80 Jahre Rieseberg-Morde sind auch eine Mahnung

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Vor 80 Jahren begann im Braunschweiger Land der offene nationalsozialistische Terror. Er soll beispielgebend für andere deutsche Regionen gewesen sein.

Der Terror begann mit dem willkürlichen herausgreifen von Kommunisten und Gewerkschaftern im braunschweiger Eichtal. Es wurde damals ein Mord an dem SS-Mitglied Landsmann vermutet (heute weiß man, dass ihn die SS ermordet hat).

Bereits kurze Zeit später wurde der Mord den Kommunisten zugeordnet, wahrscheinlich vom SS-Schergen Friedrich A. Jeckeln: „Nur ein Kommunist kommt als Mörder von Landsmann in Frage, so soll er sich geäußert haben.“ Das Eichtal wurde abgesperrt, Kommunisten aussortiert und zu den Folterungen in das heutigen AOK-Gebäude gebracht. Am 04. Juli 1933 wurden die Männerauf dem Pappelhof in Rieseberg ermordet.

Quelle: „Der Massenmord in Rieseberg 1933“, Juli 2013. (1)

Der 80. Jahrestag soll für den Braunschweig-Spiegel Anlass sein, ausführlich über die Gedenkfeiern zu berichten.

Vorab einige Bemerkungen, die hierher gehören!

Gedenkorte und Gedenkfeiern über die Opfer des Nationalsozialismus gibt es viele. Aber schon dieser erste Satz ist nicht korrekt. Nicht der Nationalsozialismus hat Menschen zu Millionen gefoltert und ermordet. Es waren Menschen -hauptsächlich deutsche Menschen, die Täter waren. Und das waren nicht nur Sadisten, die gerne quälen. Nein, die Täter waren Menschen wie viele von uns. Es waren liebevolle Väter, vielleicht auch gute Ehemänner und nette Onkel oder Brüder – oder Skatfreunde. Harmlos waren sie in einer normalen Welt und menschliche Bestien waren sie im Gewande von Normalität wie Polizisten, Soldaten, Juristen und Verwaltungsbeamte.

Der Spiegel schrieb über den Eichmann-Prozess: „Der Angeklagte im Glaskasten war kein Teufel, eher ein „Hanswurst“. In Adolf Eichmann sah man einen ganz normalen Bürokraten vor sich, beflissen, medioker und von sehr geringem Tiefgang. Persönliche Korrektheit, Pflichtgefühl und Karrieredenken schienen den einstigen Fahrdienstleiter des Todes viel stärker motiviert zu haben als ideologischer Fanatismus oder niedrige Beweggründe. Er beging monströse Verbrechen, ohne ein Monster zu sein.“ Hannah Arendt sprach vom viel diskutierten Befund der „Banalität des Bösen“.

Es wird der Toten gedacht – und das ist gut so. Aber es geht auch um die Täter, die immer wieder vergessen werden. Nicht vergessen wurden die Täter durch Herrn Christoph Bratmann (SPD) bei der Gedenkveranstaltung am Jasper-Denkmal, indem er auf den einflussreichen NS-Schergen Dietrich Klagges hinwies und nicht vergessen wurden die Täter durch den IG-Metaller Hartwig Erb bei seine Rieseberg-Gedenkrede, als er auf die aktuellen politischen Gefahren hinwies. Doch davon später.

Nie wieder soll so etwas wie der Nationalsozialismus und seine Schreckensherrschaft vorkommen. Wehret den Anfängen, wird gesagt. Das ist richtig, aber die Geschichte wird sich nicht wiederholen, auch wenn man nach den unglaublichen Vorkommnissen mit den zehn Morden durch die NSU den Eindruck haben muss, dass ein tief sitzendes rechtsradikales Gedankengut in deutschen Sicherheitsbehörden noch lebendig ist. Es ist berechtigt zu fragen, ob diese Behörden mit deren politischen Stützen, gemeinsam mit den US-amerikanischen Sicherheitsbehörden unsere Freiheit verteidigen können; welche und wessen Freiheit meinen die? Die Abhörskandale unter „Freunden“ sind nicht losgelöst zu betrachten von der Bankenkrise mit den zunehmenden Zerstörungen der Ökonomien verbunden mit massiver Arbeitslosigkeit und zunehmender Egoismen in der EU. Das alles zusammen ist ein erhebliches Bedrohnungspotenzial für unsere Demokratien. Die Grundlagen des parlamentarischen Systems erodieren zusehends und die Gefahr geht von denen aus, die unseren Staat schützen sollen und das Wort „Freiheit“ nur zu oft verwenden. Gerne sprechen wir von gemeinsamen Werten in der westlichen Welt. Welche sind das, die wir noch ernsthaft verteidigen können? Denken wir an Guantanamo, an ein Rechtssystem und politische Wahlen, die nur noch auf Geld basieren. Denken wir an die Heerscharen von Arbeitslosen in Europa ohne Chancen und an eine Wirtschaft, die immer mehr Verbrauch und Konsum benötigt damit sie nicht zusammenbricht. Und natürlich denken wir an Verfolgte wie Snowden und Manning, die massivste Rechtsbrüche der Regierungen anklagen und mit ihrem Taten ein Stück Freiheit und Transparenz zurückerobert haben.

