Die Neue Seidenstraße könnte die USA zur hochgerüsteten Regionalmacht werden lassen

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Hier die historische Seidenstrasse: Graphik Wikipedia

Wolfgang Bittner analysiert den aktuellen Stand dieses größten Wirtschaftsprojekts der Geschichte – „das Deutschland verschlafen hat“:

Namhafte Wirtschaftsanalysten beklagten schon vor mehreren Jahren, dass sich die deutsche Wirtschaft nicht an dem „größten Wachstumsprojekt der neueren Geschichte“ beteiligte: nämlich an dem Bau der Neuen Seidenstraße, auch One Belt, One Road (OBOR) oder Belt and Road Initiative (BRI) genannt.(1) Das hat jedoch erst mit großer Verzögerung in die Berliner Politik Eingang gefunden, nachdem sich die Mitglieder der Shanghai-Cooperation im Juni 2018 in Qingdao/ China getroffen und sich Ihrer Zusammenarbeit versichert haben, insbesondere Wladimir Putin und Xi Jinping. Worum geht es dabei?

Peking und Moskau planen im Rahmen der 2001 gegründeten Shanghai-Cooperation unter Einbeziehung der übrigen BRICS-Länder und weiterer Staaten den Aufbau eines interkontinentalen Infrastruktur-Netzes von China über Wladiwostok und Sibirien bis Moskau und Westeuropa, an das auch Indien, Afrika und der arabische Raum angeschlossen sind.(2) Dazu gehört die verkehrsmäßige und wirtschaftliche Erschließung bisher peripherer Regionen mit ihren Ressourcen.

Gelingt dies, würde unabhängig von den Flugzeugträgern der USA ein gigantischer Binnenmarkt auf der größten zusammenhängenden Landfläche der Welt entstehen, und zwar mit der Folge, dass die Vereinigten Staaten nur noch eine übermäßig hochgerüstete Regionalmacht zwischen Pazifik und Atlantik wären. Von China wurden für dieses Vorhaben, das auch den Ausbau der ursprünglichen Seidenstraße umfasst, mehr als 1.000 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt.

Die USA versuchen, dieses Neue Seidenstraße-Projekt mit allen Mitteln zu hintertreiben, unter anderem durch die allein dem eignen Vorteil dienende Abspaltung Westeuropas von Russland sowie durch die Entziehung von Wirtschaftskraft. Die Sanktionen, unter denen die deutsche Wirtschaft besonders leidet, sind eine von zahlreichen Maßnahmen.

Demgegenüber schlug Italien selbstbewusst einen eigenen Weg ein, indem es als erstes Mitglied der führenden sieben Industriestaaten aus dem von den USA vorgegebenen Boykott des Projekts ausgescherte. Am 23.3.2019 unterzeichneten der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte und der chinesische Präsident Xi Jinping einen Vertrag über die Beteiligung Italiens an dem „Infrastruktur- und Handelsprojekt Neue Seidenstraße“.(3) Einwendungen dagegen erhob im Sinne der USA unverzüglich Außenminister Heiko Maas. Mit scharfen Worten kritisierte er den Alleingang Italiens. China verfolge die eigenen wirtschaftlichen Interessen „global beinhart“, so Maas, und das könne für Italien bald zu einem „bitteren Beigeschmack“ führen.(4)

Außenminister Maas wird sich umorientieren müssen. Nachdem die deutsche Regierung das One-Belt-One-Road-Vorhaben jahrelang verschlafen hat,(5) vertrat Wirtschaftsminister Peter Altmaier Deutschland – in der zweiten Reihe – auf dem „Seidenstraßen-Gipfel“ Ende April 2019 in Peking zu diesem schon längst in der Realisierungsphase befindlichen Megaprojekt. Vertreter aus mehr als hundert Staaten waren angereist, darunter 38 Staats- und Regierungschefs (die USA schickten keinen Vertreter), Verträge über etwa 64 Milliarden Dollar wurden abgeschlossen.

Dem mochte nun selbst der Atlantiker Klaus Kleber im ZDF-heute-journal seinen Respekt nicht versagen. wenn auch zurückhaltend mit den gebotenen („transatlantischen“) Einschränkungen. Der Untertitel lautete: „Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sieht die Neue Seidenstraße zwiegespalten. Zum einen begrüßt er die Investitionen in die Infrastruktur. Zum anderen warnt er aber vor der Gefahr, dass diese Investitionen politische Entscheidungen beeinflussen.“(6) Und während zuvor weitgehend Stillschweigen herrschte, tönte das Für und wider plötzlich von allen Seiten.

