Als wäre es gestern – 110 Jahre 1. Weltkrieg

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Von Ute Lampe

Eine Veranstaltung der besonderen Art fand am Sonntag im Kufa-Haus statt. Zehn Protagonisten lasen in wechselnden Rollen Texte aus der Zeit vor und während des 1. Weltkrieges – mit Bezug zu Braunschweig. Im Mittelpunkt stand die arbeitende Bevölkerung als unverzichtbares „Verwertungsmaterial“ für die fortschreitende Industrialisierung und Aufrüstung und als „Kanonenfutter“ für den Krieg. Wobei sich große Teile der Arbeiterbewegung gegen den Krieg positionierten und in Braunschweig durchaus schlagkräftig organisiert waren.

Als Quellen dienten in der Hauptsache Aussagen und die Materialsammlung des Zeitzeugen Robert Gehrke sowie Inhalte aus Buchveröffentlichungen bis in die Gegenwart.

Mit den Worten, dass Kriege nicht ausbrechen, sondern gemacht werden, wurde die Veranstaltung eingeleitet. Die ausgewählten Texte zeigten eindrucksvoll, dass die Staaten Europas nicht – wie bis heute häufig noch behauptet – in den 1. Weltkrieg geschlittert sind, sondern dass der Krieg interessengeleitet war.

Dass die herrschende Klasse die arbeitende Bevölkerung als Bedrohung und schon gar nicht als gleichwertig ansahen, bezeugt ein martialisches Zitat von Kaiser Wilhelm angesichts des blutig niedergeworfenen Arbeiteraufstandes in Moskau 1905: „Erst die Sozialisten abschießen, köpfen und unschädlich machen – wenn nötig per Blutbad – und dann Krieg nach außen.“

Der Volksfreund kritisiert bereits am 8. Dezember 1907: „…, dass der „bewaffnete Frieden“ zu einer unerträglichen Plage geworden ist!“

Die Gewerkschaften hatten die Position der „politischen Neutralität“ eingenommen und damit nicht nur auf den Klassenkampf verzichtet sondern auch auf die Mobilisierung der Masse ihrer Mitglieder für den Frieden und die Verteidigung sozialer Rechte.

So schwor 1912 der Braunschweig Anzeiger die Leser*innen mit folgenden Zeilen ein: „Seit 22 Jahren (…) hat es im Auslande zum guten Ton gehört, uns als Störenfriede hinzustellen. Während dem aber haben alle Völker daran gedacht, sich ihr Stück bei der Verteilung der Welt zu sichern.“ Und weiter „Frankreich ist ein Volk unter Waffen geworden, es hat den Willen zum Siege. Da dürfen wir nicht nachstehen, sondern auch zeigen, dass wir siegen wollen.“

Auf dem internationalen Sozialisten-Kongress 1912 in Basel sahen die Delegierten die Gefahr eines möglichen Krieges aufkommen. In ihrem dort verabschiedeten Manifest heißt es u.a.: „Es wäre Wahnwitz, wenn die Regierungen nicht begreifen würden, dass schon der bloße Gedanke der Ungeheuerlichkeit eines Weltkrieges die Entrüstung und Empörung der Arbeiterklasse hervorrufen muss. Die Proletarier empfinden es als Verbrechen, aufeinander zu schießen, zum Vorteile des Profits der Kapitalisten, des Ehrgeizes der Dynastien oder zu höherer Ehre diplomatischer Geheimverträge.“

Mit dem Deutscher Wehrverein e.V. organisierte sich 1912 die Rüstungslobby. Dazu wurde ein Zitat von Generalleutnant Alfred Wrochem aus dem Braunschweigische Anzeigen vom 23. November 1912 vorgelesen: „Ein vorwärtsstrebendes Volk wie wir, dass sich so entwickelt, braucht Neuland für seinen Kräfte, und wenn der Friede das nicht bringt, so bleibt schließlich nur der Krieg. Dieses Erkennen zu wecken, sei der Wehrverein berufen.“

