„Haltungsjournalismus“ unterhöhlt die Demokratie – jeden Tag! Ein Beispiel aus den USA.

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Foto: pixabay

Eigentlich erscheint alles ganz einfach: die Bürgerinnen und Bürger sollen die entscheidende Kraft sein in der Demokratie. Damit sie sich zu den verschiedenen politischen Fragen eine eigene Meinung bilden können und zu Wahlen eine klare Entscheidung treffen können, müssen sie sich frei informieren können. Und die Medien haben die Aufgabe, sie nach bestem Wissen zu informieren. Dazu sollen sie ohne Vorurteile recherchieren, die Informationen sachlich, vollständig und unabhängig von der eigenen Meinung darbieten. Die eigene Meinung der Journalisten kann durchaus auch angeboten werden, um dem Mediennutzer die eigene Meinungsbildung zu erleichtern: er kann (innerlich) der Meinung des Journalisten widersprechen oder er kann ihm ganz oder teilweise zustimmen. Nur: die eigene Meinung des Journalisten muss klar als solche erkennbar sein, und sie darf nicht mit der sachlichen Information vermengt werden. Der Grundsatz „Trennung von Nachricht und Kommentar“ ist elementar.

Informationen über Bidens Zustand zurückgehalten, um „nicht Trump in die Hände zu spielen“

So weit alles – scheinbar – ganz einfach. Ein prominentes Beispiel zeigt aber, dass sich im Journalismus etwas eingeschlichen und ziemlich breit gemacht hat, das alles zerstören kann. Das Beispiel stammt aus den USA und handelt von der Darstellung Joe Bidens. Anstatt die Anzeichen von geistigem und körperlichem Verfall, die Biden nicht erst seit einigen Monaten zeigt, zu registrieren, ihnen durch systematische Recherche nachzugehen und sie öffentlich darzustellen, um die Frage aufzuwerfen, ob die Weltmacht Nr.1 sich das Risiko eines unzulänglichen Präsidenten leisten kann, hat ein bemerkenswerter Teil der Medien seine Aufgabe darin gesehen, genau dies nicht zu tun. Statt dessen wurde sogar über den Sonderermittler Robert Hur hergezogen, der zu dem Ergebnis kam, Joe Biden sei ein „wohlmeinender älterer Herr mit Gedächtnislücken“. Statt dessen wurden die Darstellungen des Verfalls Bidens durch verschiedene Journalisten als rechte Verschwörungstheorien abgetan. Als das „Wall Street Journal“ einen Artikel über Biden „Anzeichen des Niedergangs“ veröffentlichte, wurde ihm von der „Columbia Journalism Review“ und vielen anderen vorgeworfen, das „Wall Street Journal“ spiele mit „rechten Erzählungen“ nur Trump in die Hände. Und das geschah noch im Juni 2024!

Statt neutraler, möglichst objektiver Information – „Haltung zeigen“

Was war passiert? Man ging von der eigenen politischen Haltung aus („Trump muss verhindert werden“), ließ Informationen über die Probleme Biden systematisch unter den Tisch fallen und fiel über diejenigen her, die bei diesem Spiel nicht mitmachten. Mit freier Information hatte das nichts mehr zu tun. Die Haltung lässt sich so beschreiben: Der Journalist weiß angeblich, was richtig und gut ist, deshalb reguliert er die Informationen so, dass das gewünschte Ergebnis herauskommt. Offenbar hält er sich für dem Leser bzw. Nutzer meilenweit überlegen, der die eine oder andere Information „falsch verstehen“ könnte. Man traut ihm schlicht nicht zu, sich wirklich eine eigene Meinung zu bilden. Dabei ist das Weglassen von Informationen eines der bevorzugten Mittel. Wenn das viele Medien oder gar fast alle tun, wird es den Bürgerinnen und Bürgern unmöglich, sich ein eigenes Urteil zu bilden und in diesem Fall eine Gefahr für das Gemeinwesen überhaupt zu erkennen. Das erinnert fatal an die Geschichte vom nackten Kaiser, dem alle Würdenträger und schließlich sogar das ganze Volk wegen seiner „feinen Kleidung“ huldigten – nur ein Kind sprach die Wahrheit aus: der ist ja nackt!

In diesem Fall gab es immerhin den Herausforderer Trump, der genüßlich die Defizite Biden herausarbeitete, außerdem konnte sich jeder anhand verschiedner Bilder über Bidens Unzulänglichkeiten hier und da einen Eindruck verschaffen, und nicht alle Medien hatten dieselbe Haltung wie die großen liberalen US-Medien. Und immerhin gibt es inzwischen in den USA eine gewisse öffentliche Diskussion darüber, dass viele Medien versagt haben; die New York Times gestand unter der Überschrift „Die Verschwörung des Schweigens zum Schutz von Joe Biden“, dass ihr schon seit Januar Informationen zur Verfügung standen, nach denen fraglich sei, ob Biden es noch vier weitere Jahre schaffen würde – „oder auch bloß noch bis zum Wahltag“. Sie gab also öffentlich zu, dass sie diese Informationen für ein halbes Jahr unterem Deckel gehalten hatte.