In der Süddeutschen Zeitung hieß es: „Kritikerinnen und Kritiker warnen davor, dass finanziell verwundbare Länder in eine Schuldenfalle und wachsende Abhängigkeit von China geraten könnten… Deutschland steht dem chinesischen Prestigeprojekt skeptisch gegenüber – wie auch andere große EU-Staaten. Ein Vorwurf lautet, dass China Sozial-, Umwelt- und Menschenrechtsstandards nicht einhalte. Auch wird kritisiert, es kämen vor allem chinesische Staatsfirmen beim Bau von Brücken oder Straßen zum Zug. Die Initiative, die eigentlich verbinden soll, dürfe keine Einbahnstraße sein, verlangt die deutsche Industrie.“(7)

Wirtschaftsminister Altmaier – von der chinesischen Initiative offensichtlich beeindruckt – hielt sich dennoch bedeckt, forderte China (berechtigt, aber heuchlerisch) auf „internationale Regeln wie Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten“ und rief zu einer „geschossenen Haltung der EU“ auf.(8) Nach jahrelanger Ignoranz wurden auf einmal Forderungen gestellt, Mängel benannt und Standards angemahnt, aber immerhin bewegte sich etwas.

Natürlich ist die Dominanz der Chinesen mit ihrer Überproduktion, für die immer weitere Absatzmärkte benötigt werden, zu berücksichtigen, ebenso der militärisch-strategische Aspekt. Für Russland, das an dem Projekt beteiligt ist, dürfte es nach der Trennung von Westeuropa schwer sein, dem chinesischen Übergewicht standzuhalten. Damit könnte im Osten Russlands eine – von den USA offenbar angestrebte – konfrontative Situation entstehen. Dem müsste eine Neuorientierung der europäischen Politik Rechnung tragen, was jedoch sträflicher Weise nicht geschieht. Insofern steht Wladimir Putin mit dem Rücken zur Wand. Da die Außenpolitik Deutschlands und der EU von Washington mitbestimmt wird, fehlt es an einer eigenen wirtschaftspolitischen Strategie. Das gilt nicht nur für die Beziehungen zu Russland, sondern auch hinsichtlich des Neue-Seidenstraße-Projekts.

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. 2017 erschien von ihm im Westend Verlag das Sachbuch „Die Eroberung Europas durch die USA – eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung“ Soeben erschienen ist im zeitgeist Verlag der Roman „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“.

Quellennachweise

(1) Vgl. Folker Hellmeyer, interviewt von Thorsten Küfner, Der Aktionär, 5.4.2017, http://www.deraktionaer.de/aktie/chinas-mega-projekt—das-groesste-wirtschaftsprogramm-in-der-geschichte-der-menschheit–310350.htm.

(2) Das One-Belt-One-Road-Projekt, jetzt auch “Neue Seidenstraße” genannt, ist bereits seit Jahren unter Wirtschafts- und Finanzanalysten sowie in alternativen Medien im Gespräch. Siehe: Wolfgang Bittner, Die Eroberung Europas durch die USA, Westend, Frankfurt am Main 2017, S. 133 f.

(3) Zeit Online, Italien schließt sich Vertrag zur neuen Seidenstraße an, 23.3.2019, https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-03/italien-china-neue-seidenstrasse-vertrag.

(4) ARD-Tagesschau, Maas warnt vor „bitterem Beigeschmack“, 24.3.2019, https://www.tagesschau.de/inland/maas-china-italien-seidenstrasse-101.html.

(5) Dazu und zum Mangel an Weitsicht bei den europäischen Politikern bereits 2017: Wolfgang Bittner, Die Eroberung Europas durch die USA, S. 133 f.

(6) ZDF-heute-journal, 26.4.2019, https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/heute-journal-vom-26-april-2019-100.html.

(7) Zeit Online, Konferenz zur Seidenstraße endet mit Milliardenverträgen, 27.4.2019, https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-04/neue-seidenstrasse-milliardenabschluesse-gipfel-xi-jinping.

(8) Vgl. Spiegel Online, Altmaier reagiert vorsichtig auf chinesisches Transparenzversprechen, 26.4.2019, https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/seidenstrassen-gipfel-altmaier-reagiert-vorsichtig-auf-chinas-transparenzversprechen-a-1264702.html.

Erstveröffentlichung bei KenFM: https://kenfm.de/die-neue-seidenstrasse/

1 Kommentar

  1. Es ist wirklich auffällig, dass bei der Beurteilung des Projektes in unseren Medien zunehmend die negativen Seiten betont werden. Dass es diese durchaus geben kann, würde ich nicht gänzlich abtun. Dass sie aber oft einfach so behauptet werden, zeigt ein Buchauszug von Jörg Kronauer („China – der Rivale“); der Auszug zeigt sehr überzeugend an verschiedenen Beispielen, dass viele westliche Journalisten es sich bei der Kritik des
    chinesischen Projekts zu einfach machen, indem sie einseitige und nicht selten sogar falsche Informationen in die Welt setzen. Wer sich das selber mal anschauen will: es ist in den Nachdenkseiten vom 3. Mai verlinkt, man findet es unter der Überschrift „Von wegen Kolonialmacht“ unter den „Hinweisen des Tages II“.

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