Die Taktik des Kanzlers ist nicht aufgegangen. Mit der 8-zeiligen Erklärung, er habe mit der Regierung der USA die Stationierung neuer Raketen vereinbart, wollte er es bewenden lassen. Keine Diskussionen im Vorfeld, nicht in der Gesellschaft und nicht im Bundestag. Ab 2026 wird stationiert. Basta. Nun ist aber die Diskussion entbrannt. „Raketenplan macht Deutschen Angst“, stellt die Braunschweiger Zeitung fest. Eine satte Mehrheit in den neuen Bundesländern ist gegen die Stationierung neuer Raketen, die Hälfte der Bevölkerung glaubt, dass die neuen Raketen zur Eskalation führen werden, und spricht sich für eine Volksbefragung aus.
Was erwartet man in dieser Situation von den Medien, vor allem von den öffentlich-rechtlichen, deren Arbeitgeber wir Bürger bekanntlich sind? Man erwartet, dass durch umfassende Informationen klargestellt wird, worum es im Einzelnen geht, und dass Pro- und Contra-Positionen und ihre jeweiligen Argumente dargestellt werden. Ziel wäre, dass jede Bürgerin und jeder Bürger sich eine eigene Meinung bilden kann.
Aber was macht das ZDF?
Das Gegenteil. In der Sendung Heute-Journal vom 13.8. wird ab Minute 2:59 Folgendes behauptet:
„Anders als in den 70ern und 80ern allerdings geht es heute nicht um Hunderte atomar bestückter Langstreckenraketen, sondern um etwas mehr als ein Dutzend konventionell bestückter Mittelstreckenraketen.“
Das mit den Langstreckenraketen ist Unsinn, in beiden Fällen geht es um Mittelstreckenraketen (500 bis 5000 Kilometer Reichweite). Und um den Zuschauer gar nicht erst zum Nachdenken kommen zu lassen, erscheint nun ein Militärhistoriker, der in dieselbe Kerbe haut:
„Im NATO-Doppelbeschluss waren 400 Cruiser Missiles und Pershing II stationiert, hier reden wir über drei Handvoll. Eigentlich ist es mehr ein politisches Signal: Wir lassen nicht alles mit uns machen, wir sind bereit, auch Euch zu bedrohen.
Aber es ist meines Erachtens keine militärische Eskalation.“
Also: es geht es um „etwas mehr als ein Dutzend Raketen“ oder um „drei Handvoll“, also so gut wie nichts. Stellt Euch nicht so an! Das ist mit der Stationierung von Raketen in den 80er Jahren, gegen die Hunderttausende demonstrierten, überhaupt nicht zu vergleichen. (Das ZDF ist damals übrigens nicht eben mit einer kritischen Haltung zur Stationierung aufgefallen.)
Schön wärs ja, aber es stimmt nicht. Das ZDF täuscht die Zuschauer gleich in mehrfacher Hinsicht.
Um das zu beweisen, greifen wir auf die Studie von Oberst a. D. Richter zurück, über die wir bereits berichtet haben (Oberst a. D. Richter: Stationierung neuer Raketen, 6. August 2024). Richter stellt zunächst fest, dass die 8-Zeilen-Erklärung die geplante Zahl der Raketen gar nicht nennt. Weder das ZDF noch der Militärhistoriker können sie also kennen! Kanzler Scholz hat auf jede Begrenzung ebenso verzichtet wie auf eine Bestimmung, nach der die Waffen der USA nur mit deutscher Zustimmung eingesetzt werden können; sie haben freie Hand und müssen nicht einmal die NATO einschalten (von der ist in der gemeinsamen Erklärung denn auch nicht die Rede). Weiter sagt Richter, dass die Zahl der zu stationierenden Feuereinheiten derzeit gar nicht zuverlässig eingeschätzt werden kann.
Er selber versucht die denkbare Größenordnung zu umreißen. Sollte entsprechendes Bataillon über drei oder vier Batterien verfügen (eine durchaus gängige Zahl), wären in einer Angriffssalve 40 – 48 Raketen abzufeuern, jede Nachladung würde die Zahl entsprechend vervielfachen. Die Überschallraketen „Dark Eagle“ mit einer Reichweite von 2.800 Kilometern können auf einer variablen Flugbahn und einem Sprengkopf hoher Explosivität jedes Ziel präzise ansteuern. Eine Batterie mit 4 LKW-Hängern kann bis zu acht solcher Raketen gleichzeitig starten und mehrmals nachladen. Das Typhon-System mit einer Reichweite von 1.700 bis 2.500 Kilometern weist gegenüber älteren Modellen mehrere starke Leistungssteigerungen auf. Es ist auf Container-Hängern montiert. Die von Richter nach bisherigen Erfahrungen vermutete wahrscheinliche Zusammensetzung der Truppe in Wiesbaden könnte den gleichzeitigen Abschuss von 48 – 72 Raketen leisten. Und dann nachladen.
