Besonders eindrücklich und anrührend wurde dieser Umstand beim Sprechgesang der Musiker: „Eins“ beginnt der eine Musiker, der nächste antwortet mit „zwei“, obwohl er die „eins“ seines Vorredners unmöglich wahrgenommen haben kann, „drei“ fällt ein weiterer ein, der ebenso taub und blind gegenüber seinen Vorsprechern ist und also nicht als eine Hoffnung darauf haben kann, dass sich sein Reden in das der anderen fügt.

Nun mag sich das ganze als etwas arg konzeptionell anhören. Ungefähr 20 Minuten –so lange die Spieldauer des Stücks- müssen dergestalt gefüllt werden, dass am Ende nicht nur verkopfte Langeweile aufkommt. Ich gestehe, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich Stockhausens Streichquartett im Radio bis zum Ende durchgehört hätte. Stockhausens Musik ist aber so eigentümlich und stark, dass sie es jedenfalls unter den besagten eigentümlichen Bedingungen, unter denen sie aufgeführt wurde, mühelos schaffte, meine Aufmerksamkeit ohne weiteres durchgehend und bis zum Ende der Aufführung hin zu fesseln.

Bei den besagten Sprecheinlagen der Musiker wurde besonders deutlich, wie sehr Stockhausens Komposition von dem Kontext abhängt, in den er sie gestellt hat: Eben eine solche Sprecheinlage wurde vor Beginn des eigentlichen Stückes als kurzer Ausschnitt von den leibhaftig im Hangar nebeneinandersitzenden Musiker vorgestellt. Die exaltierte Art und Weise, mit der die Musiker hintereinander Zahlen schrieen, war für mich dort nur befremdlich. Als sich die gleichen Lautäußerungen, aus den isolierten Kapseln heraus getätigt, sich mir als Zuhörer zu einem Ganzen vereinten, rührten sie mich an als tastende Botschaften ins Ungewisse, die ihr Ziel gefunden haben, ohne sich dessen gewiss sein zu können.

Mensch & Maschine?
Wer aufgrund der reisserischen Ankündigungen erwartet hat, dass das Stockhausen-Konzert ein imposantes technisches Spektakel mit spektakulären Verknüpfungen von Mensch, Maschine und Musik bieten würde, muss wohl enttäuscht worden sein. Statt dessen wurde -wenn es nach den Eindrücken geht, die dem Konzertbesucher mittels Kamera übermittelt wurden- ein Kammerspiel gegeben: 20 Minuten lang der Blick auf 4 Personen in klaustrophobisch engen Gehäusen, die monadengleich auf wundersame Weise miteinander kommunizieren.

Wie passt das zusammen mit der Betonung, dass es sich hier um eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Mensch & Maschine“ handelt? Vielleicht so: Die neuen technischen Möglichkeiten machen für jeden die Frage nach der Möglichkeit und Zuverlässigkeit von Informationsübermittlung und das Problem der Abhängigkeit von Gerätschaften, die diese übermittlung leisten sollen, aktuell.

Für einen Menschen, dem Platons Höhlengleichnis in die Knochen gefahren ist, bestehen diese Problem jedoch unabhängig von jeder technischen Entwicklung, seitdem das erste Lebewesen in seinem Bewußtsein ein Konzept davon entwickelte, dass es jenseits seines eigenen ichs weitere Wesen geben könnte, mit denen es Kontakt aufnehmen könnte.

Stockhausens Helikopterstreichquartett also als eindrucksvolle Parabel über den Irrwitz und das Wunder der Möglichkeit, kommunizieren zu können? So habe ich es jedenfalls erlebt.

Aufwand und Umfeld
Es bleibt die Frage, ob das gleiche künstlerische Ergebnis im wesentlichen nicht auch mit ungleich geringeren Mitteln -als pure Videoinstallation mit zusätzlich fingierten Start und Landung der Hubschrauber – erreichbar gewesen wäre. Brauchte es unbedingt des echten Fliegens in den Hubschraubern, brauchte es darüberhinaus der technisch aufwendigen und immensen Probenarbeit erfordende Life-Funkverbindung zwischen Helikoptern und Mischpult im Hangar? Wäre die Wirkung auf das Publikum nicht der gleiche gewesen, wenn man ihm nur erzählt hätte, dass die Tonspuren life aus den Helikoptern übertragen werden, während sie tatsächlich nur eine vorher auf dem Erdboden ungleich billiger produzierte Tonkonserve vorgesetzt bekommen hätten?

Nebenbei bemerkt: vielleicht haben Veranstalter ja tatsächlich so gehandelt. Das, was wir im Publikum gesehen und gehört haben, gibt uns jedenfalls nicht die geringste Gewissheit, dass die Hubschrauber nicht eine Minute nach dem Start hinter der nächsten Ecke wieder gelandet sind und uns auf den Bildschirmen ein im Studio produziertes Video vorgesetzt wurde. So ist das mit den modernen Kommunikationstechniken.

Man wird einwenden, dass Stockhausen einer solchen Aufführungspraxis seines Werkes nicht zugestimmt hätte. Wohl wahr. Aber ein Anlaß ärgerlicher Irritation bleibt es doch, dass man den Verdacht nicht los wird, dass immenser letztlich zum künstlerischen Ergebnis wenig beitragender technischer Aufwand getrieben wird, nur um Aufmerksamkeit über die engen Grenzen der Kunstwelt hinaus zu erlangen.

Besonders bitter wird dieser Verdacht in der besonderen Braunschweiger Situation. Wie bekannt, liebt die Stadt ja mit einem Mal die Kultur so sehr, dass sie -unter Umgehung der dafür zuständigen politischen Gremien- zur Sicherung der Aufführung dieses Streichquartetts ohne weiteres zehntausende Euros bewilligt hat. Keiner, der die katastrophale Kulturpolitik der Stadt in der Aera Hoffmann verfolgt hat, wird Zweifel haben, dass diese plötzliche wundersame Liebe zur Avantgarde ausschließlich daher rührt, dass sich dieses Streichquartett aufgrund seiner eigentümlich Aufführungsmodalitäten als Vehikel zur Werbung für den „Forschungs“-Flughafen mißbrauchen läßt. Die anfangs erwähnte sensationsheischende Werbung für das Werk spricht in dieser Hinsicht Bände.

(Fotos: K. Eckhardt)

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