Haltungsjournalismus verhindert die Korrektur gefährlicher Entwicklungen

Heute geben die betreffenden amerikanischen Medien zu, dass ihr Verhalten der Demokratie geschadet hat (und im Übrigen auch der Partei der Demokraten, die auf ein rechtzeitiges Umsteuern verzichten zu können glaubte). Die Website „The Hill“ schreibt: „Die Geschichte des offenkundigen Abbaus des Präsidenten hätte ein Schlüsselstück der Nachrichtenberichterstattung des vergangenen Jahres sein müssen!“ Aber anstatt auf die gefährliche Fehlentwicklung hinzuweisen wurde sie nach Kräften verschwiegen und so eine Korrektur erschwert. Erst als jeder Amerikaner bei der TV-Debatte zwischen Biden und Trump das Desaster selbst feststellen musste, als die Realität sich also nicht mehr verschweigen ließ, setzten die Korrekturbestrebungen ein. Im Umkehrschluss bedeutet das: wenn fast alle Medien dem Haltungsjournalismus verfallen sind und wenn sie sich in einer politischen Frage einig sind, schaffen sie es, dem Volk etwa vorzugaukeln, das mit der Realität nichts mehr zu tun hat. Von durchdachten demokratischen Entscheidungen kann dann nicht mehr die Rede sein.

Quelle: FAZ,22. Juli 2024

3 Kommentare

  1. Wie es in Gasa aussieht, zeigt al Jazeera.
    Auch ohne Ton – die zerbombte Haeuserlandschaft weckt schon leise Zweifel an der „Verteidigung Israels gegen den Terror“.
    Die Polio-Kinder im Krankenhaus muss man gar nicht sehen.

    Die derzeitige Wahlberichterstattung ueber Venezuela ist ein anderes Thema: maskierte bewaffnete Demonstranten reissen Chavez-Statuen um.

    Was wuerde in Braunschweig passieren, wenn ich hier
    (vor’m Schloss 😉 Statuen umsaegen wuerde?
    Es wird viele hierzulande wundern (in der Presse, in der Politik),
    aber in Venezuela gibt es dafuer Traenengas.

    (Hier gaebe es Blumen und Bier von der Polizei; die G20-Proteste
    waren nur Fake-News 😉
    Leute, die behaupten, die dortigen Wahlen waeren gestolen, hatten wir auch schon im Fernsehen.
    Unsere Medien werden den Trump-Anhaengern bereitwillig zur Seite springen, sollten in den USA die Demokraten gewinnen.

    Das ist das Problem mit ‚Haltungsjournalismus‘, wenn die Berichterstattung zu weit von der Realitaet abweicht. Das Pflaster
    „Zeitenwende – Alles ist anders!“ hilft da nur bedingt, wenn der Beinbruch richtig weh tut.

    Den Bruch zwischen (narrativer) Darstellung und realer Welt
    nennt man dann kognitive Dissonanz.
    Sowas soll es frueher in der DDR gegeben haben.

    Ich fuerchte nur, diese offensichtlichen Gegensaetze zwischen
    Presse und Realitaet staerken die AfD.
    Wenn man Unsinn redet und die veroeffentlichte Meinung auch,
    kann man nicht mehr leicht sagen, was nun der Unsinn ist.
    (Beides, aber wo ist nun die Wahrheit?)

  2. Heute ist der Journalismus infiziert von Haltungsfragen wie z. B.: Wie stehst du zu Israel, wie stehst du zur Ukraine – „we stand with Ukraine“ – und wem nutzt diese Information? Das sind Kategorien klassischer Propaganda und solche der Ideologie, die uns vorschreiben will, wie wir die Realität wahrzunehmen und zu interpretieren haben. Dahinter stehen massive Interessen an einer kollektiven Manipulation, die immer am besten funktioniert, wenn wir uns bedroht fühlen sollen durch einen äußeren Feind, einen angeblich unberechenbaren dämonisierten Feind, sei es der Iran, sei es Putin, bei Saddam Hussein im Irak hat es ja auch so funktioniert, oder bei Gaddafi in Lybien. Für diese Gehirnwäsche sind zahlreiche Thinktanks der NATO und transatlantische Vereinigungen sowie Netzwerke von Politikern und Elitejournalisten, Chefredakteuren und Medienprofis verantwortlich, die engsten vernetzt sind mit Spitzenpolitiker aller System Parteien.

  3. Diese in der breiten Bevölkerung schon gewohnheitsmässig erwartete „Haltung“ im Journalistengewerbe erzeugt so auch zuverlässig die erwartete Wirkung. Diese Wirkung wird vom Medienkonsumenten geradezu verlangt.
    Haltungsjournalismus ist somit zu einem etablierten Medien-format geworden.