Ein instabiler steter Alarmzustand würde die Folge sein
Ein Teil der Raketen ist überdies atomar bestückbar. Das ist aber gar nicht der wesentliche Punkt. Die neuen Raketen haben eine sehr kurze Vorwarnzeit, besonders natürlich die Überschallraketen; sie sind sehr zielsicher und können Kommandostellen oder sogar Langstreckenraketen oder Radaranlagen ausschalten, natürlich auch politische Enscheidungszentren. Sie haben gegenüber den zahlreichen See- und luftgestützten Systemen, über die die NATO schon längst verfügt, den Vorteil, dass die Startvorbereitungen verdeckt und kurzfristig erfolgen können, anders als bei den Schiffen und Flugzeugen, die über solche Raketen verfügen, die meistens sichtbare, größere operative Bewegungen brauchen, um sich eine günstige Startposition zu verschaffen. Nach Richter wird ein „instabiler steter Alarmzustand“ in Russland die Folge sein, der dort leicht zu Fehleinschätzungen und Kurzschlussreaktionen führen könne. Dann aber würden nun im Konfliktfall Deutschland und nicht die USA zu einem zentralen und vorrangigen Ziel für russische Raketenangriffe.
Deutschland habe sich mit der Entscheidung für die Stationierung sehr stark „an die USA gekettet“. Und anders als bei den Stationierung der Mittelstreckenraketen 1982, die sich auf vier europäische Länder erstreckten, soll nun alles in Deutschland allein stationiert werden.
Militärexperte gegen Militärhistoriker
Oberst a. D. Richter ist nun wirklich ein Experte, die über ein fundamentales Fachwissen und jahrzehntelange Erfahrungen verfügt. Kein Wunder, dass das ZDF lieber auf einen Militärhistoriker zurückgreift, der die „richtige Haltung“ hat und keine Skrupel hat, ins Blaue hinein das Argument der militärischen Eskalation abzutun.
Das ZDF sieht seine Aufgabe offenbar darin, die Entscheidung der Regierung absichern. Es setzt dabei auf den unmündigen Bürger, der das Raketenmärchen glaubt und nicht überprüft. Wenn es sich da mal nicht täuscht… Schließlich ist die Taktik des Kanzlers auch nicht aufgegangen. Und ob der Hinweis in der jüngsten Erklärung des SPD-Vorstandes, die Raketen würden im Westen Deutschlands stationiert (also nicht im Osten, wo die große Mehrheit dagegen ist), da wirklich hilfreich ist, darf bezweifelt werden.
Das zeigt ja in aller Klarheit, dass auch SPD und DIE GRÜNEN bzw. ihre regierenden Vertreter, inzwischen das Grundprinzip demokratischer Willensbildung aufgegeben haben: Das Volk muss durch Propaganda willig gemacht werden, die Entscheidungen der Regierenden zu akzeptieren. Die Medien sind Erfüllungsgehilfen der Regierung.
Ich nehme gerne ihren ersten Kommentar auf: „Nicht alles ist so wie es scheint…“
„André Bodemann, seines Zeichens Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, hatte bei der Vorstellung des sogenannten „Operationsplans Deutschland“ öffentlich behauptet, „Putin hat gesagt, dass er das alte Gebiet der Sowjetunion wiederherstellen möchte“. Er nutzte dieses angebliche Putin-Zitat im weiteren Verlauf als Begründung für die nötige Aufrüstung von NATO und Bundeswehr. Die NachDenkSeiten hatten dazu Anfang Juli auf der Bundespressekonferenz nach Quellenbelegen gefragt und der Sprecher des Verteidigungsministers erklärte, er hätte dies in den „Raunereien von Putin“ gehört. Jetzt liegt eine offizielle Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage eines Bundestagsabgeordneten vor. Diese lässt einen der ranghöchsten deutschen Generäle als Lügner dastehen.“ Von Florian Warweg.
Leider ist es nicht so, dass die Bundeswehrgeneralität im Dienstgeschäft ständig die Wahrheit sagt. Diese Falschaussage, die seit Wochen immer wieder öffentlich im Raum steht, ist nur eines der Beispiele, wie immer wieder mit Falschaussagen die Propaganda betrieben wird.