Auch die Jugend wurde ins Visier genommen. Am 17. September 1912 war im Volksfreund zu lesen: „Auf Verfügung Johann Albrechts fällt heute der Unterricht in den Braunschweiger Schulen aus, um den Kindern Gelegenheit zur Teilnahme an dem Manöver zu geben. (…)“ und weiter „Wir wollen aber nicht vergessen, dass der Zweck der Übung ist, die Jugend mit Begeisterung für den Militarismus und kriegerisches Wesen zu erfüllen. Arbeitereltern sollten aber nie vergessen, ihre Kinder darauf aufmerksam zu machen, dass die Manöver und der ganze militaristische Rummel der Vorbereitung zum Krieg dienen, ein Krieg aber das furchtbarste aller denkbaren Verbrechen ist. …Sorgt dafür, dass eure Kinder keine gedankenlosen blöden Hurraschreier werden, …“

Nach dem Attentat in Sarajevo wurde im Juli 1914 auf einer im Konzerthaus abgehaltenen Volksversammlung eine Resolution verabschiedet, die von einer Protestversammlung am Hagenmarkt angenommen wurde. Im Volksfreund ist dazu am 29. Juli zu lesen: „Die am 28. Juli im Konzerthaus abgehaltene Volksversammlung brandmarkt den österreichischen Überfall auf Serbien als frivoles Verbrechen an Europa und an der Menschlichkeit; mit ein wenig Verstand und Gerechtigkeit hätte sich ein anderer Ausweg aus dem Konflikt finden lassen.“ Im Juli 1914 folgten weitere landesweite Demonstrationen mit fast einer halben Millionen Kriegsgegnern.

Doch mit dem sogenannten „Burgfrieden“ zwischen den Gewerkschaftsfunktionären und der sozialdemokratischen Partei wurde den Kriegskrediten am 4. August 1914 zugestimmt und damit parlamentarische Unterstützung und die Finanzierung des Krieges gesichert.

Ein Zitat von Karl Liebknecht aus seinem Flugblatt vom Mai 1915 brachte es auf den Punkt: „Der Hauptfeind jedes Volkes steht in seinem eigenen Land!“

Die Entscheidungen der Obrigkeit wurden allerdings auch in Braunschweig nicht widerstandslos hingenommen. Zum Beispiel legten am 1. Mai 1916 Jugendliche die Arbeit nieder und versammelten sich zum Streik. Hintergrund war ein verordneter Einzug eines Teils ihres Lohns im Rahmen eines Sparzwangs. Geld, dass der Finanzierung des Krieges dienen sollte. Trotz tätlichen Polizeieinsatzes wurde der Streik fortgesetzt und über öffentliche Versammlungen auf die Straße getragen. Aufgrund des anhaltenden Widerstandes nahm das Generalkommando des damaligen Armeekorps am 6. Mai 1916 die Verordnung wieder zurück.

Weitere Streiks der Braunschweiger Arbeiterschaft fanden u.a. im Juni 1916 aufgrund der Inhaftierung und möglichen Verurteilung Karl Liebknechts statt sowie im Rahmen des Generalstreiks „Friede! Brot! Freiheit!“ im Sommer 1917 zur Beendigung des Krieges.

Es war eine kurzweiliger und sehr informative Veranstaltung. Die Text waren feinsinnig ausgewählt und mit Bildern, Filmmaterial und Musik umrahmt.

Veranstalter: DKP Braunschweig, SDAJ Braunschweig und VVN-BdA Braunschweig sowie IPPNW Regionalgruppe Braunschweig

Das Script zur Veranstaltung mit allen Texten und vielen Bild-Dokumenten von Werner Hensel ist hier dokumentiert.

2 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen ausführlichen Beitrag! Das Script gehört in den Geschichtsunterricht unserer Schulen! Soviel Wissen sollte zum Bildungsauftrag gehören, damit die Menschheit nicht wieder in einen Krieg „schlittert“. Wir befinden uns leider schon auf dem Weg. Toll finde ich, dass bei der Veranstaltung eine Hutkasse herumgereicht wurde für die Friedensfahrt nach Berlin am 3.Oktober als Sponsoring für diejenigen, die sich 50€ nicht leisten können.
    Die Revolution von 1918 nach dem ersten Weltkrieg hat für uns ja nachhaltige Fortschritte erzielt. Jetzt wäre allerdings eine Revolution vor dem nächsten Krieg sinnvoll unter der Maxime „Nieder mit den Waffen!“ Auf zur Friedensdemo am 3.Oktober nach Berlin!

  2. Kleine Ergänzung: Auf der oben genannten Veranstaltung wurde am Ende für die Friedensdemo am 03. Oktober 2024 in Berlin geworben und eine Unterstützung für den Bus des Friedenszentrums von 300.-€ gesammelt.
    Gruß
    Jürgen Reuter, Teilnehmer

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