Vor einem Jahr schrieb die Journalistin Bettina Gauss, ohne die Spionagefälle zu kennen: „Das Ende der Demokratie. Den Malern der Menetekel, den Verschwörungstheoretikern muss leider immer wieder recht gegeben werden. Es gilt wachsam und laut zu sein. Auch das sind wir den Rieseberg-Opfern schuldig.

Die Gedenkfeier vor dem Jasper-Denkmal

Foto oben: Der Landtagsabgeordnete und Ratsmitglied Christos Pantazis (SPD) erweist mit vielen Braunschweiger Bürgern Heinrich Jasper die Ehre.

Der Landtagsabgeordnete und Ratsmitglied Christoph Bratmann (Foto oben) hat in seiner Gedenkrede vor dem Denkmal von Hinrich Jaspers am Ruhfäutchenplatz die Problematik „hier der Verfolgte und dort der Verfolger“ deutlich werden lassen. Er wies auf den in der Bevölkerung hoch geachteten Demokraten Heinrich Jasper hin, der in Braunschweig Ministerpräsident und Finanzminister war und in der Weimarer Republik bis zu seinem Tod die Demokratie auch dann verteidigte als der Nazi-Scherge Alpers ihm ein Geschäft auf Leben und Tod anbot. Immer wieder wurde Heinrich Jasper verhaftet und eingesperrt. In dem KZ Dachau vegetierte er über drei Jahre.

Der Widersacher von Jasper und Nazi-Scherge Dietrich Klagges durfte nach dem Krieg nach kurzem Gefängnisaufenthalt seine Pension in Bad Harzburg bis 1971 genießen, wie das so üblich war im Adenauer-Deutschland, wo viele Altnazis hohe Posten bekleideten und weiter politischen Einfluss hatten. Heinrich Jasper starb im Februar 1945 in Bergen-Belsen im KZ.

Von den ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen Cornelia Rohse-Paul  (Bündnis 90/ Die Grünen) und Friederike Harlfinger (CDU) wurde der Kranz der Stadt Braunschweig niedergelegt. Die Parteien ehrten durch Kränze und Gestecke. Für die CDU Frau Harlfinger, für die SPD Christoph Bratmann und Christos Pantazis und für die Grünen Frau Rose-Paul. Für die Gewerkschaft Hansi Volkmann und Michael Kleber. Ratsfrau Claudia Jonda von der Piratenpartei erwies Heinrich Jasper mit einem weißen Gesteck die Ehre.

Nach der Kranzniederlegung Christoph Bratmann und Christos Pantazis. Links mit dem Kranz Frau Friederike Harlfinger. Im Hintergrund von links: Frieder Schöbel (Friedenszentrum), Michael Kleber (DGB),  Frau Cornelia Rohse-Paul  (Bündnis 90/ Die Grünen), Ratsfrau Claudia Jonda von der Piratenpartei und Ratsfrau Tanja Pantazis (SPD).