    In der grossen Masse dieser speziellen Haltungs-Presseprodukte ist ihre Suggestivität kaum zu unterschätzen.
    Seit einem Jahrhundert wissen Medienprofis, dass der geglaubte Wahrheitsgehalt mit jeder Wiederholung einer Nachricht steigt.
    Der Gruppendruck sorgt zuverlässig für diese Wiederholungen.

    Mit dem Einzug der Computertechnik lässt sich zudem vieles im Nachrichtenwesen automatisieren (nicht nur copy and paste), Nachrichtenlawinen in „Echtzeit“ sind dem kritischen Verstand nicht zuträglich, dennoch will niemand entschleunigen – die KI hetzt nun die vermeintlichen Geistesarbeiter in die nächste Rationalisierungsrunde.

    Es ist nicht gerade einfach, den so verbreiteten Narrativen zu widersprechen, geniessen sie doch fast immer das Siegel eines Qualitätspresseproduktes und mehr als genug Menschen fühlen sich berechtigt, mit dieser „Gewissheit“ im Rücken massiven „moralischen“ Druck aufzubauen.

    Je nach Thema locken bereits ein wenig differenziertere Aussagen eines Autors scharenweise Denunzianten aus der Reserve – wer den massenhaft verbreiteten Narrativen zu widersprechen wagt, fordert mindestens üble Nachrede heraus.
    Und hier beginnt für einige von ihnen die Grenze zum „Meinungsverbrechen“ zu verschwimmen. Entsprechend fallen ihre Reaktionen aus.
    Es gibt z.B. alternative Medienprojekte im Netz, die von Zuschauer-(Hörer)-spenden leben, denen wegen nachdrücklich vorgetragener Denunziationen bereits ein Dutzend mal das Spendenkonto von den Banken gekündigt wurde.
    Nach 4 Jahren Corona- und Ukrainekrieg gibt es tatsächlich kaum eine dieser Mini-Redaktionen, denen noch nie ein Konto gekündigt wurde.
    Ein Übriges tut das Demokratiefördergesetz.
    Auch das ist Medienpolitik – nur in einer bisher nicht gekannten Form, die es oft schwer macht, Verantwortliche zu benennen.

    Ziele unterhalb einer Existenzvernichtung scheinen diesen Medienpolizisten vielfach nicht zu reichen.
    Ahnlich sieht es mit Veranstaltungsorten für Konzerte, Vorträge, Tagungen oder Workshops aus. Zu Recht ist dafür das Wort cancel-culture geprägt worden.
    Obwohl cancel-culture von vielen öffentllich finanzierten Vereinen und Stiftungen mit entsprechend geframten, fast nur zur Denunziation tauglichen Infos unterstützt und ermöglicht wird (z.B. Amadeu Antonio Stiftung mit Annette Kahane), geben sich dort Aktive den Anschein einer Graswurzelbewegung.

    Vollends entsetzlich wird es, wenn für das Anschwärzen bei Banken und Veranstaltern keine (ggfs. nachprüfbaren) inhaltlichen Begründungen vorgebracht werden, sondern eher in der Art, die inkriminierte Person habe mal mit jemandem gemeinsam auf der Bühne gestanden oder gar gesprochen, der einen Eintrag als „Rechtsradikale(r)“ auf Wikipedia vorzuweisen habe.
    Wikihausen* lässt grüßen…
    So wurde kürzlich selbst Paul Schreyer, einem der seriösesten deutschen Journalisten überhaupt, der die RKI-(Krisensitzungs-) Files mit einigem Kostenaufwand freigeklagt hatte, mit Verweis auf jene „Experten“ unterstellt, er betreibe eine rechte, zu Verschwörungstheorien neigende Seite namens Multipolar-Magazin… Schreyer ist einer der der ganz wenigen verbliebenen echten Qualitätsjournalisten, jeder, der ein beliebiges Video mit ihm auf youtube aufruft, wird spüren, was der Mann draufhat und wie sorgfältig und ehrlich er formuliert, was er zu sagen hat.
    (Seymour Hersh hats übrigens auch schon erwischt, auch er ein Verschwörungstheoretiker… dabei ist Hersh doch ausgewiesener Experte für Verschwörungs-Praxis – schon immer gewesen)

    Ich jedenfalls vermute eher, dass Schreyer sich nachhaltig unbeliebt gemacht und als systeminkompatibel erwiesen hat, weil er die Finanzkrise von 2008 als einer der ganz wenigen Journalisten, die das überhaupt konnten, hervorragend erklärt hatte, einschliesslich der damit verbundenen Umverteilung von Vermögen aus den weniger wohlhabenden Schichten nach „oben“.

    *Name einer Webseite von Markus Fiedler und Dirk Pohlmann
    über manipulative Umtriebe bei der angeblichen Enzyklopädie Wikipedia zur Lenkung Politischer Meinungen und Reputationen.

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