Insofern ist die Aussage von T online nicht als Argument hinsichtlich der Wiederbewaffung zu verstehen sondern als ein möglicher Hinweis, dass es auch ganz anders sein könnte. Zum Glück hat das Ministerium es richtig gestellt; aber auch erst nach Einspruch durch die „Nachdenkseiten“.
Nicht alles ist so wie es scheint…
Geheimdokumente über Putins Atompläne
„Putin scheint bereit, die Eskalationsleiter hochzuklettern“
https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_100469248/russland-geheimdokumente-zeigen-angriffsziele-fuer-atomwaffen-in-europa.html
> Der Nutzen von US-Waffen auf deutschem Boden
>
> Hier kommen die ab 2026 stationierten US-Waffen ins Spiel.
> Diese „verkomplizieren“ Putins Pläne nämlich, […] , dass
> es in Europa derzeit eine Fähigkeitslücke bei
> Mittelstreckenraketen gebe. „Sobald die US-Waffen in
> Deutschland stationiert sind, wird der Kreml zweimal
> überlegen müssen, ob er tatsächlich präventiv zuschlagen
> will.“
>
> Aber auch die US-Waffen in Deutschland würden wohl
> grundlegend nichts an den möglichen Angriffszielen
> Russlands verändern.
Andere Ziele sind trotzdem schon ausgemacht…
Dass man es zulässt, dass US-Waffen* in Deutschland stationiert werden, wird einen Grund haben, den manche nicht erkennen.
Natürlich werden nur US-Waffen in amerikanischen Kasernen deponiert und nicht im Osten, wie eine neue Partei versucht zu suggerieren.
Auch nach der US-Wahl am 01.November wird es (noch mehr) nötig sein amerikanische Unterstützung zu bekommen, wohl eher behalten zu dürfen.
Mit dem Rüstungskonzern RHEINMETALL ist Deutschland DER große Ausrüster für die staatlichen Auseinandersetzungen.
Nicht nur das ZDF bereitet die deutsche Bevölkerung auf höhere Militärausgaben vor, auch andere Medien sind schon länger dabei zu erklären, dass es nichts mehr so ist, wie es früher war.
*Marschflugkörper vom Typ Tomahawk sowie Raketen des Typs SM-6, die zur Flugabwehr, aber auch zur Bekämpfung von Bodenzielen eingesetzt werden können.
Lieber „Braunschweiger“,
die von Ihnen zitierten „Geheimdokumente über Putins atomare Pläne“ stammen aus den Jahren 2008 bis 2014; ob es Pläne eines ranghohen russischen Militärs sind oder „eher eine Art Fingerübung für einen Mitarbeiter“, ist laut t-online unklar; seltsam auch, dass auch Ziele in China, Japan Nord- und Südkorea oder Iran aufgeführt sind. Dass auch Ziele genannt werden, die militärisch bedeutungslos sind, scheint doch eher auf „Fingerübung“ hinzudeuten.
Der von T-online befragte Sicherheitsexperte geht davon aus, dass es ähnliche Pläne (oder Fingerübungen) auch seitens der NATO gibt. Das ist ja der Sinn der Abschreckung, dass man den erwarteten Gegner ins Visier nimmt, um ihn davon abzuhalten, einen Erstschlag zu machen.
Die von Ihnen angesprochene „Fähigkeitslücke“ gibt es nicht: der Sicherheitsexperte Oberst a. D. Richter führt dazu aus: „Die NATO-Partner verfügen jedenfalls über ein breites Arsenal von Luft- und seegestützten Wirkmitteln sowie landgestützte Kurzstreckenraketen.“ Und er stellt weiter fest: „Generell sind die Luft und Seestreitkräfte der NATO denen Russlands qualitativ und quantitativ deutlich überlegen.“ (siehe Artikel mit Quellenangabe im Braunschweig-Spiegel). Ihr weiser Satz, dass nicht alles so ist wie es scheint, ist hier wirklich passend. Das hindert aber Minister Pistorius nicht daran, den Schein einer Fähigkeitslücke weiter als Realität vorzugaukeln.
Dass Sie bei der Aufzählung der neuen Raketen, die in Deutschland an 2026 geplant wird, ausgerechnet die Hyperschallwaffen mit einer Reichweite von 2.800 km vergessen, ist vielleicht nur ein Zufall. Jedenfalls haben diese Waffen eine extrem kurze Vorwarnzeit und sind in der Lage, das Abschreckungsgleichgewicht zu kippen; und die Testphase dieser Waffen ist sehr weit fortgeschritten.