 Die Gedenkfeier auf dem städtischen Friedhof

In jedem Jahr findet in Braunschweig nach der Jasper-Ehrung ein Gedenken an den Grabstellen der Rieseberg-Opfern statt. Doch bevor man an den Ort des Gedenkens kommt, passiert man die Grabstelle von Paul Gmeiner, eines kommunistischen Politikers und Widerstandskämpfers gegen den Nationalsozialismus. In jedem Jahr wird dieses tapferen Mannes insbesondere durch den Braunschweiger Motorradclub „Kuhle Wampe“ gedacht und seit Jahrzehnten jährlich durch den „Bund der Antifaschisten und Antifaschistinnen“ VVN. (Foto links)

 

Weitere braunschweiger Persönlichkeiten aus dem Widerstand liegen auf dem Weg zu den Riesebergopfern. So auch Minna Fassauer, die in Braunschweig seit Jahren politisches Thema ist, denn der Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann verzögert die längst überfällige Ehrung dieser Frau. (Foto unten) Der braune Schatten, der schon früh auf Braunschweig fiel und mit wegbereitend in Deutschland war, auch dokumentiert durch die Einbürgerung Adolf Hitlers, lässt Braunschweig anscheinend immer noch nicht los.

Am Platz des Gedenkens mit den Riesebergopfern und den elf Stehlen angekommen, hielt Werner Hensel eine beeindruckende Gedenkrede (Foto unten), die Sie hier lesen können.

Im Einzelnen werden hier nun die Mordopfer vorgestellt mit den Worten, die Werner Hensel zu Ihnen fand:

Hermann Behme

war 49 Jahre alt, als man ihn ermordete.

Während des Ersten Weltkrieges war er Mitglied des Spartakusbunds in Braunschweig und  Mitkämpfer für ein Ende des Krieges. Seit dem Gründungsparteitag gehörte er der Kommunistischen Partei an. Von 1919 bis 1933 war er bei der „Miag“ angestellt und bald deren Betriebsratsvorsitzender. Durch seine politische Aktivität war er seinen nationalsozialistischen Gegnern als „Miag-Behme“ bekannt. Er wohnte im Arbeiterviertel Eichtal, in dem der SS-Mann Gerhard Landmann erschossen wurde. Behme soll von Freunden vor der SA gewarnt worden sein. Am 2. Juli 1933 wurde er vor der Gaststätte „Weißes Roß“ verhaftet und in die AOK gebracht, wo er schwer misshandelt wurde. Er wurde nach Rieseberg gebracht, wo er an seinen Misshandlungen starb. Behmes Leiche wurde mit mehreren Schüssen geschändet.

 

 

 

 

 

 Hans Grimminger

war 39 Jahre alt, als man ihn ermordete. Der gelernte Schlosser war in der „Miag“ als Elektromonteur angestellt und dort Mitglied der kommunistischen Betriebsgruppe. Seine Frau und er wohnten in der heutigen Ernst-Amme-Straße, damals Roßstraße. Als aktiver Sportler gehörte er dem Arbeiter-Radfahrerbund an. Am 30.06.1933 wurde er verhaftet, in die AOK gebracht und dort schwer misshandelt.

 

 

 

 

 

 

Reinhold Liesegang

war 33 Jahre alt, als Nazis ihn ermordete.

Liesegang war Sohn einer Arbeiter- und Sozialistenfamilie und eines von fünf Geschwistern. Von seiner Familie wurde er sozialistisch geprägt. Er wurde kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges zur Marine eingezogen. Nach dem Krieg war er Mitglied der „Roten Armee“, die in Braunschweig durch Stürmung des Schlosses den Herzog Ernst August von Braunschweig zwang abzudanken. Er war Mitglied der Gewerkschaft und der KPD. Außerdem gehörte er dem „Verein für Volkssport“ an. Er heiratete und gründete eine Familie, lebte im Braunschweiger Arbeiterviertel Belfort.  Am 30. Juni 1933 wollte ihn die SA zu Hause festnehmen doch er war nicht am Ort. Man hinterließ die Aufforderung, sich wegen eines Verhörs selbständig zur AOK zu begeben. Trotz Warnungen von Verwandten und Bekannten, die von den Folterungen im AOK-Gebäude gehört hatten, kam Liesegang der Aufforderung nach.

 

 

 

Wilhelm Ludwig

wurde 45 Jahre alt. Ludwig war Arbeiter bei der Reichsbahn und gehörte der KPD an. Er wohnte nahe dem Hagenmarkt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Willi Steinfaß

42 Jahre alt. Wegen Armut konnte Steinfaß keine Lehre angehen, arbeitete aber bei der „Miag“ als Maschinenarbeiter und war dort Mitglied der kommunistischen Betriebsgruppe. Seit 1909 gehörte er der sozialistischen Jugend an, trat dann der SPD bei sowie später dem Spartakusbund und gehörte schließlich der KPD an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Seid wachsam, damit unser Tod nicht vergeblich war

Unbekannt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Walter Römling

wurde 43 Jahre alt.

