DENK-MAL: Andacht vor St. Magni – „Die Vergangenheit ist Gegenwärtig“

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Der Rufer
„Der Rufer“ (Bodo Kampmann) am Giebel der Magnikirche. Er ruft die Menschen, damit ihr Gehör geweckt wird und niemals vergessen wird, was da geschehen ist. Der Rufer mit der Posaune mahnt, im Bewusstsein festzuhalten: Menschen, die mit aller Macht und Gewalt, die sie aufzubringen vermochten, das Geschick des Menschen, ja der Menschheit, nach eigenen Vorstellungen formen und zwingen wollten, sind in die katastrophale Irre gegangen und haben Schrecken und Tod über die Menschen, über Stadt und Land gebracht. Der Mensch hat sich in seiner Freiheit am Menschen vergriffen, hat im Wahn vermeintlichen Fortschritts die Menschlichkeit mit Füßen getreten und Tod und Asche hinterlassen. Der Rufer mahnt, auf das zu hören, was zur Menschlichkeit gehört. Foto: Uwe Meier

Der Rufer von Bodo Kampmann. Bezogen wird das mahnende Rufen des Engels auf den Zweiten Weltkrieg und die Zerstörung Braunschweigs. Der Engel mahnt zur Menschlichkeit.

DENK-MAL: Andacht vor St. Magni – „Die Vergangenheit ist Gegenwärtig“

In der Andacht-Reihe „Denk-Mal“ der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Braunschweig, fand am Sonntag den 16. August 2009 die Andacht auf dem Platz vor der Magnikirche statt.

Andacht Magnikirche

Etwa 100 Menschen gedachten den mutigen Widerstandskämpfern und ermordeten Deserteuren aus der Nazidiktatur und speziell Hermann Bode, dem Braunschweiger Widerstandskämpfer. Den musikalischen Rahmen gestalteten Anna Maria Glöckner, Querflöte und Annika Rahaus, Bratsche (Bild unten). Es sprachen Pastor Albrecht Fay, Harald Welge (unten links), Helmut Kramer, Landesbischof Prof. Friedrich Weber und der Pastor von St. Magni Henning Böger.

Musikalisches Rahmenprogramm

Pastor WelgePastor Fay

Zunächst erinnerte Pastor Fay an das in den Neunziger Jahren von einer Bürgerinitiative errichtete Denkmal für die Deserteure an der Magnikirche, das nach einem Zerstörungsversuch gestohlen wurde. Er hob hervor, dass die Braunschweiger Zeitung diese Straftat mit vermutlich politischem Hintergrund damals nicht berichten wollte. Nun befindet sich an der Stelle eine Bodenplatte von Reiner Scheer auf kirchlichem Grund und nicht auf städtischem, weil der Staat bis heute Probleme mit Deserteuren habe – so auch mit politischen Widerstandskämpfern gegen das Naziregime.

Helmut Kramer

Das Wort zum Ort sprach Helmut Kramer. Gerade weil der Widerstandskämpfer („Kriegsverräter“) Hermann Bode zu den „kleinen Leuten“ zählte und auch über ihn das Denkmal des Deserteurs in Braunschweig definiert wird, ging Helmut Kramer auf den Widerstand der „Kleinen“ und der „Eliten“ in seiner Ansprache besonders ein, indem er unter anderem von „verzögerte Moral“ der „Eliten“ sprach. So werden die Verschwörer vom 20. Juli jährlich mit Staatsakt und Ritualen geehrt (angeordnete Offizialtrauer), die mutige Tat des „kleinen Mannes“ zählt bisher nicht, diese werde seit 60 Jahren hart ausgeblendet. So gelte das Sprengstoffattentat auf Hitler von Georg Elsner im Münchener Bürgerbräukeller 1939 bis vor wenigen Jahren noch als kriminell.

Kramer: „Welches Menschenbild und Staatsverständnis verbirgt sich hinter der Geringschätzung der Resistenz der „kleinen Leute“, auch der kleineren Verweigerungsformen im Alltag des Nationalsozialismus? Es ist das tradierte bürgerliche Gesellschaftsmodell, in dem für die unteren Schichten kein Platz für politische Mitwirkung und Mitgestaltung ist. Indem man aber die Herrschaft in der Gesellschaft und sogar das Recht zur Opposition selbst gegen ein Unrechtsregime allein den Eliten zugesteht, spricht man dem widerständigen Bürger die Eignung ab, uns ein Vorbild zu sein.“

Im Übrigen, so Kramer weiter, seien die meisten Bundestagsabgeordneten Kriegsdienstverweigerer -in der Regel aus Gewissensgründen; sie hätten jedoch keine Skrupel die jungen Männer heute an die Front ins ehemalige Jugoslawien oder nach Afghanistan zu schicken. Ansprache von Helmut Kramer (PDF)

Deutliche Worte fand Landesbischof Weber in seiner Predigt.

Er betonte: Wenn der Zweck des staatlichen Handelns nicht mehr darin bestehe, den Menschen ein Leben in Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden zu ermöglichen, sei Widerstand auch eine Pflicht. Widerstand im Nationalsozialismus hätten nicht sehr viele Theologen geleistet, und die, die Widerstand geleistet und überlebt hätten, hätten es auch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik nicht einfach gehabt, auch nicht in Braunschweig.

Der Landesbischof erinnerte ebenfalls daran, dass nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus den 60er Jahren im Grunde nur den sog. „Eliten“ Widerstand gegen politische Verhältnisse zugestanden hätte. „Kleine Leute“ hätten kein Recht dazu, denn sie könnten nicht erkennen, ob der Krieg gerecht sei, so das Gericht damals.

Nicht überlebt, weil im KZ ermordet, hat der protestantische Theologe Dietrich Bonhöffer, an den der Landesbischof mit dem berühmten Zitat von Niemöller erinnerte: „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie die Sozialisten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialist. Als sie die Juden einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, konnt keiner mehr protestieren.“

Alle Fotos von Uwe Meier

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