Römling hat kein Handwerk gelernt, da er früh seine Familie ernähren musste.
1907 war er Mitbegründer des „Bildungsverein der jugendlichen Arbeiterinnen und Arbeiter Braunschweigs“. Römling war seit seinem 18. Lebensjahr in der SPD aktiv sowie in einem Metallarbeiterverband. 1915 wechselte er zum Spartakusbund und 1919 bis 1933 war er Mitglied der Kommunistischen Partei. Seit 1910 war er bei der „Miag“ beschäftigt und gehörte 1933 zum dortigen Betriebsrat. Römling war verheiratet und hatte drei Kinder. Am 30.06.1933 wurde er in der Firma verhaftet und in die AOK gebracht, dort schwer misshandelt. Sieben mal hatte man ihn aufgehängt, um Aussagen zu erpressen.

Seine Frau emigrierte mit den Kindern in die Sowjetunion. Walter Römlings Sohn Kurt arbeitete als Schlosser in Moskau, zum Kriegsbeginn meldete er sich als Freiwilliger zur Roten Armee, war Angehöriger einer Aufklärungseinheit, die zur Unterstützung von Partisanengruppen eingesetzt wurde, 1941 bei der Durchführung eines Auftrages gefallen. In der DDR war eine Kaserne nach ihm benannt, heute heißt sie anders – die Bundeswehr hat ein anderes Traditionsverständnis.

 

Gustav Schmidt

war 25 Jahre alt. Gustav Schmidt, Sohn eines Pfarrers aus Elberstedt, war Lehramtstudent in Braunschweig und gehörte einer sozialistischen Studentenbewegung an.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Es fehlt Kurt Heinemann. uf Bitte seiner Frau wurde er in Schöningen nach der Exumierung beigesetz. Das Foto wird später eingestellt.

Kurt Heinemann

wurde 27 Jahre alt. Er war Schneider in Schöningen und gehörte der KPD an. Heinemann war Jude. Das wurde seinen Söhnen zum Verhängnis. Sie wurden im Sommer 1943 in der Landesheilanstalt Hadamar ermordet. Seine deutsche Frau und seine zwei Töchter konnten sich retten. Siehe dazu auch http://de.wikipedia.org/wiki/Rieseberg-Morde

 

 Die Gedenkfeier am Ort der Morde

Die Gruppe Aditprop aus Hannover

Mit dem Bus ging es anschließend wie in jedem Jahr nach Rieseberg. Dort, in der Nähe von Königslutter in einem Waldstück wurden die Morde ausgeführt. An diesem Ort befindet sich ein Gedenkstätte. Etwa 100 Menschen Menschen waren dort, um der Toten zu gedenken.

Die Feier wurde musikalisch gerahmt durch die hannoversche Gruppe Agitprop. Sie spielte bekannte politische Lieder wie: Bella Ciao (Lied im Original, von Hannes Warder und Konstantin Wecker)

Mein Vater wird gesucht

Einheitsfrontlied von Eisler und Brecht

Moorsoldaten (Text) Lied

Hartwig Erb während seiner sehr aktuellen Gedenkrede

Nach einer Begrüßung durch den DGB Regionsvorsitzenden Michael Kleber sprach Hartwig Erb von der IG Metall Wolfsburg. Er sprach über die Gefahren rechtsradikaler Umtriebe, die NSU und die NPD, deren Verbot er forderte. Unmissverständlich macht er auf die gesellschaftlichen Bedingungen wie Nationalismus und Rassismus aufmerksam, die rechtsradikale politische Strukturen fördern. Doch lesen Sie seine passende und dem Anlass gemässe Gedenkrede selber. Hier ist seine Rede.

Bemerkenswert viele waren gekommen, jedoch hauptsächlich ältere Bürger.

(1) Literaturverweis

Der Massenmord in Rieseberg 1933. Juli 2013 Hrsg: Gundolf Algermissen

Akademie Regionale Gewerkschaftsgeschichte für Niedersachsen und Sachsen-Anhalt

3. ergänzte und überarbeitete Auflage

 

 

 

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